Reflexion als soziales System
Zu einer Reflexions-Systemtheorie der Gesellschaft
 
 
 
 
 
 
 
 von Johannes Heinrichs
 
 
 
 
 
 
 
 
 1976
 Bouvier Verlag Herbert Gundmann . Bonn
 
 
 
 
 
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VORWORT
 
 
Der Verfasser legt hier einen systematischen Leitgedanken seiner sozialphilosophischen Vorlesungen vor. Der Brückenschlag von der philosophischen Reflexion zu sozialen Phänomenen, somit die systematische Grundlegung von Sozialtheorie (die nicht durch Zeitungslektüre ersetzt werden kann), wurde in diesen Vorlesungen auf vier Pfeilergruppen in reflexiv gestufter Reihenfolge gebaut: 1. der Sinnbegriff und die Bestandsaufnahme von Sinnelementen, 2. subjektive Sinnfunktionen (Theorie, Praxis usw.), 3. die system-bildende Reflexion, 4. die Kategorien der sozialen Handlungssynthese, womit die Brücke zum kategorialen Verständnis sozialer Phänomene geschlagen war. Die beiden ersten dieser Themen werden in der vorliegenden Schrift nur implizit mitbehandelt, während das vierte ganz ausgespart blieb. Dieses, das Kategorienproblem, ist als Hauptgegenstand einer späteren Veröffentlichung vorgesehen. Äußere Anlässe (Vorträge) und wachsende Einsicht des Verfassers in den Charakter von Philosophie als methodischer Selbstentfaltung der Reflexion sowie in die Notwendigkeit einer sozialphilosophischen Reflexions-Systemtheorie führten zu der Entscheidung, die Schlüsselthematik "Reflexion" zunächst für sich allein zur Darstellung zu bringen: Begründung und Perspektiven einer Reflexions-Systemtheorie.
Der Verfasser dankt seinen Hörern und Diskussionspartnern für allen kritischen Ansporn, insbesondere Prof. Oswald von Nell-Breuning, der als Fünfundachtzigjähriger nicht die Mühe scheute, sich unter die Studenten zu setzen, um das neue "Parteichinesisch" wohlwollend zu verfolgen und pointiert zu kommentieren.
Ohne vielfache Ermutigung wäre diese Veröffentlichung eines größeren Ganzen nicht so bald und in relativ bescheidenem Umfang zustande gekommen. Großen Dank weiß ich namentlich meinen Freunden Heinz Hamm, der die Entstehung von Anfang bis Ende mit der philologisch geschulten Gabe des Rates, sowie Franz-Theo Gottwald, der die Drucklegung mit kritischem Verständnis tatkräftig begleitete.
 
Frankfurt - Paris, September 1976 Johannes Heinrichs
 
 
 
 
 
 
 
 
 
INHALTSVERZEICHNIS
 
 
EINLEITUNG
§ 1: Hypothese einer gegenseitigen Implikation
zweier Reflexionssysteme 9
 
TEIL 1: ZUR SUBJEKT- QUA SELBSTBEWUSSTSEINSTHEORIE
§ 2: Konstitutive und konsekutive Reflexion 16 
§ 3: Konstitutive und iterative Reflexion 21
(Das Zeitproblem)
§ 4: Selbstbezug—im—Fremdbezug 26
§ 5: Zirkuläre Reflexionsstruktur 32
§ 6: Reflexionsstufen: Selbstvermittlung durch
Andersheit 38
§ 7: Sinnpartizipation und Selbstreflexion 50
TEIL II: ZUR SYSTEMTHEORIE DER GESELLSCHAFT
§ 8: Einführung des Systembegriffs 59 
§ 9: Gleichursprünglichkeit von personalem
und sozialem Handlungssystem 68
§ 10: Elementarsystem — Subsysteme — Gesamtsystem
(korporative Subsysteme) 76
§ 11: Geschichte als Reflexions-Schichtung 86
§ 12: Strukturelle Subsysteme 101
§ 13: Integration und Legitimität
(Der Basis—Überbau—Zirkel) 110
§ 14: Kommunikative Inkompetenz des Diskurses
(Das Wertproblem) 118
§ 15: Systemtheoretisches zu Gesellschaft und
Staat 126
§ 16: Zum Vergleich mit der Hegelschen Rechts—
Philosophie 142
 
 
 
 
SCHLUSSBETRACHTUNG
§ 17: Philosophische und soziale Reflexion
(Theorie und Praxis) 150
 
TABELLARISCHE ÜBERSICHT 162
 LITERATURVERZEICHNIS 164 
SACHREGISTER 171
PERSONENREGISTER 175

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
EINLEITUNG
 
 
 
 
 
§ 1: Hypothese einer gegenseitigen Implikation zweier Reflexionssysteme
 
Sozialtheorie setzt Subjekttheorie voraus – aber vermutlich auch umgekehrt. Dies gilt umso mehr, wenn Person und Gesellschaft als Handlungssysteme verstanden werden sollen.
Die Absicht dieser Abhandlung ist es, die schlechthin konstituive und daher definitorische Rolle der Reflexion für das, was man seit einigen Jahren – im Gefolge der allgemeinen Theorie der Systeme – "soziales System" nennt, aufzuzeigen, dadurch den Systembegriff zu präzisieren und ihn für die Sichtung und Behandlung theoretischer wie praktischer Probleme der Gesellschaft geeigneter zu machen. Näher geht es um eine handlungstheoretische Einführung und Analyse des Systembegriffs, somit um die Überwindung des zu Zeit, besonders in Deutschland, festgefahrenen Gegensatzes zwischen Handlungstheorie und Systemtheorie des Sozialen.
Es versteht sich, daß von der Theorie realer Systeme die Rede ist, also nicht unmittelbar von jener Systemtheorie als Metatheorie, die darüber reflektiert, wie gedankliche, theoretische Systeme aussehen sollten.
Der Verfasser mißtraut solchen metatheoretischen Versuchen, nicht etwa, weil er systematischem Denken oder gar der Reflexion mißtrauen würde – er hält im Gegenteil systematische Theorie im allgemeinen Reflexionssystemtheorie des Sozialen im Besonderen für möglich und für sozial notwendig -, sondern weil er vorläufig mit Systematikern wie Kant, Fichte, Hegel die Überzeugung hegt, daß Theorie über theoretische Systeme (Metatheorie) lediglich als immanente Selbstreflexion systematischer Sachtheorie und nicht als Räsonieren über gar nicht vorhandene, nicht ausgeführte, allenfalls 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
gewünschte Sachtheorie möglich ist. Er hegt das Mißtrauen, daß ein großer Teil jener metatheoretischen Systemtheorie sich der Angst vor oder dem Unvermögen zu systematischer Sachtheorie verdankt, daß er als deren Rationalisierung (im psychologischen Sinne) in geheimer Komplizenschaft mit dem immer wieder modischen antisystematischen Affekt seht und somit eine typische Alibifunktion erfüllt. "Inzwischen, wenn die Besorgnis, in Irrtum zu geraten, ein Mißtrauen in die Wissenschaft setzt, welche ohne dergleichen Bedenklichkeiten ans Werk geht und wirklich erkennt, so ist nicht abzusehen, warum nicht umgekehrt ein Mißtrauen in dies Mißtrauen gesetzt und besorgt werden soll, daß diese Furcht zu irren schon der Irrtum selbst ist". Kurz, auf diesen Seiten wird "Systemtheorie" als Theorie realer Systeme, namentlich der Systeme Person und Gesellschaft, verstanden. Die allgemeine Systemtheorie hat vor allem zwei inzwischen zusammengeflossene Ursprünge: die Untersuchung von Organismen als System-Ganzheiten sowie die technologische Entwicklungslinie, die zum Bau von selbstregulierenden kybernetischen Systemen führte und damit zu der Frage, ob und wieweit nach diesem Muster die "Systeme" Person und Gesellschaft verstanden werden können.
Die Analogie, die zwischen kybernetischen Regelkreisen und der Reflexion, d.h. Rückbezug des menschlichen Bewußtseins auf sich selbst, besteht, wurde schon öfter hervorgehoben. 
In dieser Analogie liegt der philosophisch interessante Aspekt der Kybernetik, zumal wenn man Philosophie wesentlich als Selbstentfaltung der methodischen Reflexion und somit als Transzendentalphilosophie und Sinnhermeneutik (von Sinn als dem erst- und alleingegebenen, Gehalt und Vollzug umfassenden "Gegenstand" der Philosophie) versteht. Und doch ist die hier beabsichtigte These neu, daß soziale ebenso wie personale "Systeme" durch Reflexion zu definieren seien. Zwar finden sich unter dem Titel "Erwartungserwartungen" Ansätze und Material für diese Sicht, doch nirgends wird der Reflexionsbegriff definitorisch für den Systembegriff, oder besser: die Reflexion selbst als konstitutiv für reale Systeme verstanden.
Ähnlich wie im Fall von "Systemtheorie" soll "Reflexion" hier nicht in erster Linie unsere, der Sache äußerliche Reflexion über etwas besagen, sondern die innere Reflexion, den Selbstbezug, der in den bedachten Systemen selbst liegen soll. Auch und gerade wenn man sich bewußt ist, daß der erkenntnistheoretische Weg zur inneren, sachimmanenten Reflexion über die äußere Reflexion 
 
konstitutiv für die Sache werden kann, sofern "wir" ins System einbezogen werden, muß man die Unterscheidung zwischen beiden treffen, ebenso wie die zwischen theoretischen Systemen und Realsystemen. Das dialektische Inbeziehungsetzen beider Arten von Reflexion (wie System) setzt ihre Unterscheidung voraus. Mit "innerer und äußerer Reflexion" ist ein Begriffspaar aus der Hegelschen Logik gebraucht. Es kann überhaupt vorweg angemerkt werden, daß die im folgenden umrissene Reflexionssystemtheorie ihren stärksten historischen Anhaltspunkt bei Hegel findet; ja, daß es sich darum handelt, einen geradezu beherrschenden Grundgedanken Hegels von der Sache her wieder zur Geltung zu bringen. Reflexion ist das methodische und architektonische Grundprinzip gerade desjenigen Philosophen, der in der Polemik gegen die "Reflexionsphilosophie" seiner Vorgänger nicht müde würde: weil bei diesen die Reflexion, seiner Sicht nach, auf halbem Wege stehen, daher subjektivistisch oder objektivistisch, jedenfalls der Sache äußerlich blieb. Was "spekulativer Standpunkt" für Hegel heißt, läßt sich rational nur verstehen als Zuendeführen der Reflexion derart, daß das "reine Zusehen" zu ihren Momenten Zusehen zur immanenten Selbstreflexion des Wirklichen selbst wird. Hegel ist der erste, der die schlechthin konstitutive Rolle der Reflexion für die Gesellschaft klar erkannt und mit unvergleichlicher Fruchtbarkeit ausgearbeitet hat. Dieser Schlüssel seiner Sozialphilosophie geriet jedoch – vielleicht auch wegen seines oft negativen Gebrauchs der Worte "Reflexion" – in Vergessenheit. Man hielt sich lieber und leichter an die populäre Aussenseite seines staatsphilosophischen Denkens als an diesen ihren Kern. Es wurde an anderer Stelle nachgewiesen,6 daß Hegel in dem reichhaltigsten, sozialphilosophischen Kapitel "Der Geist" seiner "Phänomenologie des Geistes" in phänomenologisch-implizierter Form seine Reflexionslogik entfaltet, die bald das Glanzstück seiner "Wissenschaft der Logik" bilden sollte, das noch lange nicht genügend ausgewertet ist. Karl Marx hat sich gerade diesen Teil der Hegelschen Phänomenologie und Logik im "Kapital" auf geniale, wenn auch nicht unproblematische Weise zunutze gemacht.7
Eine "strukturalistische" Lektüre des "Kapitals" wird es schwer haben, die dort tatsächlich enthaltene Prozesslogik ohne genauen Rückgriff auf Hegels Reflexionssystemtheorie auf ihrem Niveau zu analysieren.8 Der Hinweis auf Hegel sei hier vorausgeschickt, obwohl wegen kritischer Vorbehalte (die zur Sprache kommen werden) wie um des unbefangenen eigenen Zugangs zu den Sachfragen 
 
 
 
 
willen nicht darum handeln soll, etwa die Hegelschen "Grundlinien der Philosophie des Rechts" zu referieren und auszulegen. Wohl soll diesen vom eigenen Gedankengang her ein Abschnitt gewidmet werden (§16). Eigener Zugang zur Sache scheint besonders bei Hegel Voraussetzung für die Wiederbelebung der Texte. Um des Kaisers Bart wird schon genug gestritten.
Unsere sozialtheoretische These hat ihr Pendant und – in einem zu klärenden Sinn – ihre Voraussetzung in einer subjekttheoretischen Sicht, die im Grundgedanken traditionell ist: daß Subjektivität qua Selbstbewußtsein durch Reflexion, d. h. durch Selbstbezüglichkeit konstituiert sei. Diese schon in der griechischen, klarer in der mittelalterlichen und systematisch grundlegend in der neuzeitlichen Philosophie enthaltene Behauptung ist längst nicht mehr unbestritten und auf keinen Fall selbstverständlich. Sie läßt sich, wie deutlich werden soll, nur durch Differenzierung und Vertiefung des Reflexionsgedankens aufrechterhalten. Ihr ist der erste Teil dieser Schrift gewidmet, weil Subjekttheorie wesentliche Voraussetzung von Sozialtheorie ist, zumal, wenn beide als Reflexionstheorie entwickelt werden. Deren Zusammenhang sei in diesen einleitenden Bemerkungen vorweg noch etwas bedacht.
Könnte man nicht die subjekttheoretische Frage – ist Selbstbewußtsein durch Reflexion konstituiert, oder ist Reflexion nur eine nachträgliche Leistung einer vorreflexiv konstituierten selbstbewußten Subjektivität? – für die Sozialtheorie auf sich beruhen lassen ? Es gibt ja die Auskunft, daß Gesellschaft nicht etwa von Subjekten "mit Haut und Haaren", sondern von ihrem sozialen Handeln (das sich, nach M. Webers Definition, am Verhalten anderer orientiert9 konstituiert wird. Nun läßt sich aber leicht absehen, daß alles Handeln, auch das zunächst private, sowie alles Erleben und Begehren der menschlichen Subjekte, mit dem eigentlich sozialen Handeln zusammenhängt – sosehr, daß der Vorschlag gemacht wird, Soziologie wesentlich als Bedürfnissoziologie, also von den Bedürfnissen der Subjekte her, zu treiben.10 Eine im Grundansatz als Bedürfnistheorie verstandene Sozialtheorie scheint uns zwar undialektisch und atomistisch – es gibt, bis in so elementare Bedürfnisse wie Nahrung und Kleidung hinein, keine subjektiven Bedürfnisse, die nicht schon Funktion einer sozialen Logik wären -, aber die Frage behält ihr unabweisbares Recht: Wie geht das Subjekt mit seinen "privaten" oder "sozialen", unmittelbaren oder vermittelten Bedürfnissen in den gesellschaftlichen Zusammenhang ein? 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Eine Sozialtheorie, die diesen Fragen nicht Rechnung trägt, hängt von vornherein in der Luft. Sie wird nicht einmal auf die alten, hausbackenen Fragen nach dem Zusammenhang von Menschenbild und Gesellschaftsgestaltung, von Individuum und Gemeinschaft, den Ansatz zu begründeten Antworten finden. Ohne Eingehen auf Subjekttheorie verurteilt sich eine Sozialtheorie, je mehr sie auf das gesellschaftliche Ganze geht, zur bloßen Technologie. Etabliert sie sich gar als Systemtheorie, so wird der "Faktor" Subjekt zu einer geradezu irrationalen Äußerlichkeit, zur Systemumwelt: "Unendlichkeitsschimären auf deinem grauen Stein von Notre-Dame" (G. Benn), dem doch immerhin selbsterbauten System. Systemtheorie des Sozialen ohne Subjekttheorie segnet mit dem Fortschrittsbewußtsein neueuropäischer Wissenschaft präzis das ab, was Hegel "Entfremdung" nannte11 – nicht ahnend, daß solche Vergessenheit samt deren Absegnung dereinst unter dem Titel "Soziologische Aufklärung" auftreten sollte. Im folgenden wird nicht nur dafür plädiert, sondern ein Weg versucht, wie Systemtheorie als Handlungstheorie und somit zugleich als Subjekttheorie entwickelt werden kann. Der Zusammenhang zwischen selbstbewußtem Handeln und sonstigen "Schichten" des Subjekts wird durch den Reflexionsbegriff hergestellt, ebenso wie dieser die Brücke vom subjektiven Handeln zum Sozialsystem schlägt. Es wird behauptet, daß Sozialtheorie nur als solcher Brückenschlag aufklärerischen Wert hat.
Das Plädoyer dafür findet sich auch bei J. Habermas12 gegenüber der Systemtheorie von N. Luhmann. Den aufklärerischen Brückenschlag vermißt man bei ihm ebenso wie bei seinem Kontrahenten. Der Streit um Handlungstheorie und Systemtheorie (der die beiden Zugänge zu Sozialen von Max Weber einerseits und Émile Durkheim andererseits unter veränderten Voraussetzungen wiederholt) verdankt seine Perpetuierung der Tatsache, daß die Vertreter beider Richtungen den Übergang vom Handeln der Subjekte zum System nicht zu zeigen vermögen, sosehr sie es wünschten. Aufklärung besteht ja heute nicht mehr sosehr darin, "maitre de soupcon" zu spielen13 – Enthüllungen verlieren mit der Wiederholung ihren Witz, wie Witze – sondern positiv Lichter aufzustecken. 
Der Zusammenhang zwischen Subjekttheorie und Sozialtheorie besteht indessen nicht nur darin, daß letztere ohne erstere nicht viel Wert hat, sondern- auch umgekehrt. Diese Behauptung, daß Subjekttheorie nur als anfängliche Sozialtheorie Gültigkeit hat, und zwar wegen der Relationalität des Subjektes, könnte mit Bezug auf fremde und 
 
 
 
 
eigene frühere Arbeiten hier als erwiesen gelten: Ein relationaler "Personalismus" führt, auch ohne den Systembegriff, in die Betrachtung primärer Interpersonalität, von dort aber in soziale Relationalität überhaupt. Er führt, wenn genügend Logik investiert wird und es nicht - wie bei den meisten "dialogischen Denkern" – bei der Bestandsaufnahme des Unmittelbar-Phänomenalen bleibt -, in eine "personalistische" Sozialtheorie. Ob diese "privatistisch" oder "existentialistisch" bleiben muß, darüber sollten die vorsichtiger urteilen, die mit einem salto mortale bei der hypostasierten Gesellschaft und ihrem "System" ansetzen und sich damit begnügen, die festgefahrenen Gegensätze noch fester zu treten. Daß Subjekttheorie sich notwendig aus ihr selbst heraus zu Intersubjektivitätstheorie erweitern muß, das soll hier nicht nochmals ab ovo, bei der Vollzugs-Gehalt-Einheit von Sinn als dem Erstgegebenen für die philosophische Besinnung ansetzend, synthetisch rekonstruiert werden.14 Wir gehen vielmehr von einem vorgegebenen Problem aus: Kann Selbstbewußtsein – das wir als zugestandenes Faktum ansetzen – als durch Reflexion konstituiert verstanden werden? Unser Vorgehen ist somit analytisch-rekonstruktiv: von der Analyse des Selbstbewußtseins her werden wir die Einheit (und Differenz) von innersubjektiver und intersubjektiver Reflexion aufdecken.
Dieter Henrich, gegenwärtig (oder zumindest zu Zeit der Abfassung seiner diesbezüglichen Arbeiten) der profilierteste Gegner der Reflexionstheorie des Selbstbewußtseins, bemerkt mit Recht, daß inhaltlich Hegels Denken über Selbstbewußtsein in diese Richtung ging: "Im Unterschied zu Fichte ging Hegel immer davon aus, daß Selbstbewußtsein nicht von sich aus verständlich gemacht werden kann... Anders als Fichte hat er sich aber niemals von der Reflexionstheorie des Selbstbewußtseins gelöst und damit dafür gesorgt, daß der gesamte Hegelianismus in der Bewußtseinstheorie dogmatisch und unproduktiv geblieben ist. Beharrlich beschreibt er das Selbstbewußtsein als Zusichkommen eines solchen, das an sich schon Selbstbeziehung ist, - somit ganz nach dem Reflexionsmodell, das bereits alles voraussetzt. Und er tut das, obwohl ihm im Zusammenhang seiner Analyse von Relationen ganz andere Mittel zu Verfügung standen. Die Behauptung, daß er vom Reflexionsmodell nicht loskam, ist übrigens auch keineswegs deshalb einzuschränken, weil er meinte, die Reflexion könne nur im sozialen Interaktionszusammenhang zustande kommen."15 Ist der Hegelianismus aber deshalb in der Bewußtseinstheorie unproduktiv geblieben, weil er am Reflexionsmodell festhielt – oder weil er das Reflexionsproblem einfach – anders als Hegel – hinter sich ließ und eben dadurch in einen nachtranszendental-philosophischen Dogmatismus (Objektivismus) abglitt?
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Mehr als solche philosophiegeschichtlichen Fragen soll hier jedoch die Sachfrage interessieren: Ist es wahr, daß die Reflexionstheorie des Selbstbewußtseins, nach der Art eines schlechten Zirkelargumentes, "bereits alles voraussetzt", was die Reflexion erklären soll? Kommt die Reflexion immer schon zu spät, kann sie nur konsekutiv dem bereits präreflexiv konstituierten Selbstbewußtseins hinterherlaufen? Von diesem fundamentalen Problem gehen wir aus.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Teil 1
 
 
Zur Subjekt – qua Selbstbewußtseinstheorie
 
 
§ 2: Konstitutive und konsekutive Reflexion
 
Selbstbewußtsein, als Zentrum menschlicher Subjektivität verstanden, kann nicht nach dem Muster der Subjekt-Objekt-Relation und demgemäß nicht als nachträgliche Reflexion auf eine vorreflexives Aktleben verstanden werden. Wohl bedarf die Möglichkeit nachträglicher Selbstthematisierung einer Erklärung, für die sich ein konstitutiver Selbstbezug ohne zeitliches und logisches Grund-Folge-Verhältnis allein anbietet.
D. Henrich hat das Verdienst, daran erinnert zu haben, daß das Verständnis von Selbstbewußtsein in der Tat ein Fundamentalproblem der Philosophie, zumal der neuzeitlichen, darstellt: "Wenn ein Wort, das einen Grundbegriff bezeichnet, in der Geschichte der modernen Philosophie die Hauptrolle gespielt hat, so ist es Selbstbewußtsein. Cartesius wollte der Metaphysik in der Selbstgewißheit des denkenden Wesens ein unbezweifelbares Fundament geben. Leibniz glaubte, es sei nicht nur die erste Gewißheit von einem wirklich existierenden Wesen, sondern auch ein Deduktionsprinzip für die Rechtfertigung aller Grundbegriffe der Ontologie. Kant folgte ihn, unter der Voraussetzung der Wendung von Leibnizens Prinzip ins Subjektive: Was Wissen und Verstand überhaupt bedeuten, kann man durch eine Analyse der Struktur des Selbstbewußtseins in Erfahrung bringen. Für Fichte ist diese Struktur das einzige philosophische Problem gewesen, das alle anderen in sich einschließt. Und noch für Hegel, der doch diese Tradition der Philosophie der subjektiven Gewißheit beenden wollte, war das experimentum crucis einer spekulativen Logik der Nachweis, daß sie und nur sie geeignet ist, den unbezweifelbaren Sachverhalt Selbstbewußtsein zu interpretieren" 16 Die Linie läßt sich, trotz Heidegger, der das Problem der Subjektivität durch eine andere Blickwendung auf such beruhen läßt, aber nicht "löst", bis in die Gegenwart durchziehen.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Mit vielleicht noch größerem Recht kann man die "Selbstentfaltung der methodischen Reflexion als das Prinzip der Neueren Philosophie"17 bezeichnen. Henrich geht es nun aber gerade darum, die notwendige Loslösung der Selbstbewußtseinstheorie von der (ontologischen) Reflexionstheorie aufzuzeigen, eine Loslösung, die Fichtes ursprüngliche und durchtragende Einsicht gewesen sei. Daß Selbstbewußtsein durch Reflexion oder Selbstbezug zustande komme, setze ein Subjekt-Objekt-Modell voraus, welches gerade das Selbstbewußtsein in seiner Einzigartigkeit nicht erfasse: ein Ich-Subjekt als reflektierendes, ein Ich-Objekt als reflektiertes, und beide sollen identisch sein und sich als identisch wissen. Seine Gegenargumentation im Fichte-Aufsatz läßt sich dahingehend zusammenfassen: 1. Die Identität beider Seiten setzt voraus, daß beide, Subjekt-Ich und Objekt-Ich, je schon selbstbewußtes Ich sind. Die Reflexion setzt also voraus, was sie konstituieren soll bzw. die Reflexionstheorie setzt zirkelhaft voraus, was sie erklären will.18
2. Die wissende Identifizierung beider Seiten, das Sich-Wiedererkennen könnte nur in einem Dritten geschehen. Das widerspricht sowohl dem Phänomen Selbstbewußtsein wie der Reflexionstheorie, die nochmals ihre Erklärungsunfähigkeit eingestehen muß: "Weiß das Ich nicht schon von sich, so kann es nie zu einem Wissen von sich gelangen."19
Diese Argumentation ist insofern stichhaltig, als man mit Henrich die Selbstreflexion (hier noch gleichbedeutend mit "Reflexion") nach dem Muster der Subjekt-Objekt-Erkenntnis, somit als zumindest logisches, wenn nicht zeitliches Nacheinander von Akten oder von Beziehungen in einem Akt versteht.20 Henrich hat auch in bezug auf die Fichte-Interpretation darin Recht, daß Fichte von vornherein die Unmöglichkeit einer solchen Reflexionstheorie durchschaut hat. Und doch trennt sich Henrich in bezug auf das Problem des Wiedererkennens von Fichte: "In seinem Werk finden wir nirgends Erwägungen, deren Absicht es ist, auch dem zweiten Einwand vollauf gerecht zu werden. Dies festzustellen, bedeutet eine Grenze von Fichtes Beitrag zur Theorie des Selbstbewußtseins markieren."21
Das ist eigenartig, wenn es stimmen soll, daß Fichte zeitlebens und mit Erfolg gegen die Reflexionstheorie angedacht habe. Verstand Fichte Selbstbewußtsein vielleicht doch reflexiv, und wollte er die Theorie 
 
 
 
 
 
verfeinern, während Henrich sein Bemühen auf Abschaffung hin interpretiert? Doch lassen wir die Fichte-Interpretation zunächst auf sich beruhen.22
Wenn Henrichs Argumentation als stichhaltig bezeichnet wurde, dann waren in diesem Einverständnis seine Prämissen, zumal sein Verständnis von Reflexion, nicht eingeschlossen. Zwar spricht auch er einerseits in begrifflicher Weise von "Selbstbezug", auf der anderen Seite verbindet er damit aber ungerechtfertigterweise das Subjekt-Objekt-Modell und geht soweit zu sagen: "Denn Reflexion kann nur bedeuten, daß ein bereits vorhandenes Wissen eigens ergriffen und damit ausdrücklich gemacht wird."23 Dieser Satz ist zu bestreiten, und mit ihm die ganze Kritik der Reflexionstheorie des Selbstbewußtseins. Daß Henrich nirgends ernsthaft eine streng gleichzeitige und nicht objektivierende Reflexion diskutiert, ist das eigentlich Verwunderliche an seinen scharfsinnigen Gedankengängen. Er ist darin das Opfer dessen, was er bekämpft: einer Auffassung von Reflexion, die nachträglich und objektivierend ist, statt von vornherein zu inneren Verfassung des selbstbewußten Aktes zu gehören. Zwar kann man sein Reflexionsverständnis nicht klar auf ein zeitliches Nacheinander von Akten festlegen. Aber die elementare scholastische Distinktion von reflexio concomitans und reflexio subsequens wird bei ihm nur andeutungsweise und beiläufig gemacht.24 Nicht daß in ihr schon eine Begründung der Reflexionstheorie läge, aber doch eine unabdingliche Voraussetzung. Die Unterscheidung wird offensichtlich deshalb vernachlässigt, weil auch die reflexio concomitans ohne weiteres nach dem Muster der nachträglichen und damit objektivierenden, ausdrücklichen Reflexion, des Nach-denkens über vorhergehende Akte, verstanden wird. Das darf sie in der Tat nicht, wenn sie das Phänomen Selbstbewußtsein verständlich machen soll. Indem man Henrich soweit zustimmt, stellt man zugleich das Ungenügen seiner Argumentation heraus.
Wir führen jene Unterscheidung hier ausdrücklich ein: Unser Problem ist nicht das objektivierende Nachdenken der philosophischen und alltäglichen Reflexion und Selbstreflexion – auf dieser Ebene ist übrigens Selbstreflexion von Reflexion überhaupt, z. B. über partikuläre Inhalte vorhergehender Akte, zu unterscheiden! -, es sei denn, insofern diese ausdrücklich-objektivierende Selbstreflexion auf das eigentliche Problem führt: Ob da nicht schon eine unausdrücklich-spontane Reflexivität – und nicht nur eine unterschieds- und beziehungslose "Helle" des Selbstbewußtseins vorausliege.
 
 
 
 
 
 
Die herausgestellte Alternative von präreflexivem oder in sich reflexivem, d. h. in sich rational strukturiertem Selbstbewußtsein ist hiermit noch nicht entschieden. Sie wird uns den ganzen ersten Teil hindurch beschäftigen. Es ist lediglich festgestellt, daß eine nachträglich-objektivierende Reflexion nicht für die Konstitution von Selbstbewußtsein in Betracht kommt (mit Henrich), wohl aber eine Reflexivität als "zeitliches" und logisches Zugleich von Momenten des Selbstbewußtseins. Die kaum zu unterschätzende Tragweite dieser Frage für das Verhältnis von Leben und (ausdrücklicher) Reflexion ist leicht zu erkennen. Wenn Leben und Bewußtsein nicht bereits in sich reflexiv ist, kann die nachträgliche Reflexion es nur als Leiche sezieren; dann ist und bleibt die Reflexion der Widersacher des Lebens und "Erlebens", wie des "Fühlens" (das wir als ausgesprochen reflexives Leben analysieren werden). Es braucht nur an diese altbekannten, aber unüberwundenen deutschen Gegensätze erinnert zu werden. Wenn im anderen Fall Reflexion konstitutiv ist für Selbstbewußtsein und somit geistiges Leben überhaupt, dann besteht nach-denkende Reflexion in Nachahmung und Explikation dessen, was im Leben selbst implizit geschieht. Die Verirrungen und Hemmungen der Reflexion können dann nur auf der Schwäche, sei es des Begreifens, sei es des Erlebens selbst, beruhen. Damit soll nicht ein Spannungsverhältnis zwischen objektiver Ausdrücklichkeit und Spontanität in Frage gestellt werden, wohl aber das Recht, Leben und Reflexion, damit auch Praxis und Theorie in einen fundamentalen Gegensatz zu stellen.25
Hier steht nicht nur eine philosophische Spezialfrage zur Diskussion, sondern der Sinn von Theorie überhaupt.
Ein erster positiver Schritt zur Entscheidung dieser Fragen kann (zum vorläufigen Anschluß der Diskussion D. Henrich) sogleich getan werden: Wenn man ein präreflexives Selbstbewußtsein ansetzt, etwa als subjektive "Organisation" eines übersubjektiven Bewußtseins oder Sinnes (wir werden auf diesen Vorschlag von Henrich sowie auf das Problem der Sinnpartizipation in § 7 zurückkommen), dann entsteht das Problem, wie jemals das Ich oder Selbst in der ausdrücklichen Reflexion gewußt werden kann. Die Argumente Henrichs, besonders das des Wiedererkennens, gewinnen hier, gegen ihn gewendet (retorquiert), ihre volle Kraft: Es ist, gerade unter der Voraussetzung, daß Reflexion nur nachfolgend sei und gegenüber der präreflexiven Selbstgewißheit immer schon zu spät komme, nicht zu sehen, wie jemals eine ausdrückliche Selbstreflexion (die Henrich ja nicht bestreitet) möglich sein könnte, d. h. wie jemals die präreflexive sich in die 
 
objektivierend-reflexive Sprache übersetzen könnte. Nach der Reflexionstheorie besteht eine "Verwandtschaft", eine einsichtige Beziehung zwischen der begleitend-impliziten und er nachfolgend-expliziten Reflexion: diese bildet jene unvollkommen-objektivierend nach; der "Weg" von der Selbstgewißheit der Reflexion ist je schon zurückgelegt – er besteht gar nicht. Dagegen besteht das Problem, wie eine konsekutive Selbstreflexion möglich sein soll, wenn es keine konstitutive gibt. – Die Berufung auf präreflexive Unmittelbarkeit des "Erlebens" müßte, sie Konrad Cramer im Blick auf Dilthey und mit leiser Anfrage an D. Henrichs Ansatz zur Selbstbewußtseinstheorie bemerkt,26 konsequenterweise auf Theorie des Selbst Verzicht tun: weil der Graben zwischen unmittelbarem Selbsterleben und Reflexion niemals zu schließen ist, wurde er anfangs aufgerissen.
Man kann dieses Problem auch so stellen: Wie ist eine durchhaltende Identität in aufeinanderfolgenden, aufeinander reflektierenden Akten des Ich möglich und erkennbar für dieses – wenn die Selbstbezüglichkeit (Reflexivität) nicht bereits einer zeitlosen Konstitution des Ich angehört? Wir bemängeln, daß bei Henrich keine zeitlose Reflexivität in den Blick kommt, und fügen jetzt hinzu, daß er die zeitliche Selbstreflexion gerade deshalb nicht zu erklären vermag. Wir wenden uns dem Zeitproblem nun ausdrücklich zu, weil es unlösbar mit dem Reflexionsproblem verbunden ist.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
§ 3: Konstitutive und Iterative Reflexion (Das Zeitproblem)
 
Subjektive Zeit (Bewußtseinszeit) ist nicht eine undefinierbare und unerklärbare Urgegebenheit des Bewußtseins als eines "Stromes", sondern wird verständlich als Wiederholung (Iteration) und Modifikation der konstitutiven Reflexion. Damit entfällt ein Haupthindernis für die Reflexionstheorie des Selbstbewußtseins.
Mit Vorliebe sprechen diejenigen Autoren vom Bewußtsein als einem "Zeitstrom", die seine ursprüngliche Reflexivität leugnen und ein präreflexives Ich ansetzen, meist im Gefolge von E. Husserl und H. Bergson: "Der Bewußtseinsstrom der inneren Dauer ist prinzipiell unreflektiert: die Reflexion gehört als Funktion des Intellektes bereits der Raum-Zeit-Welt an..."27 "Auch dieses Erfassen des Dauerflusses selbst setzt schon eine Rückwendung gegen den Fluß der Dauer voraus, eine besondere Attitüde gegenüber dem Ablauf der eigenen Dauer, eine Reflexion wie wir es nennen wollen."28 Die Reflexion, von der A. Schütz hier handelt, ist eine Mischung von reflexio subsequens und derjenigen, die wir im folgenden mit Husserls Ausdruck "iterative Reflexion" nennen werden, im Unterschied zur konstitutiven, die Schütz mit Husserl und Bergson leugnen bzw. ignorieren muß, eben weil die Zeit als unrückführbare Urgegebenheit des Bewußtseins angesetzt wird. Man mag sie, zur vornehmen Absetzung von der physikalischen Zeit, "Dauer" nennen – es handelt sich dennoch um ein Vorstellungsdenken, das nicht die Zeit vom Sinn der "erlebten" Dauer verstehen will.29
Daß hier ein Haupthindernis dür das Verständnis des Selbstbewußtseins als reflexiver Selbstbezüglichkeit liegt, dürfte nach dem Vorhergehenden deutlich sein: Wenn Bewußtsein primär Zeitdauer ist und Reflexion primär Rückwendung auf Vorhergehendes, dann kann sie Selbstbewußtsein nicht erklären. Jedoch, nicht nur dieses, auch Zeit und die Möglichkeit von Reflexion bleiben unverstanden. Dementsprechend ist es schwer, die darauf aufbauenden Ergebnisse nach ihrem Wert zu sortieren.
Wolfgang Cramer beginnt seine zweifellos bedeutende "Grundlegung einer Theorie des Geistes" mit den Sätzen: "Die Zeit ist undefinierbar. Es ist unmöglich, das in dem Worte "Zeit" gemeinte auf Bestimmungen zurückzuführen, in denen nicht schon Zeit gemeint ist."30
Auch wenn er später die "Zeit" der Subjektivität gegen die Zeit von Naturvorgängen prinzipiell abzugrenzen versucht, unterliegt er dem Vorstellungszwang, den sogenannten "Bewußtseinsstrom" Nach dem objektivistischen Muster eines Wasserstromes zu interpretieren, der im Falle des Bewußtseins zwar nicht einfach in der Zeit, sondern ursprünglicher als Zeit fließe (vgl. M. Heidegger). Es verwundert unter diesen Voraussetzungen nicht, daß Cramer dann gelegentlich in wenigen Worten mit der Reflexionstheorie des Bewußtseins fertig wird.32
Unsere These lautet: Die Zeit des Subjekts ist verständlich als Wiederholung der Selbstreflexion, die wir – zunächst noch hypothetisch – als konstitutiv für Selbstbewußtsein ansetzen. Hiergegen ließe sich im Sinne Cramers einwenden, Wiederholung setze bereits ein Vorher und Nachher, also die Zeit als unerklärt voraus. Aber Wiederholung kann und muß hier ohne zeitlichen Sinn, als Vervielfältigung desselben, als Nichtidentität des Identischen (des Ich) verstanden werden. Somit wäre Zeit als Vielheit desselben Ich, als Nichtidentität desselbigen Ich in der Vielheit seiner Akte aufgefaßt. Die logische Folge (Linearität) der vielfältigen Akte des Subjekts läßt Zeit entstehen. Dabei ist aber entscheidend wichtig, daß die Akte nicht nur im zeitlichen Sinne aufeinanderfolgen (eine solche Folge wäre ja auch für die Einführung des Zeitbegriffs, vielmehr die Rekonstruktion der Subjektzeit ungeeignet, weil wieder Zeit durch Zeit definiert würde), sondern um eine ontologische Folge von Akten, und zwar in einer reflexiven, rückbezüglichen Logik: ein Akt bildet die logische Voraussetzung des anderen, oder besser: dessen ontologische Voraussetzung.33
Diese Kette der Schichtung einander voraussetzender Akte desselben Subjekts macht Subjektzeit und Subjektgeschichte in einer nicht zirkulären Weise verständlich.
Wir werden diesen Gedanken später durch die Betrachtung der intersubjektiven Zeit (als Zeit der Erwartung: einer Identität in interpersonaler Differenz) differenzieren und vertiefen können. Es ist nicht zu vergessen, daß die bloße Subjektivität für sich eine durch unseren Ausgangspunkt, das Selbstbewußtseinsproblem, und überhaupt durch das lineare Nacheinander der methodischen Darstellung bedingte Abstraktion ist. Auch werden wir bald die Frage stellen, was denn das Subjekt zur Iteration der Reflexion veranlaßt.
Es versteht sich, daß die iterative Reflexion nicht zur Erklärung des Selbstbewußtseins dienen kann. Deshalb haben wir sie von einer konstitutiven Reflexion unterschieden. Ihre Betrachtung sollte ein Haupthindernis für das Verständnis des Selbstbewußtseins durch konstitutive Reflexion aus dem Wege räumen: dadurch, daß es möglich ist, die ursprüngliche Subjektkonstitution und den einzelnen Akt des Selbstbewußtseins nicht zeitlich zu verstehen, wofür überhaupt die Möglichkeit des Denkens spricht34 - und dennoch die Zeit tief in der Subjekttheorie zu verankern. Es wird in keiner Weise geleugnet, daß menschliches Selbstbewußtsein und erst recht das Gegenstandsbewußtsein35 durch Zeitlichkeit charakterisiert sind. Es wurde nur nach einem Verständnis von Zeit und ihrem Verhältnis zur Reflexion gefragt. Das Ergebnis war, daß die Zeit des Subjekts – die Kant mit Recht als die "Form der inneren Anschauung" ansprach, wenn er sie auch unerklärt ließ und zu schnell mit der physikalischen Raumzeit identifizierte36 – nicht etwa die Reflexionstheorie des Selbstbewußtseins unmöglich macht, sondern umgekehrt Subjektzeit oder Dauer erst von der Reflexion verständlich wird. 
Bei W. Cramer heißt es mit Recht: "Zeitliches muß schon eine von der Bestimmung der Zeitlichkeit verschiedene Bestimmung an sich haben, um zeitlich sein zu können. Zeitliches kann nicht bares Zeitliches sein. – Nur etwas, anderes als Jetzt sein."37
"Zeitlichkeit ist ein Wechsel von Zuständen eines Substantialen, der durch anderes Substantiales dynamisch bedingt ist. Der Zustandswechsel ist ein Wechsel der Relationen zu anderen Substantialem."38 Daraus folgert er zu Unrecht: "Es ist also noch eine andere Zeitordnung als die des Nacheinander, eine Zeitordnung der Koordination. Diese ist Räumlichkeit."39 So wird Räumlichkeit geradezu zum substantialen Pendant des als Zeitlichkeit verstandenen Subjektbewußtseins. Darin korrigiert sich der Verfasser jedoch im Anhang zur zweiten Auflage; worin er die Grundannahme einer "Zeitlichkeit des Erlebens" als "entbehrlich" und deren primäre Determinierung durch die Natur als falsch bezeichnet. 40
Dagegen gewinnt der Gedanke der Intersubjektivität Raum, auf den wir bald kommen werden.
Wenn wir im Vorhergehenden die iterative Reflexion von der konstitutiven unterschieden haben, dann darf dies nicht zu der Vorstellung führen, es handele sich um zwei materialiter zu unterscheidende Akte oder Akttypen. Vielleicht sollte man vom iterativen Charakter der menschlichen Reflexion (auf Gehalte) und Selbstreflexion sprechen. Es handelt sich um zwei Rücksichten ein und desselben Reflexionsprozesses: die Rücksicht der in sich zeitlosen Konstitution des Selbstbewußtseins oder der Identität sowie die Rücksicht der zeiterzeugenden Vervielfältigung aufeinander bezogener Akte, die Nichtidentität. Ein selbstbewußter Akt hat seine reflexive Identität (die wir noch genauer aufweisen werden) in Nichtidentität mit anderen Akten desselben Selbstbewußtseins. Dieses wäre also mit der Hegelschen Formel der "Identität der Identiät und Nichtidentität" 41 zu umschreiben: ein identisches Selbst hat seine jeweilige Identität in nichtidentischen Akten. Daß es sich hierbei nicht um Begriffsakrobatik, sondern um Denknotwendigkeiten im der begreifenden Rekonstruktion der Phänomene willen handelt, kann jeder leicht verifizieren.
Unter iterativer Reflexion wird also eine Folge reflexiv aufeinander reflektierender Akte verstanden, und zwar in diesem Zusammenhang selbstbewußter Akte. (Wir sehen hier von dem Problem ab, ob und in welchem Sinne in allen Akten eines Subjekts das Selbstbewußtsein engagiert ist.) Über die Modifikation des Einen Selbstbewußtseins in der Geschichte seiner iterativen Reflexion wäre manches zu sagen.42 Doch geht es hier nicht um eine ausgeführte philosophische Anthropologie. 
Zum Unterschied von iterativer und konsekutiver Reflexion (§ 1) ist zu sagen, daß sie in einem anderen Gegensatzverhältnis zu konstitutiven Reflexion stehen: Iteration meint Wiederholung einer bereits konstituierten Reflexionsstruktur, die normalerweise unausdrücklich-nichtobjektivierend vonstatten geht. Dagegen meinte "konsekutiv" einmal die begriffliche Alternative zu "konstitutiv" überhaupt (Reflexion nur als eine Fähigkeit des präreflexiv konstituierten Selbstbewußtseins), sodann im besonderen die reflexio subsequens oder nachfolgende, ausdrückliche Reflexion.
Die beiden Reflexionstypen (iterative und konsekutiv-ausdrückliche) haben gemeinsam, daß sie beide als Phänomene kaum zu leugnen sind und daß sich bei beiden die Frage nach der Bedingung ihrer Möglichkeit stellt, die wir oben für die reflexio subsequens schon gestellt haben: Die Spaltung von denkendem und gedachtem bzw. erinnertem und erinnerndem Ich mit dem Bewußtsein der Identität dieser nichtidentischen Seiten scheint eine Reflexionsdifferenz im ursprünglichen Ich vorauszusetzen, also gegen Selbstbewußtsein als eine struktur- und reflexionslose "Helle" zu sprechen.
Wir werden dem Gedanken eines präreflexiven Selbstbewußtseins nun aber von einer anderen Seite her endgültig den Abschied geben.
 
 
 
 
 
§ 4: Selbstbezug-im-Fremdbezug
 
Die Reflexivität des Selbstbewußtseins zeigt sich am klarsten in der Unabtrennbarkeit des Selbstbezugs vom Fremdbezug. Seine strukturelle Selbsteinholung beinhaltet die Einsicht in seine zeitliche Nichteinholbarkeit aufgrund des Fremdbezugs.
Fragen wir, was die bislang noch hypothetisch gebliebene konstitutive Selbstreflexion veranlassen kann, sich zu iterieren, warum sie zeitliche Identität der Identität und der Nichtidentität ist. Warum erschöpft sie sich nicht in einem einzigen, zeitlosen Akt der Selbstreflexion? Die Antwort hierauf fällt nicht schwer: Sie ist nicht reiner Selbstbezug, sondern durch Andersheit vermittelter Fremdbezug. Diese Antwort liegt deshalb nahe, weil das Selbst niemals für sich allein, als reines Ich=Ich, sondern in allen erfahrbaren Sinnvollzügen in Bezug auf anderes vorkommt – und sei dieses andere auch das objektivierte "Ich" der ausdrücklich-nachfolgenden Reflexion. Jedoch, auch für das ausdrücklich reflektierende Bewußtsein des Philosophen ist das Erste, bei genauem Hinsehen, nicht das Ich für sich allein, sondern Sinnvollzüge von der Struktur: "Ich denke etwas" oder "Ich sage jemandem etwas". Das Erste stellt eine Sinneinheit dar, an der sich das Ich nur als ein Moment unter anderen ausgliedert. Ebensowenig ist es korrekt, zu sagen: "Der Sinnbegriff ist primär, also ohne Bezug auf den Subjektbegriff zu definieren, weil dieser als sinnhaft konstituierte Identität den Sinnbegriff schon voraussetzt".43 Denn ein Sinn, bei dem sich das Ich als konstituierendes Moment vergißt, ist nur ein Objektivierter, den Bezug auf dieses Objekt nicht mitthematisierender Sinn – ein Sinnobjektivismus, der tiefere Irrtümer mit sich bringen kann als ein naiver Sachobjektivismus. Es ist nicht zu sehen, wie ein kritischer Sinnbegriff ohne Einbezug des Moments "Ich" gerechtfertigt werden kann. Wahr ist aber, daß "Ich" jeweils nur ein Moment ist: das des Woher, der dialektischen Vollzugs-Gehalt-Einheit von Sinn.
An dieser Stelle soll der Begriff des Sinn-Elementes eingeführt werden, dem eigentlich eine längere Untersuchung gewidmet werden müßte. Gemeint sind die "Pole", die Relata, zwischen denen die als Relationen bzw. 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Relationenbündel aufgefaßten Sinnvollzüge (Akte) spielen: Das Ich als Woher, Ursprung der Vollzüge, das Objekt als Worüber des Besprechens, andere Subjektivität (im sekundären Fall die eigene) als Woraufhin des Sprechens, als Angesprochener und schließlich das Worin, das Medium der Kommunikation, das "Apriori der Kommunikationsgemeinschaft"44, bei dem seine streng apriorisch Gestalt (Sinnraum überhaupt und logische Strukturen) von seiner geschichtlichen Gestaltung als Sprache, Kultur, Symbole, alltägliche Plausabilitäten usw. zu unterscheiden wären. 
Die Sinnelemente seien symbolisiert als S s (subjektives Subjekt oder Ich), O (Objekt), 
S o (objektives Subjekt oder Du bzw. Ihr) und M (Medium).
 
 
M

S s S o 
 
O
Wie gesagt, über diese Sinnelemente und ihre Vollständigkeit wäre eigens zu handeln. In etwa wird dies später im Zusammenhang mit den Reflexionsstufen nachgeholt werden. Sie treten hier nur soweit in die Argumentation ein, als es darum geht, die Rede von "Andersheit" und "Fremdbezug" etwas aufzugliedern. Daß es sich um Relata möglicher Sinnrelationen handelt, wird kaum geleugnet werden können. Daß sie den Rang von aufeinander unrückführbaren Relata und in diesem Sinne Elementen haben, wird für den folgenden Gedankengang noch nicht vorausgesetzt. Es genügt die aposteriorische Feststellung, daß sie an allen sprachlich artikulierten Vollzugs-Gehalt-Einheiten von Sinn mehr oder weniger als latent oder ausdrücklich vorhanden nachweisbar sind.
Unsere für diesen Zusammenhang wesentliche Behauptung geht dahin: daß es sinnlos und unzulässig ist, von einem "reinen" Selbst- oder Ichbewußtsein zu sprechen, das nicht in Beziehung zu den anderen Relata stünde: zu einem objektivierbaren Gehalt O, zu einer selbst subjektiven Andersheit S o, die im Grenzfall das eigene Ich qua objektiviertes sein kann sowie zu logischem, sprachlichem und sonstigem kulturellem "Material", in dessen Medium die Objektivität sowie die andere Subjektivität erscheint. Man könnte einwenden: Dies mag für die sprachliche Artikulation, somit für die Objektivierung von Erleben gelten, aber nicht für ein ursprüngliches "Erleben" selbst; hier seien diese Momente eins. Aber, so ist zu antworten, was heißt "eins"? Soll behauptet werden, daß diese Elemente in einem vorsprachlichen Erleben nicht nur nicht thematisch unterschieden, sondern ununterscheidbar, differenzlos eins sind?
Man sieht, daß diese Position eine Möglichkeit wäre, ein differenzloses, relationsloses, also präreflexives Selbstbewußtsein zu behaupten. Die Frage spitzt sich also darauf zu: Handelt es sich um nachträgliche Ausgliederung eines differenzlos Einen Erlebens – oder handelt es sich um Ausgliederung zumindest latent vorhandener Differenzen?
Unsere Fragestellung hat sich somit gegenüber den vorigen Paragraphen verschoben: Wir fragen nicht mehr nach der möglichen Differenzlosigkeit (d. h. Präreflexivität) eines reinen, inhaltslosen Selbstbewußtseins, sondern nach der möglichen Differenzlosigkeit eines inhaltsgefüllten Bewußtseins-Erlebens, selbst bevor es sich sprachlich artikuliert und dabei z.B. ichsagend das Element "Selbst" unterscheidet.
Wenn man bedenkt, daß wir uns auf ein sprachloses Erleben nicht als Psychologen einlassen, sondern als Sinnanalytiker, wird die Haltlosigkeit der Sicht deutlich, wonach die Sprache die Differenzen erst schaffen, setzen würde, während sie vorher nicht vorhanden wären: Sie mögen, psychologisch gesehen, nicht thematisch erlebt werden. Ihre Ausgliederbarkeit durch die Sprache sowie die faktisch vorhandenen Differenzen zwischen Ich, Du, Gegenstand und Sinnmedium machen es gewiß, daß sie selbst im (anscheinend) sprachlosen Erleben vorhanden, wenn auch latent, waren. Mit dieser, wie immer genauer zu analysierenden inneren Relationalität auch des einfachen, noch sprachlosen Erlebens entfällt nun aber der letzte Grund, ein präreflexives, d. h. in sich nicht-relationales Selbst anzusetzen. Es muß angenommen werden, daß das Selbst von vornherein in vielfacher Relationalität zu anderen Sinnelementen steht, so daß seine Relation zu sich selbst, seine Selbstreflexivität, nicht nur eine Redeweise ist, die ihren Ursprung in der Objektsprache hätte, nicht nur eine gedankliche Unterscheidung, sondern eine reale Unterscheidung ist, ebenso wie und weil die Beziehung auf real Anderes nicht nur Produkt der Sprache und des Denkens sein kann. 45
Von der inneren Selbstbezüglichkeit wird dann auch die Einheit von Selbstbezug und Fremdbezug, sosehr sie im einzelnen noch der Analyse bedarf, grundsätzlich verständlich, 
 
 
 
 
 
 
während von präreflexivem Wissen um sich selbst niemals einzusehen ist, wie es je eine Einheit, ja Identität des einen Bewußtseins mit dem Bewußtsein von anderem bilden kann.
Auch hier gilt die Formulierung von der Identität (des Einen Bewußtseins) von Identität (Selbstbewußtsein) und Nichtidentität (Bewußtsein der Andersheit, um nicht den zu engen Ausdruck "Gegenständlichkeit" zu verwenden). 
Die beiden Arten von Identität der Identität und Nichtidentität, die zeitlich-iterative (§ 3) sowie die hier untersuchte strukturelle stehen offensichtlich in engstem Zusammenhang zueinander: von der letzteren her wird verständlich, warum sich das Selbst in einer Vielheit von Akten wiederholen muß: weil es nicht rein für sich mit sich identisch ist: die zeitliche Identität der Identität und Nichtidentität ist ontologische Folge der strukturellen. Dies sei näher bedacht.
Daß eine gewisse Nichteinholbarkeit des menschlichen Selbstbewußtseins für sich selbst besteht, gehört zur alltäglichen und grundlegenden Erfahrung menschlichen Selbstseins.
Die Fragen: "Wer bin ich?" – "Was will ich oder soll ich tun?" - "Warum handle ich gerade so?" zeigen diese Uneinholbarkeit. Diese besteht einmal für die philosophische sowie alltägliche Objektivierung des Selbst. Sosehr die Überzeugung besteht, daß "I" (das reflektierende Subjekt) und "Me" (das reflektierte Subjekt) etwas miteinander zu tun haben – zur Deckung kommen sie in der nachträglichen Besinnung offensichtlich nicht. Aber gilt das nur für die nachträglich-objektivierende Reflexion; hat nicht auch die begleitende, unausdrückliche Reflexion den Charakter des Nachträglichen? Es ist nun möglich, aber auch notwendig, genau zu unterscheiden, soll nicht alles bisher Erarbeitete wieder verwischt werden.
Wenn Selbstreflexion nicht ein ewig unfruchtbares Hintersichherlaufen sein soll, wenn sie also überhaupt bestehen soll, muß eine Art von Selbsteinholung bestehen, und es ist präzis die Frage, wie die Rücksichten von Selbsteinholung und Nichteinholbarkeit genau zu kennzeichnen sind, in ihrer Unterschiedenheit und Einheit. Wir können von einer zeitlichen Nichteinholbarkeit im Hinblick auf die iterative Reflexion sowie von einer strukturellen Einholbarkeit im Hinblick auf die konstitituve Reflexion sprechen. Nun sind dies aber nicht zwei nebeneinander liegende Rücksichten. Es muß in der Eigentümlichkeit der strukturellen Selbsteinholung begründet sein, daß überhaupt ein iterative Reflexion nötig (und möglich) ist. 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Es sind, mit anderen Worten, an der konstitutiven Reflexion selbst die Rücksichten der Einholbarkeit sowie der Nichteinholbarkeit zu unterscheiden. Strukturelle Selbsteinholung soll heißen: Das Ich muß das Daß seiner Identität mit sich erfassen können, es braucht nicht sein Was-sein völlig einzuholen. Es kann dies, nach dem Ausgeführten, wohl auch nicht – wenn es Selbstbezug im Fremdbezug ist. Dann nämlich ist sein washaftes Selbstsein von der Begegnung mit Anderem abhängig. 
Unsere Sicht nimmt zu an Kohärenz: wir sahen ein, daß es der Fremdbezug (im Selbstbezug) ist, der das Ich zur Wiederholung seiner Selbstreflexion nötigt. Wir erkennen nun, daß an der konstitutiven Reflexion selbst aufgrund der Einheit von Selbstbezug-im-Fremdbezug eine Differenz auftritt: zwischen der strukturell-formalen-Einholbarkeit des Selbst und seiner inhaltlich Nichteinholbarkeit (im Sinne von Nichtabschließbarkeit). Es soll hiermit nicht von vornherein die Möglichkeit einer was-haften Selbsterkenntnis geleugnet werden, wie dies bei Kant der Fall ist,46 sondern lediglich die Möglichkeit einer erschöpfenden inhaltlichen Selbsterkenntnis. Dies widerspricht dann nicht dem Gedanken von Selbstbewußtsein als Selbstreflexion, wenn die Inhaltlichkeit des Selbst mit seinem Bezug auf Anderes gegeben ist. Gerade die strukturelle Selbsteinholung, die daß-hafte Selbsterkenntnis, beinhaltet in diesem Falle die Einsicht in die inhaltliche Nichteinholbarkeit. Dem Selbstbewußtsein widerfährt es daher nicht nur als ein unbegreiflicher Zwang, weiterreflektieren zu müssen und sich weiter auf Anderes einlassen zu müssen: weil es in der Selbsteinholung seiner Struktur die Einheit von Selbst- und Fremdbezug zur Kenntnis nimmt. Seine "Freiheit"47, wenn man von ihr reden will in diesem Zusammenhang, besteht hier lediglich in der Einsicht in die Notwendigkeit, sich auf Anderes in seiner bleibenden Andersheit einzulassen – und sich daher zeitlich zu entfalten. Kurz, der Zusammenhang zwischen Zeit und (iterativer) Reflexion gründet in der Struktur Selbstbezug-im-Fremdbezug an der konstitutiven Reflexion selbst: die zeitlich-iterative-Identität und Nichtidentität (§ 3) in der konstitutiven Identität der Identität und Nichtidentität als Selbstbezug-im-Fremdbezug. Wenn wir sagen, daß die strukturell-formale Selbsteinholung des Ich die Einsicht in seine inhaltliche Nichteinholbarkeit (im noch genauer zu bestimmenden Sinne: gar keine oder keine erschöpfende inhaltliche Einholbarkeit?) beinhaltet, dann scheuen wir uns nicht, die Reflexionsbegriffe Form und Inhalt zu verwenden. Es ist heute Mode, dieses Begriffspaar als von Hegel längst überholtes Relikt eines dialektisch unaufgeklärten Denkens liegen zu lassen. Hegel selbst hat sich jedoch die Mühe gemacht, ihre dialektische Zusammengehörigkeit und ihr Ineinanderübergehen zu zeigen, indem er die verschiedene Bestimmtheit der Gedanken "Form" und "Inhalt" zunächst einmal gelten ließ und nur ihr undialektisches Nebeneinander verwarf.48 Den entsprechenden Weg wollen wir hier für unser Problem gehen, ohne uns auf der Unterscheidung von formaler Selbsteinholung (in Bezug auf das Daß selbstbewußter Akte) und inhaltlicher Nichteinholbarkeit (in Bezug auf ihr Was) auszuruhen. Wir haben ihn schon angetreten, indem wir herausstellten: Die formale Selbsterkenntnis hat zumindest den Inhalt, die Angewiesenheit auf das Andere des Inhalts (auf die inhaltgebende Andersheit) zu erkennen. Sonst würde es sich nicht um die reflexive Selbsterfassung der Struktur Selbstbezug-im-Fremdbezug handeln.
Wir können und wollen auch bei dieser Formulierung nicht als bei einer unhinterfragbaren Zauberformel stehen bleiben. Es ging zunächst um die Entscheidung der Frage, daß Selbstbewußtsein aufgrund der unleugbaren Einheit mit Fremdbezug nur als reflexiver Selbstbezug denkbar ist, nicht präreflexiv. Man hätte auch von der Geltung ausgehen können, die in jedem Urteilen, Fragen und selbst schon im einfachen "Erleben" als Vernehmen eines Anspruchs usw. liegt. Das Phänomen Geltung läßt sich nicht aus einer einfachen "Seinshelligkeit" des Selbst verständlich machen, sondern nur als ein immanentes Zurückkommen eines Vollzugs auf sich selbst. Das formale Gelten ist aber das Gelten eines Inhalts, nicht eines "reinen", inhaltslosen Ich=Ich. Auch von dieser Seite aus würden wir auf Selbstbezug-im-Fremdbezug geführt. Nur bedarf diese zunächst richtungsweisende Formel selbst weiterer transzendentallogischer Erhellung.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
§ 5: Zirkuläre Reflexionsstruktur
 
Das Denken von Selbstbezüglichkeit erfordert die Relativierung einer Reihe von Denkgewohnheiten: das Subjekt-Objekt-Modell, die einseitige Intentionalität und Kausalität usw. zugunsten dialektischer Gegenläufigkeit und Gegensatz-Einheit. Für eine Formalisierung reflexionslogischer = dialektischer Beziehungen reicht der klassische, zweiwertige Formalismus nicht aus.
Es geht nun um genauere Aufklärung der Struktur von Selbstbezüglichkeit. Dabei wird zunächst noch einmal versucht, vom Bezug auf Andersheit (Fremdbezug) abzusehen. Wodurch unterscheidet sich Selbstbezüglichkeit von einem schlechten Zirkel, wie er dann auftritt, wenn man Selbstbezug nach dem Muster der objektivierenden Reflexion (§ 2) oder der zeitlich-iterativen Reflexion (§ 3) versteht, d.h. mißversteht? Daß der Zirkeleinwand in der bisher vernommenen Form entfällt, ist damit eingesehen, daß das Ich als reflektierendes in unserem Verständnis keineswegs schon das vollkonstituierte Selbstbewußtsein als Objekt seiner Reflexion zeitlich oder logisch voraussetzt. Aber voraussetzen tut die Reflexion zweifellos etwas. Auf diesen "Zirkel" von Voraussetzung und Setzung richtet sich jetzt unsere Frage. Das Faktum der konstitutiven Selbstreflexion kann vorausgesetzt werden. Es geht, mit Fichte zu sprechen, um die Genetisierung dieser Einsicht.
Wir haben also als Momente des einen Selbstbewußtseinsaktes einmal ihn als reflektierten, zum anderen ihn als reflektierenden, als gesehenen und sehenden, vorausgesetzten wie setzenden. Das reflektierte Moment soll aber insofern gerade mit dem reflektierenden identisch sein, als erst ihre Einheit die Identität oder Selbigkeit des Ich ausmacht. Keineswegs darf eines der beiden Momente schon als Selbst gedacht werden. (Das führte in den z. B. von Henrich gerügten Zirkel, der insofern vitiös ist, als er nicht erklärt, was er zu erklären vorgibt.) Auf der anderen Seite muß aber eine Selbigkeit zwischen dem reflektierenden und dem reflektierten Moment bestehen – sonst würde es sich nicht um Selbstbezug handeln. Das voraussetzende Moment ist also selbst setzend sowie das setzende selbstvoraussetzend.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Ist dies denkbar? Wenn es darum geht, diesen Gedanken der Selbstbezüglichkeit, der keine leere Identität, sondern die Identität unterschiedener Momente besagt, der Vorstellung näher zu bringen (denn sie ist es wohl, die hier dem Denken Schwierigkeiten macht), so ist das Bild des Kreises geeignet, das Hegel bevorzugt: Ein Punkt auf dem Kreisumfang "bezieht sich" durch die Kreislinie auf sich selbst – und ist doch als Anfangs- und Endpunkt "absolut" unterschieden, d. h. zwischen dem selbigen Punkt als Anfangs- und Endpunkt besteht die größtmögliche Entfernung, der denkbar größte Unterschied. Hegel spricht im Hinblick auf den Unterschied der Selbstreflexion von einem "absoluten Unterschied" und analysiert die von uns unterschiedenen Momente als: voraussetzende, setzende und bestimmende Reflexion.49 Das Bild des Kreises wäre dahingehend zu ergänzen, daß die Kreisbewegung (logisch-zeitlos) in beide Richtungen durchlaufen wird: weil das vorausgesetzte (reflektierte Moment) zugleich setzend (reflektiert) ist und das setzende zugleich voraussetzend. Es gibt keinen Grund, eine Einheit unterschiedener Momente, die sich in ihrer Unterschiedenheit gegenseitig real implizieren, nicht zu denken – außer dem dinglichen Vorstellungsdenken, dem dergleichen nicht vorkommt. Soll dieses aber darüber entscheiden, was Selbstbewußtsein und seine Struktur ist?
Die Struktur der Selbstreflexion wird allerdings durch die bald zu betrachtende Intersubjektivität leichter verständlich, weil phänomenologisch-anschaulich leichter nachvollziehbar. Bevor wir die Gründe namhaft machen, zu ihr überzugehen, um von ihr aus die Reflexionsstruktur des Selbstbewußtseins weiter zu differenzieren, noch einige Hinweise:
  1. Wir stehen mit der Struktur von Selbstbezüglichkeit an der Geburtsstätte dialektischen Denkens im neuzeitlichen Sinne, dies zumindest systematisch, wenn nicht auch historisch gesehen. Dialektisches und reflexionslogisches Denken sind dasselbe, und man könnte viel von dem beklagten Dunst um das Wort "Dialektik" mit dieser Einsicht auflösen.
  • Es ist aber sogleich hinzuzufügen, daß Reflexionslogik trotz der großen Transzendentalphilosophen noch nicht "den sicheren Gang einer Wissenschaft"50 erreicht hat. Dies nicht nur deshalb, weil mit ihr der Sinn von "Logik" und alle sinnhermeneutischen Grundprobleme mit zur Debatte stehen und sie keine Spezialtechnik sein kann, sondern weil die Aufgabe noch nicht genügend klar gesehen wird, d. h. daß es in der Philosophie um die Selbstentfaltung der methodischen Sinnreflexion geht. Vielleicht bietet schon das Wort "transzendental" , das seit Kant im Grunde dasselbe bezeichnen soll, ähnlich wie das obsolet und immer unklarer gewordene Wort "Metaphysik",51 durch seine Verwandtschaft zu "transzendent" und "idealistisch" zuviele Angriffsflächen und Ausflüchte.
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  • Zum sicheren wissenschaftlichen Gang von Reflexionslogik dürfte die Indienstnahme formallogischer Mittel unentbehrlich sein, weil die Alltagssprache, auch die wissenschaftlich dressierte, weit überfordert ist. Als Beispiel mag die Hegelsche Logik dienen. In diesem Zusammenhang verdienen die Arbeiten von Gotthart Günther höchste Beachtung, in denen eine philosophische Theorie formallogisch mehrwertiger Kalküle entwickelt wird.52 Günther deckt den Zusammenhang zwischen klassischer (aristotelischer) Logik der Zweiwertigkeit und einem nicht selbstreflexiven Gegenstandsdenken einerseits sowie einer echt mehrwertigen (d. h. nicht nur Wahrscheinlichkeitswerte ansetzenden) formalen Logik und der Ontologie der Reflexion andererseits auf – ein Zusammenhang, der sowohl von den Transzendentalphilosophen wie von den Formallogikern bisher verkannt wurde.53 Wir müssen darauf verzichten, seinen Ansatz zur formallogischen Darstellung von Reflexionsstrukturen hier zu referieren.
  • Es seien einige Überlegungen zum Verhältnis von klassischer und dialektisch-reflexiver Logik angefügt, die sich unmittelbar an die oben herausgestellte Struktur von Selbstbezug anschließen. Gemäß dem aristotelischen Nichtwiderspruchsatz müßte man sagen: Ich ist nicht erkennend, sofern es erkannt ist; es ist nicht erkannt, sofern es erkennend ist. Erkennendes (reflektierendes) und erkanntes (reflektierendes) Ich sind nicht dasselbe. Selbstbezüglichkeit meint nun aber gerade die Selbigkeit, die Identität von erkennendem und erkanntem Ich, oder von Ich als erkennendem und als erkanntem. Ohne diese Ineinssetzung geraten wir in der Tat in den Zirkel, daß schon als Ich vorausgesetzt wird, was erst durch den Selbstbezug konstituiert werden soll. Auch die Trennung von Rücksichten ("Insofern")54 hilft da auch nicht weiter: Ich ist kein Selbstbezug, wenn es nicht gerade erkannt wird, insofern es erkennt. Man sieht, daß die Struktur von Selbstbezüglichkeit in einer Konkurrenz zum formallogischen Nichtwiderspruchssatz steht: Es wird ausgesagt, daß die Rücksichten von "erkennend" und "erkannt", unbeschadet ihrer Unterschiedenheit, selbig sind. Daß "dasselbe demselben nicht unter derselben Rücksicht zukomme und nicht zukomme" – eben das scheint nicht mehr gewährleistet zu sein. Man versteht die obigen Bemerkungen über den Anfang des dialektischen Denkens bei der Struktur von Selbstbezüglichkeit erst voll, wenn man dieser Aporie in aller Schärfe gewahr wird.
  • Zugleich kann hier verständlich werden, daß das formale Nichtwiderspruchsdenken (Entweder-Oder-Denken) etwas mit dem gegenständlichen Subjekt-Objekt-Verhältnis zu tun hat, d.h. mit einer nicht-reflexiven Struktur - wenn nur einsichtig wird, daß die behauptete Selbstbezüglichkeit nicht ein Ungedanke ist. Daß es sich nicht um einen Ungedanken handelt, muß aber unserem objektivierendem Nachdenken, für die der Nichtwiderspruchssatz nun einmal gilt und in keiner Weise geleugnet werden soll, nahegebracht werden. Dazu greifen wir hier auf den Gedanken von Reflexionsstufen vor, der erst im folgenden Paragraphen konkretisiert und ausgebaut werden kann. Wenn man einmal davon ausgeht, daß die unreflektierte, einseitig intentionale (lineare) Beziehung (wie sie für das Subjekt-Objekt-Modell vorgestellt wird und was überhaupt gewöhnlich unter "Intentionalität" verstanden wird) nur eine Stufe ist, die in eine Reflexion auf diese Beziehung und eine weitere Reflexion auf diese Reflexion eingeordnet werden kann, dann kann man bereits eine Lösung der hier aufgetretenen Aporie zwischen formaler Nichtwidersprüchlichkeit und dem Gedanken "Selbstbezug", somit einer dialektischen Logik, umrißhaft absehen:
    Die klassische Logik ist eine Logik des gegenständlichen Seins oder unreflektierter Beziehung. Sie behält ihre Gültigkeit vor allem als Aussagenlogik, insofern der Nichtwiderspruchssatz Voraussetzung alles geordneten Sprechens bleibt, und dies, weil die Objektivierung eine "Grundwendung aller Sprachen" 55 darstellt. Daher muß es auch im dialektischen Denken, d. h. im Besprechen reflexionslogischer Sachverhalte um Vermeidung des Widerspruchs gehen. Dies nicht, weil die Wirklichkeit nicht widersprüchlich sein könne, sondern weil sinnvoll, geordnet gesprochen werden muß. Die Wirklichkeit kann weder widersprüchlich (in diesem Sinn) noch nicht-widersprüchlich sein, wo sie über unreflektierte Verhältnisse, d.h. über zweiwertige Ausschließungsverhältnisse hinausgeht. Die zweiwertige Rede von "widersprüchlich" hat nur einen sehr eingeschränkten ontologischen Sinn.
    So wurde auch oben formallogisch geordnet gesprochen, indem zuerst Rücksichten unterschieden wurden (erkennendes/erkanntes Ich) - und diese dann ebenso geordnet ineins gesetzt, also "aufgehoben" wurden. Aus diesem Verfahren folgt keineswegs eine Beliebigkeit des Sprechens, und zwar deshalb nicht, weil die Aussagen in ihrer Reihenfolge einen verschiedenen "Stellenwert" haben.56 Es wird keineswegs "zugleich", sozusagen im gleichen Atemzug gesagt, Ich als erkanntes sowie als erkennendes seien nichtidentisch und identisch. Das Nacheinander des Sprechens zeigt auf iterative Weise verschiedene konstitutive Reflexionsstufen an, auf denen die Sätze gültig sind. Beim linearen Sprechen ebenso wie bei der Formalisierung scheint es sich somit um Nachahmung konstitutiver Reflexionsstufen durch Iteration in der ausdrücklich objektivierenden Reflexion zu handeln. Mag sein, daß ein Formallogiker diesen Stellenwert nicht berücksichtigen will und sich eben dadurch weigert, einen mehrwertigen Formalismus einzuführen, der verschiedenen Reflexionsstufen gerecht wird. Er kann nicht leugnen, daß die einzelnen Aussagen formallogisch sinnvoll sind, und auch nicht, daß jeweils eine "Rücksicht" angegeben werden kann, unter denen sie gelten. Wenn er verbietet, sie im nächsten Schritt ineinszusetzen, macht er einen zweiwertigen formallogischen Formalismus zu einem ontologischen Universalgesetz – während wir nur bereit sind, dem Entweder-Oder eine sehr begrenzte ontologische Geltung zuzuerkennen: für den Bereich unreflektierter Beziehungen. Der Geltungsbereich von klassisch-formaler und dialektischer Logik (die wiederum in sich gestuft ist), läßt sich von diesem Gesichtspunkt der Reflexionsstufen her abstecken. Das Problem des Verhältnisses von klassischer und dialektischer Logik ist selbst ein Reflexionsproblem. Sosehr einzelne Aussagen unserer nicht-formalisierten Sprache aufgrund ihres "Objektivismus" (eines Objektivismus qua Aussagen übrigens, nicht qua pragmatischer, interpersonaler Sprachvollzüge) an die klassische zweiwertige Logik gebunden bleiben - die Grenzen einer sinnvollen Ontologie, d.h. einer Logik des gelebten Sinnes und des Denkens überhaupt, kann diese nicht abstecken.
    Die ontologische Bindung war für die klassische Logik einerseits selbstverständlich, solange eine zweiwertige Objekt-Ontologie tonangebend war, andererseits als selbstverständlich jedoch nicht in ihrer ontologischen Geltung in Frage gestellt und explizit durchdacht. Wenn heutige Formallogiker den ontologischen Zusammenhang lösen, indem sie ihn dahingestellt lassen oder negieren, mögen sie als logische Mathematiker oder "Techniker" des logischen Kalküls konsequent sein. Nur stellt sich die Frage nach der ontologischen Relevanz logischer Kalküle, die in der Mathematik in bezug auf die Raum-Zeit-Welt relativ selbstverständlich gesichert ist. 
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    Mit der Suspendierung der ontologischen Frage verläßt der Logiker jedoch leider geistig die philosophische Fakultät, insofern für ihn nicht mehr das Ganze von Logos oder Sinn zu Debatte steht, sondern relativ willkürliche oder aber unbewußt an überholte Ontologie gebundene Formalstrukturen. Solches Auseinanderleben von Philosophie und Logik kennzeichnet ihre Geschichte seit über hundert Jahren. Umso mehr fasziniert die Aussicht auf ein möglich und notwendig gewordenes Wiederfinden. Es wäre ein Sichwiederfinden von verobjektivierter Form und versubjektiviertem Inhalt des Denkens.
  • Es wurde erwähnt, daß die zirkuläre Struktur der Selbstreflexion (ein ontologischer Zirkel im Unterschied zu einem vitiösen erkenntnistheoretischen Zirkel) 57 die Auffassung von einseitiger Intentionalität sowie von ebenso einseitiger Kausalität und Ursache-Folge-Verhältnissen relativiert wie das Subjekt-Objekt-Modell der Erkenntnis. Relativierung bedeutet nicht Abschaffung, sondern Einordnung in ein umfassenderes Ganzes. Daß mit dem Zirkel von Setzung und Voraussetzung sowie (was mit "Zirkel" als Vorstellung einer Kreisbewegung in eine Richtung noch nicht erfaßt ist) innerer Gegenläufigkeit (das Setzen ist ein Sichvoraussetzen und umgekehrt) eine derartige Revolution klassischer Kategorien eintritt, ist nicht schwer zu erkennen. Vor allem von Seiten des dialogischen Denkens hat man in den letzten Jahrzehnten einen Dualismus von "Intentionalität" und "Dialogizität", Kausalität und dialogischem Wirken usw. aufgestellt. Solche Dualismes sind trotz ihrer sachlichen Berechtigung und vielleicht geistesgeschichtlichen Notwendigkeit eben deshalb gefährlich und auf Dauer unfruchtbar, weil es sich um Dualismen handelt. Soll z.B. "Intentionalität" auf einseitig –zielendes Intendieren, Meinen, Handeln festgelegt werden? Man tut es faktisch, mangels der Einsicht, daß es um den Unterschied zwischen Reflexionsstufen geht, z. B. daß "dialogisches Handeln" eine in sich reflexive, gegenläufige Intentionalität darstellt. Dadurch wird die Unhaltbarkeit der Vorstellung, geistiges Wirken sei einseitige Intentionalität, nicht allgemein genug erfaßt. Dies wird sich im folgenden durch den Einbezug der anderen Sinnelemente, d.h. des Fremdbezugs in den Selbstbezug, zeigen.
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    § 6: Reflexionsstufen: Selbstvermittlung durch Andersheit
     
    Das Problem der Abschließbarkeit des konstitutiven Selbstbezugs zu inhaltlicher Bestimmtheit ist von der innersubjektiven Betrachtung allein her nicht zu lösen. Den Arten von Andersheit (Sinnelementen) entsprechen grundlegende Intentionalitäts- oder Handlungstypen und Stufen der konstitutiven Reflexion, die in einem intersubjektiven Handlungssystem einen ihr selbst einsichtigen strukturellen Abschluß findet.
    Wir haben allen Anlaß, unsere Aufmerksamkeit erneut dem Fremdbezug und seiner Einheit mit dem Selbstbezug zuzuwenden. Er besteht äußerlich darin, daß wir im vorhergehenden Paragraphen vom Fremdbezugs abgesehen haben, um die zirkuläre Struktur des Selbstbezugs und seine umstürzende Bedeutung rein für sich scharf ins Auge zu fassen. Nun können wir uns jedoch nicht damit begnügen, "auch noch" (additiv) vom Fremdbezug zu reden, sondern müssen den inneren Anlaß, ihn wieder in die Betrachtung einzubeziehen, d.h. seinen Zusammenhang mit dem Selbstbezug von diesem selbst her aufzuzeigen. Dieser Anlaß und Zusammenhang besteht darin, daß der erkenntnisfundierende Wert der Selbstreflexion, ihre inhaltliche Erfülltheit, mit der Einsicht in den leeren Zirkel der Selbstreflexion des Ich=Ich noch nicht gesichert ist. Wenn das Selbstbewußtsein formal einen Zirkel beschreibt und in ihm "nur daß ich bin"58 erkannt wird – welchen Wert hat dies für unsere inhaltliche Erkenntnis und Selbsterkenntnis? Könnte nicht gerade dieser Zirkel in einem tieferen Sinne "vitiös" sein als ein bloß erkenntnistheoretischer vitiöser Zirkel, gerade weil er ontologisch besteht und alle inhaltliche Erkenntnis durch Reflexion zu einem aussichts- und sinnlosen regressus oder progressus in infinitum verurteilt? Das formale, leere Ich=Ich als dynamisierendes Prinzip eines reflexiven Scheines, der bestenfalls Einsicht in seinen Scheincharakter gewinnt?
    Gefragt ist somit nach dem erkenntnisbegründeten Wert des von uns aufgewiesenen Zirkels. Könnte sich nicht die eisernste Selbstgewißheit mit einem inhaltlichen Relativismus verbinden, der zwar nicht völlig universal ist (solange man die formale Selbstgewißheit des "Ich denke" nicht leugnen will), aber doch umfassend genug, um z. B. dem stimmungsmäßigen Relativismus unserer Epoche (der such gut mit einer empirischen Sammelfreudigkeit verträgt) als Legitimationsgrundlage zu dienen. 
    Das erkenntnistheoretische Problem der Gültigkeit von (auch empirischer) Erkenntnis in ihrer Bestimmtheit, das sich hier stellt, betrifft die Frage: Wie tritt der Bezug auf Anderes in eine Einheit mit dem Selbstbezug? Ich kann über jeden inhaltlich, mit Andersheit gefüllten Akt reflektieren – und kann über diese Reflexion reflektieren usw. Führt das nicht ins Unendliche fort? Gibt es da einen legitimen Halt? "Halt" würde hier besagen, daß ich nicht in die nebulosen Fernen, in die Leere des schlechten Unendlichen gerate,59 und mit ihr jede erkennbare Beziehung zwischen der anfänglichen Gegenstandserkenntnis und meiner Selbstbezüglichkeit in diesen Fernen der iterativen Reflexion verschwindet.
    Hans Wagner hat in seinem wichtigen Werk "Philosophie und Reflexion" der Iteration folgendermaßen Einhalt geboten: "Zweifellos sinnhaft sind die ersten vier Schritte, zweifellos sinnlos sind alle folgenden. Ergibt der erste Reflexionsschritt die Möglichkeit, Struktur und Gesetzlichkeit eines gegenstandsbezogenen Aktes zu erfassen und zu bedenken, so ergibt der zweite Reflexionsschritt die Möglichkeit, die zweifellos andersgeartete Struktur und Gesetzlichkeit eines auf einen gegenstandsbezogenen Akt gerichteten Reflexionsaktes zu erfassen und zu bedenken, so ergibt weiterhin der dritte Reflexionsschritt die Möglichkeit, die wiederum etwas anders geartete Struktur und Gesetzlichkeit eines Reflexionsaktes, der sich auf einen Akt richtet, welcher auch selbst bloß mehr ein Reflexionsakt ist, zu erfassen und zu bedenken, uns so ergibt schließlich der vierte Reflexionsschritt die Möglichkeit, festzustellen, daß der von ihm betrachtete und bedachte Reflexionsakt... genau dieselbe Struktur und Gesetzlichkeit hat wie der im dritten Reflexionsschritt betrachtete und bedachte Reflexionsakt, was natürlich nichts anderes besagt, als daß jeder weitere, gewiß formal mögliche, Schritt uninteressant und müßig bleiben müßte. Nur drei verschiedene Reflexionsakte können eben inhaltlich sinnvoll und theoretisch relevant, weil in Struktur und Gesetzlichkeit unterscheidbar, sein: die Reflexion auf einen gegenstandslosen Akt (1); die Reflexion auf einen Akt, der selbst Reflexionsakt auf einen gegenstandsbezogenen Akt ist (2); die Reflexion auf einen Akt, der selbst Reflexionsakt ist, sich aber auch bloß mehr auf einen Reflexionsakt richtet (3). 
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    Vom vierten Reflexionsschritt ab kann kein neuer Typus von Reflexionsakt mehr auftreten. Will man trotzdem a tout prix "weiterreflektieren", so lassen sich die Schritte höchstenfalls numerisch unterscheiden, innerlich sind sie voneinander notwendig ununterscheidbar, das Unternehmen ist also im Vollverstand des Wortes sinnlos."60
    Welchen Wert hat eine solche Überlegung für unsere Frage nach einer Einheit (Vermittlung) von Selbstbezug und Fremdbezug? Obwohl Wagner von aufeinanderfolgenden Akten einer iterierten Reflexion spricht,61 vermag seine Betrachtung vielleicht auch auf die konstitutive Reflexion des Selbstbewußtseins ein Licht zu werfen, nämlich auf das Problem einer inhaltlichen Abschließbarkeit der Selbstreflexion (nicht nur einer formalen Anschließbarkeit, die zugleich wegen ihrer Leere Unabgeschlossenheit in bezug auf Inhalte besagt). Die konstitutive Reflexion wäre als inhaltlich bestimmt und abschließbar einsichtig, wenn es sich nicht um ein leeres Kreisen auf ein und derselben Stufe, sondern um ein (zeitloses) Durchlaufen einer begrenzten Zahl von Reflexionsstufen handelte.
    Nun geht Wagner aber von der Reflexion auf gegenstandsgerichteter Akte aus und reflektiert immer tiefer ins "reine" Selbstbewußtsein hinein. Die anfänglich noematische (auf Gehalte gerichtete) Reflexion wird immer mehr eigentliche Selbstreflexion – dadurch, daß der Gegenstandsbezug zum Verschwinden gebracht wird. Seine Idee ist es, ein mehrfachgeschichtetes Apriori der Reflexion gegenüber dem empirischen Gegenstandsbezug vorzubereiten. Es ist jedoch die Frage, ob die apriorischen Strukturen solche des "reinen" Selbstbezugs sind - und nicht vielmehr "Strukturen und Gesetzlichkeiten" des Selbstbezugs-im-Fremdbezug. Würde ein rein innersubjektives Apriori nicht gerade in die Leere jenes Reflexionszirkels führen, von dem wir als Problem ausgegangen sind? Führt er nicht, seiner erkenntnistheoretischen Fragestellung entsprechen, gerade auf den bloßen Selbstbezug, von dem wir ausgegangen sind? Die unendliche Iterierbarkeit, die Wagner für möglich, aber für sinnlos hält, zeigt genau diese Leere an: "Denn es zeigt sich dann, daß sie durch ihr eigenes Wesen dazu verurteilt ist, in und aus ihr selbst keinen Abschluß, aber auch keine positive Unendlichkeit gewinnen zu können ..."62 Wagner versucht nicht, die von ihm genannten iterativen Reflexionsschritte mit ihrer jeweils eigenen "Struktur- und Gesetzlichkeit" als Stufen einer konstitutiven Reflexion zu fassen, die einen inhaltlichen Abschluß findet. Das wäre auch nur möglich, wenn man die Reflexionsstufen als jeweilige Stufen der Vermittlung mit Andersheit erfaßt, nicht als immer weitere Entfernung vom Gegenstandsbezug. Gibt es überhaupt, eine stillschweigende Voraussetzung bei Wagner, "den" Gegenstandsbezug schlechthin als immer unreflektierten Bezug auf Andersheit? Gibt es vielleicht "Gegenstände" (man sieht, warum hier das abstrakte Wort "Andersheit" vorgezogen wird), auf die ich mich adäquat (als auf solche) nur reflexiv beziehen kann?
    Dahin geht unsere positive Vermutung: Die Stufen des reflexiven Selbsbezugs (auf die wir durch Wagners Iterationsbetrachtung lediglich aufmerksam wurden) müssen zugleich als Stufen des Fremdbezugs, der jeweiligen Andersheit, gefaßt werden. So könnte das Problem einer inhaltsgefüllten Abschließbarkeit der Selbstreflexion wie zugleich der Einbeziehung von Andersheit in sie gelöst werden: Reflexion als Rückkehr vom Anderen zu sich, aber –dieses Mißverständnis muß energisch ferngehalten werden – nicht so, als sei es eine Rückkehr zu einem vorher schon für sich allein konstituierten Selbst. Durch eine solche zeitlich-vorstellungsmäßige Rückkehr-Auffassung würde das Problem der Einheit von Selbstbezug-im-Fremdbezug sowie einer inhaltlichen Bestimmtheit des Selbstbezugs wiederum ignoriert. Die innere Gegenläufigkeit des Selbstbezugs (von Setzung und Voraussetzung) muß jetzt als innere (d.h. zeitlose) Gegensatz-Einheit von Hinkehr und Rückkehr verstanden werden. Diese Bilder-Worte sinken zu seiner faden Erbaulichkeit herab, sobald das begrifflich-dialektische Salz aus ihnen verschwindet. Und dazu braucht man nur alles in eine Zeit hineinzuprojizieren, die selbst nicht reflexionslogisch verstanden wird.
    Das Trügerische der Zeitvorstellung muß umso mehr betont werden, als wir die schon im Vorhergehenden geübte Methode weiterverfolgen, von einer iterativ-zeitlichen Folge verschiedener Akte auf konstitutive Reflexionsstruktur und –stufung einzelner Akte zurückzuschließen. So wird im folgenden eine Stufenfolge verschiedener Akte – oder Intentionalitätstypen mit entsprechenden Typen von "Gegenständlichkeit" (Andersheit) untersucht.
    Was gemeint ist, wird an folgendem anschaulichen Gedankenexperiment sogleich klar werden. Wir nehmen ein solches Beispiel, das geeignet ist, die in § 4 aufgeführten Sinnelemente, die verschiedene Arten von Anderssein, in sich aufzunehmen, daher aus dem Bereich der Intersubjektivität. 
     
     
    Nehmen wir an, ein befreundetes Paar, das sich früher zu einer bestimmten Tageszeit zu treffen pflegte, lebt nun getrennt in zwei verschiedenen Städten.
    1. Er kommt, ohne jede Verabredung, auf den Gedanken, die Zeit des täglichen Treffens wenigstens geistig einzuhalten, in dem er an sie denkt, vielleicht auch etwas schreibt oder etwas für sie erledigt. Er macht sich keine Gedanken darüber, ob sie gerade zu dieser Zeit dasselbe tut und ihm diese Zeit widmet. Es mag sein, daß sie faktisch dasselbe tut. Doch bleiben ihre Intentionen einseitig. Es handelt sich zwar bereits um ein intersubjektiv gemeintes Handeln, aber noch nicht im "soziales Handeln", das sich am Verhalten anderer orientiert. Insofern liegt dieselbe unreflektierte Intentionalität vor, wie sie für Handeln auf Objekte kennzeichnend ist, für technisch-praktisches Handeln oder, gegenüber Subjekten, für rein theoretische Information.63 Das technisch-praktische Handeln kann auch subjektiv höchst reflektiert ("intelligent" sein; aber es geht hier um eine Reflexivität des Verhältnisses Subjekt-Andersheit.
  • Nun erfährt sie durch Mitteilung eines Dritten von seinem Verhalten. Sie beginnt nun, zur betreffenden Zeit an ihn zu denken, doch jetzt in dem Wissen, daß er zur gleichen Zeit an sie denkt. Die Intentionalität ihres Handelns qua Verhältnis Selbst-Anderer ist nun bereits reflektiert: sein Denken an sie geht in ihr Denken an ihn ein. Sie orientiert sich an seinem Verhalten. Eine Erwartung über sein Verhalten ist für das ihrige konstitutiv. Diese, einfach und einseitig reflektierte Intentionalität (das hier nur einen Übergang zur nächsten Stufe bildet) kennzeichnet das sogenannte strategische Handeln, das selbstinteressiert das Verhalten anderer erwartet und einzuberechnen sucht.64 In unserem Beispiel mag der Dritte sich einen Spaß daraus machen, ihm seinerseits von ihrem An-ihn-denken mitzuteilen, jedoch nicht von dem ihr mitgeteilten Wissen. Dann stellt sich eine Symmetrie her: beider Intentionen sind einseitig reflektiert, bleiben jedoch noch auf derselben Reflexionsstufe. Diese Symmetrie ist noch keine kommunikative Gegenseitigkeit, sondern eine bloß faktische Gegenseitigkeit, wie sie auch schon auf der ersten Stufe möglich war.
    1. Eines Tages teile nun jener Dritte ihm mit, daß sie nicht nur zu der betreffenden Zeit an ihn denkt, sondern auch von seinem Denken an sie weiß. Dadurch ändert sich die Reflexionsstufe seines Verhaltens: Er weiß sich in einer geistigen, in diesem besonderen Beispiel nicht physisch 
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    (durch Sprache usw.) zum Ausdruck kommenden Kommunikation mit ihr zu der bestimmten Zeit, wo er sicher sein kann: auch sie denkt jetzt an mich in der Erwartung und Gewißheit, daß ich dasselbe tue. Konstitutiv für sein Verhalten sind somit jetzt Erwartungserwartungen: Er erwartet ihr Erwarten. Nun kann sich auch hier wiederum faktische Symmetrie herstellten (indem der Dritte ihr dasselbe mitteilt – außer von seinen neuen Erwartungserwartungen, d. h. daß er von ihren Verhaltenserwartungen weiß). Es ist deutlich, daß diese faktische Symmetrie gegenseitiger Erwartungserwartungen noch immer eine prekäre Schwebelage bleibt. Gegenseitige Erwartungserwartungen sind noch kein systembildender Abschluß. Es bedarf einer weiteren Reflexion: des Wissens und der Verständigung über die Gegenseitigkeit.
  • Diese abschließende Reflexion kommt zustande, wenn die beiden sich endlich brieflich oder telefonisch über ihr geistiges Treffen zu der betreffenden Zeit verständigen, also eine gemeinsame Verhaltensnorm verabreden. Diese Verständigung über die Gegenseitigkeit von Erwartungserwartungen heiße Metakommunikation. Man erkennt leicht, daß damit die Reflexion zu einem kreisartigen Abschluß kommt und daß ein Weiterreflektieren sinnlos, ja unmöglich ist – es sei denn, es käme neuer "Input" in den Reflexionskreis, d.h. beide würden sich über weitere Inhalte verständigen. Doch dies stellt offensichtlich eine Iteration derselben Struktur dar.
  • Das Gedankenexperiment mag spielerisch anmuten und ist es deshalb, weil in einer normalen "Kommunikation" alle vier Reflexionsstufen instantan durchlaufen werden – wobei die Fragen offenbleiben, welche Ebene der Interaktion die thematisch maßgebende bleibt, was ein Nichtgelingen der metakommunikativen Verständigung über Erwartungserwartungen bedeutet usw. Es zeigt aber äußerst wichtige Reflexionsstrukturen, nämlich die vermuteten Ebenen oder Stufen der Reflexion. Das Wichtigste ist zunächst einmal die Abschließbarkeit, und zwar in einem Inhalt, hier in einer Verhaltensnorm, allgemein: in einer Bestimmung (Determination) des gemeinsamen Sinnmediums. Die Abschließbarkeit wird einsichtig, obwohl wir von iterativ aufeinanderfolgenden Akten ausgingen. Das Künstliche unseres Beispiels lag aber gerade darin, daß die Konstitution eines Reflexionszirkels zwar durch Iteration (aufeinanderfolgende Akte) geschehen kann (wir kommen im sozialphilosophischen Zusammenhang darauf zurück), aber nicht braucht – und im Hinblick auf das Selbstbewußtsein nicht ursprünglich iterativ sein kann (§ 3), sondern die innere Reflexionsstruktur 
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    eines einzigen Aktes sein muß. Die sozialtheoretische Auswertung der Reflexionsstufen wird uns im II. Teil beschäftigen. Hier geht es zunächst um einige subjekttheoretische Konsequenzen. Die erste dieser Konsequenzen besteht allerdings darin, daß Subjekttheorie qua Selbstbewußtseinstheorie ohne anfängliche Sozialtheorie nicht legitimierbar ist. Wir haben bereits gezeigt, daß Selbstbewußtsein als Selbstbezug-im-Fremdbezug zu analysieren ist – und haben nun Grund zu vermuten, daß der Zirkel der Selbstbezüglichkeit (§ 5) selbst ein interpersonaler Zirkel ist, und daß er deshalb nicht bloß formal bleibt, sondern inhaltlich gefüllt wird. Denn die Abschließbarkeit des Reflexionszirkels war gerade durch eine inhaltliche Identität, durch reflexive Identifizierung der gegenseitigen Erwartungserwartungen, gewährleistet. Diese inhaltliche Bestimmtheit der Abschlußreflexion wird dadurch ermöglicht, daß die Andersheit von Form und Inhalt durch die Andersheit jeweils selbstreflexiver Partner vermittelt wird. In unserem Modell ist die jeweilige Selbstreflexivität der Partner selbstverständlich bereits vorweg gegeben. Unsere Behauptung geht jedoch dahin, daß eine Einheit von Selbstbezug-im-Fremdbezug, also Selbstbewußtsein, ursprünglich nicht anders denn als Pluralität von Selbstbewußtsein möglich ist: Der Bezug auf Andersheit (1) ist ein Bezug auf mich, sofern der Andere sich auf mich bezieht (2) und darin seinen Selbstbezug hat (2) als einen mit mir gemeinsamen (3) und als gemeinsam gewußten (4). In diesem Satz wurde versucht, das obige Modell zu verallgemeinern und die mit ihm gegebenen Zufälligkeiten abzustreifen. Man sieht, wie die Sprache überfordert ist, wenn es darum geht, Reflexionsverhältnisse zu formulieren. Durch die unvermeidliche Inadäquatheit der umgangssprachlichen Formulierung hindurch muß jedenfalls dies als entscheidend erfaßt werden: Die Einheit von Selbstbezug und Fremdbezug läßt sich nur so denken, daß der Fremdbezug als solcher selbst Selbstbezug wird, wenn mit anderen Worten im "angeschauten", inhaltlichen Anderen nicht nur ich selbst mich "anschaue", als Inhalt "gespiegelt" wiederfinde (3), sondern mein formaler Selbstbezug als Denken sich darin konstituiert (4). Man sieht, es geht um alles die zugleich: Einheit von Denken und intellektueller Anschauung,65 von Form und Inhalt (der keine bloße Andersheit mehr bleibt) sowie von Selbst und Anderem. Der Beweis dafür, daß die vermittelte Einheit von Selbstbezug und Fremdbezug nur als Intersubjektivität stattfinden kann, liegt in dem – wenn er einmal erfaßt ist – einfachen Gedanken, daß der Fremdbezug als solcher Selbstbezug sein muß, der Bezug auf anderes der Bezug auf sich, und dies ist nur möglich, wenn die Andersheit Selbstbezug ist. Von der 
     
     
     
     
     
     
     
    selbstbezüglichen Andersheit gilt dasselbe. Die vermittelte Einheit oder reflexive Identität ist daher nur in einem Dritten möglich, in dem jeder sich als in Einheit mit dem Anderen denkt (Aspekt der reflexionslogischen Vermittlung) und anschaut (Aspekt der unmittelbaren Andersheit des Dritten): das Sinnmedium bzw. dessen aposteriorische Gestaltung.66
    Auf ethische und erlebnismäßig-phänomenologische Betrachtung von Intersubjektivität kann hier verzichtet werden. Es geht in diesem Zusammenhang um nichts anderes als um Selbstbewußtseinsanalyse. Eine "weltanschauliche" Perspektive legt sich jedoch nahe und kann das Gesagte bereichern. Die gezeichnete reflexive Identität ist die einzige, die von "Einheit" im eigentlichen Sinne zu sprechen erlaubt. Alles andere ist Einerleiheit (Differenzlosigkeit), mehr oder weniger zufällige materielle Kombination, menschliches Vorstellungs- oder Kunstprodukt. Einheit von Organismen und Systemen ist bereits reflexive Einheit (wie in § 8 deutlicher werden wird), d.h. Einheit in Differenz. Die denkbar radikale Differenz ist die der selbstbezüglichen Freiheit. Zugleich ist sie in höchstem Maße kommunikabel, d.h. zu einer Einheit mit anderer Freiheit fähig. Sosehr die Vereinzelung und "Icheinsamkeit" (Husserl) denkerisch wie erlebnismäßig erschrecken kann – ohne sie gibt es keine Einheit, die diesen Namen verdient. Das "Abendland" ist den Weg der Vereinzelung, der Personalisierung, gegangen, der gefährlich ist, jedoch unerläßlich für eine Einheit, die höher ist als das regressive Eintauchen in Differenzlosigkeit.
    Die dialektische Gegenläufigkeit von Selbstbezüglichkeit (§ 5) enthüllt sich somit als begründet in dialogischer Gegenläufigkeit von Selbstbezug-im-Fremdbezug, von freier Gegenseitigkeit, von Intersubjektivität. Hier legen vor allem zwei Mißverständnisse nahe, die sogleich abzuwehren sind:
    1. Sowie der Selbstbezug nicht vor dem Bezug auf Anderes angesetzt werden kann, so kann er auch nicht aus dem intersubjektiven Bezug erklärt werden in der Weise, als ginge Intersubjektivität transzendentallogisch der Subjektivität voraus. Dies wäre wiederum ein schlechter Zirkel: Denn die Intersubjektivität impliziert selbstbezügliche Subjektivität. Zwar kann und muß die noch latente Selbstbezüglichkeit des Kindes durch schon vorhandene Sozialität (Intersubjektivität) erweckt, zur Realisierung gebracht werden. Aber es ist ein Trugschluß, selbstbewußte Identität aus sozialer Reflexivität genetisch ableiten zu wollen. 
     
    Dieser Trugschluß scheint in den Arbeiten von G. H. Mead vorzuliegen. So verdienstvoll es war, daß Mead die kaum zu überschätzende Rolle des Intersubjektivität für die Entstehung von Selbstidentität dem herrschenden Individualismus seiner Zeit entgegenhielt, er überzieht seine These, wenn er das geistige Subjekt zum Evolutionsprodukt von Intersubjektivität erklärt.67 Wir setzen nicht gegen Mead die These, das selbstbewußte Subjekt wie früher als der intersubjektive Zusammenhang. Gerade diese Alternative einer zeitlichen und logischen Priorität lehnen wir als falsch und verhängnisvoll ab. Evolution gesehen mögen dem Auftreten menschlichen Selbstbewußtseins tierische "Sozialsysteme" vorausgehen – in dem Moment, wo Selbstbewußtsein auftritt, ändert sich der Sinn von "Sozialität" grundlegend. Nur ein selbstbewußtes Wesen erfaßt Bedeutung (eines Zeichens oder sonstigen sinntragenden Mediums) als Bedeutung, den Anderen als Anderen, das Andere als Anderes. Erst mit dieser Selbständigkeit nimmt das Individuum an Sozialität teil. Und diese Selbständigkeit kann es sich nur selbst geben – weil es sie schon hat. Nur deshalb kann sie auch von den anderen hervorgelockt werden. (Vergleiche das berühmte Beispiel der Bedeutungserfassung von Tastzeichen durch die taubstumme und blinde Helen Keller). Es soll hier keine der zahlreichen empirischen Fragen abgeschnitten werden. Im Gegenteil, diese stellen sich zahlreicher und präziser mit Logik.
  • Das zweite Mißverständnis läge darin, daß nach der behaupteten transzendentallogischen gegenseitigen Implikation von Subjektivität und Intersubjektivität alle subjektiven Akte zugleich intersubjektiv im Sinne von sozialem Handeln wären. Das ist nicht der Fall und folgt auch nicht aus dem Gesagten. Aus dem Gesagten folgt nur, daß alle Subjektivität durch Intersubjektivität mitkonstituiert ist (wofür die Entwicklungspsychologie mit ihren Methoden empirische Belege liefert), daß eine Gleichursprünglichkeit vorliegt, daß deshalb auch die privatesten Handlungen und Erlebnisse in einem intersubjektiven Sinnzusammenhang stehen. Nicht aber: daß die subjektive Selbstbezüglichkeit sich nicht von Intersubjektivität, zumal von bestimmter, differenzieren könnte. Die wesentliche Zweipoligkeit von personalem und sozialem System am personalen Sinnsystem selbst werden wir später (nach Einführung des Systembegriffs) noch genauer in den Blick bekommen. Die Differenzierungsmöglichkeit von innersubjektiver und intersubjektiver Reflexion liegt bereits in der aufgewiesenen Verdopplung (bzw. Pluralität) der Selbstbezüglichkeit des einzelnen Selbstbewußtseins: 
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    Die Zweipoligkeit (bzw. Mehrpoligkeit) der reflexiven Identität in bezug auf die Einzelnen übersetzt sich, weil und insofern diese gegeneinander frei sind, in eine Zweipoligkeit von Identität der Gemeinsamkeit als solcher und jeweiliger, individueller Partizipation an dieser Gemeinsamkeit: die reflexive Identität des Einzelnen (die sich je nach seinen Sozialbeziehungen ihrerseits vervielfältigen kann und dann ein neues Identitätsproblem stellt). Im "gut" gemeinten wie "bös" gemeinten Verschweigen, in der Täuschung, im Überraschen und individuellen Überlegen, was man in die Gemeinsamkeit hineingibt, in der Unsicherheit über die Gemeinsamkeit von Gefühlen und Erwartungserwartungen, in der Versicherung darüber, die nochmals die Spaltung von Außen und Innen haben kann usw. spielt eine Logik der doppelten Reflexionsidentität. Unzählige Verschlingungen menschlichen Miteinanders wären als Figuren dieser Logik aufzuzeigen, was jedoch hier nicht im einzelnen beabsichtigt ist. 
    Eine weitere Frage betrifft die Integration der gegenständlichen, nicht-freien Andersheit in die subjektiv-intersubjektive Selbstbezüglichkeit. Wir sind oben zur Aufklärung der Reflexionsstufen als Stufen der Selbstvermittlung durch Andersheit sogleich zur Betrachtung eines intersubjektiven Modells übergegangen. Wir haben uns den Umweg erspart, zunächst die Unmöglichkeit einer Einheit von Selbst- und Fremdbezug im Hinblick auf bloße Objektivität zu zeigen. Wegen dieser Unmöglichkeit stehen bei Kant formaler Selbstbezug und Fremdbezug unvermittelt nebeneinander. Wie aber unter den erarbeitenden Voraussetzungen der Bezug auf Gegenständlichkeit, auf die raumzeitliche Welt sowie alles Objektivierte mit dem Selbstbezug des Subjekts zu verbinden ist, läßt sich vom Reflexionstufenmodell her im Prinzip leicht beantworten: Es handelt sich um reflexive Integration in eine Einheit (des Selbstbezugs-im-Fremdbezug, unsere "transzendentale Apperzeption"), um ein dialektisches Verhältnis gegenseitiger Voraussetzung der unreflektierten (gegenständlich-materiellen bzw. naturhaft-triebhaften) und reflektierten Bezüge. Wir werden über die analoge Integration im sozialen System ausführlicher handeln. Sowie sich im Voraufgehenden die Selbstbewußtseinstheorie zur Intersubjektivitätstheorie erweitert hat, so führen diese Fragen nach der Integration der äußeren und inneren Natur in eine allgemeine Subjekttheorie hinein. Es wurde niemals impliziert, daß menschliche Subjektivität mit Selbstbewußtsein und daher beide Theorien identisch seien. Wohl wurde von diesem als "Zentrum menschlicher Subjektivität" (§ 2) gesprochen, somit in Betracht 
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    gezogen, daß menschliche Subjektivität nicht reines Selbstbewußtsein und reine Freiheit (die zwei untrennbaren Aspekte der Selbstbezüglichkeit) darstellt. Das "Konkretum der Vorstellung, daß man Mensch nennt"68 läßt sich auf ihm angemessene Weise nicht ohne Ansatz von oder wenigstens Eingehen auf Selbstbewußtseins- und damit Reflexionsthematik analysieren. Wer darin "Idealismus" wittert, hat den Gedanken von reflexiv-dialektischer Integration noch nicht erfaßt, der ineins mit der Gleichursprünglichkeit der Sinnelemente die heute in aufgeweichtem Boden noch immer festgefahrenen Gegensätze von "Idealismus" und "Materialismus" hinter sich läßt. Auf dem Weg zur Sozialtheorie genügt es, zum Thema der gegenständlichen Andersheit dies festzuhalten:
    Das Problem einer Einheit von Selbstbezug und Fremdbezug ist im Hinblick auf den Gegenstandsbezug allein nicht lösbar.
    Der Gegenstandsbezug kann als in die Struktur der Selbstbezüglichkeit reflexiv integriert verstanden werden, wie es sich aus dem obigen Reflexionsstufenmodell ergibt. Dem entspricht, daß Objektivität ursprünglich und grundsätzlich in intersubjektivem Zusammenhang steht: sinnanalytisch betrachtet, hat es kein Subjekt für sich allein mit Objektivität zu tun. Sie ist (wie die Leiblichkeit) Medium sozialer Bezüge, diese vermittelnd und durch sie vermittelt. Nicht umsonst nimmt sie in dem Schema der Sinnelemente (§ 4) eine zum Sinnmedium analoge Stellung ein. Mit diesem steht sie ihrerseits in unlösbarer dialektischer d. h. reflexiver Einheit als sprachlich erschlossene und interpretierte Objektivität.
    Daß der Bezug auf Natur und Objektivität als Fremdbezug ebenfalls Selbstbezug ist, stellt sich in der Leiblichkeit dar, der spezifischen innersubjektiven Art des Fremdbezugs-im-Selbstbezug auf der Ebene der naturhaften Unmittelbarkeit.
    Es fiel bereits auf, daß eine Korrelation zwischen Sinnelementen und Reflexionsstufen besteht, obwohl wir uns auf diese Korrelation weder beim ersten Beispiel noch bei seiner Verallgemeinerung gestützt haben:
    1. Unreflektierte Handlungsintentionalität: Objekt O
  • Einfach reflektierte Intentionalität: Subjekt Ss
  • (strategisches Handeln)
  • Gegenläufig-doppelt reflektierte Intentionalität: anderes Subjekt So
  • (kommunikatives Handeln)
    (4) Reflexion der Gegenseitigkeit in eine Einheit: Sinnmedium M
    (metakommunikatives Handeln)
    Es sei nochmals betont, daß auch die erste Reflexionsstufe als menschliches Handeln nur vom Ganzen der Selbstbezüglichkeit her möglich ist (Integrationsprinzip). Hier liegt der Grund, weshalb in anderen Zusammenhängen keine mechanische Anwendung des Reflexionsstufenprinzips erlaubt ist: Die Eigenart von Reflexionsstufen hängt jeweils von ihrem "Stellenwert" im integrierten Ganzen ab, worin sie Stufen sind.69
    Im Hinblick auf die Korrelation stellen sich zwei Fragen von größter Tragweite. Erstens, sind die Sinnelemente als Funktion der Reflexionsstufen zu verstehen, also namentlich die Arten von Andersheit O, So und M, d. h. sind sie durch das Reflexionsprinzip aufeinander rückführbar? Hier liegt, wie zu zeigen ist, die alles entscheidende Frage für eine sachgemäße Auseinandersetzung mit Hegel. – Zweitens, wie verhält es sich mit dem ontologischen (reflexionslogischen) Status des Sinnmediums M? Wir haben in diesem Paragraphen hauptsächlich das Reflexionsverhältnis S s – S o untersucht und dabei einerseits die beiden ersten Reflexionsstufen als in die kommunikative Gegenseitigkeit integriert, andererseits diese Gegenseitigkeit als in eine Identität des gemeinsamen Sinnes integriert erkannt und gelegentlich von "Partizipation" am gemeinsamen Sinn (sei es dem apriorischen vorausgesetzten, sei es dem aposterioriorisch, reflexiv gestalteten) gesprochen. Was heißt aber "Partizipation", und was ist über das Sinnmedium im Verhältnis zum Subjekt als dem Ursprung (Woher) des Handelns und der reflexiven Aktivität zu sagen? Dieser offensichtlich unerläßlichen Frage wenden wir uns zuerst zu.
     
    § 7: Sinnpartizipation und Selbstreflexion
     
    Voraussetzung menschlichen Selbstbewußtseins ist Partizipation am Sinnmedium, die in der metakommunikativen Reflexion expliziert wird. Philosophie muß die Frage offenhalten, ob Sinnpartizipation selbst ein analog metakommunikatives Reflexionsverhältnis ist oder ein anonym vorausgesetztes Moment zwischenmenschlicher Kommunikation bleibt.
    Es gibt die Meinung, die sich sehr logisch vorkommt, daß das einzige wissenschaftliche Motiv, weitere Fragen zu stellen und in der Erkenntnis fortzuschreiten, die Bedrohung durch einen Widerspruch sei. Mit vergleichbarem Recht könnte man sagen, daß das einzige sportliche Motiv, auf einen Berg (oder auch ein Pferd) zu steigen, darin liege, nicht herunterzufallen. Denn der formale Widerspruch, wenn man ihn haben will, muß erst wissenschaftlich erzeugt werden.70 Nicht er treibt zu Fragen an, sondern die Fragen treiben ihn hervor – als ein Mittel unseres objektivierenden Sprechens, die Frage präzis zu stellen. Wodurch aber werden die Fragen in Gang gesetzt? Offensichtlich durch das Bedürfnis, etwas zu verstehen, was als nicht genügend verstanden in Sicht ist – vergleiche den Berg, der zum Besteigen reizt. Verstehen heißt aber, Zusammenhänge herstellen, das eine aufs andere zurückführen, die tatsächlichen oder notwendigen Beziehungen rekonstruieren.
    Wir fragen nach der Beziehung zwischen Sinnmedium und Subjekt, weil hier Unverstandenes liegt, etwas, was "Partizipation" heißen soll. Daß ein Subjekt an den Sinngehalten des anderen partizipiert, könnte als verstanden gelten, wenn man wüßte, was es heißt, daß jedes an Sinn partizipiert. Denn die zwischen Subjekten waltenden Refleflexionsstruktur haben wir aufgeklärt – unter Voraussetzung des Sinnmediums. Wenn man einen formalen Widerspruch sehen will: (a) Ich (als Ursprung seiner Akte) setzt den Sinn. (b) Ich (als Ursprung seiner Akte) setzt den Sinn nicht, sondern setzt ihn voraus.
    Zur Erläuterung von Satz (b): Kein Mensch wird behaupten wollen, Ich setze ganz und gar das Medium, in dem mir Objekte und andere Subjekte gegeben sind, und Ich erfinde die Logik, an die Ich in meinem Denken und Handeln gehalten bin. Desgleichen läßt sich das Sinnmedium nicht in den Objekten finden, die vielmehr "in" einem Sinnhorizont erscheinen, noch kann man es als eine gemeinsame Produktion von Ich und Du verstehen. Sie setzen es vielmehr beide voraus.
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    Nun kann obiger formaler Widerspruch nicht erschrecken, nachdem wir uns genügend klar gemacht haben, daß die objektivierende Aussagenlogik für reflexionslogische Verhältnisse als ontologischer Maßstab nicht zuständig ist (§ 5). Selbstbezüglichkeit besteht gerade in diesem gegenläufigen Zirkel von Setzung und Voraussetzung. Das Ich setzt nicht nur das Sinnmedium (M) voraus, sondern auch sich selbst (S s) als Ursprung seiner Aktivität, ebenso Objektivität (O) und andere Subjektivität (So). Aber hat dieses "voraussetzen" nicht jeweils einen verschiedenen Sinn – und lassen sich nicht einige dieser vier Voraussetzungen auf andere, vielleicht eine einzige zurückführen? Wir berühren die erste der gestellten Fragen, bleiben aber zunächst bei der zweiten: in welchem Sinne wird das Sinnmedium vorausgesetzt, und was bedeutet jene "Partizipation"? Denn wenn ein Element Kandidat dafür sein kann, die Urvoraussetzung zu sein, auf die die anderen sich zurückführen lassen, dann dieses M und nicht etwa umgekehrt. Ja, man könnte den Sinn als das allumfassende 
    "Medium" verstehen, nicht im Sinne eines selbst unterschiedenen Zwischen unterschiedener Elemente, in dem wir bisher von Medium sprachen, sondern als das Eine Element schlechthin, an dem die anderen nur "Erscheinungen" sind, einschließlich der Sinn in seiner aposteriorischen, objektivierten Gestaltung, als Sprache, Kultur usw. "Erscheinung ist dann das Wort für Partizipation an dem Einen, als Absolutes aufgefaßten Sinn.
    Erinnern wir uns noch einmal daran, daß es hier lediglich um das Verständnis von Selbstbewußtsein geht. In welchem Sinne ist diesem das Sinnmedium vorausgesetzt? Sicher nicht im Sinne einer einseitigen Intentionalität, nicht einmal im Sinne einer dialogischen Gegenseitigkeit wie gegenüber anderer Freiheit. Im Gegenstandhaben und Gegenübersein bewegt sich das Selbst schon "in" diesem Medium. Müssen wir am Ende doch zu D. Henrich übergehen, der eine subjektlose "Dimension" oder ein "Medium" namens Bewußtsein ansetzt, das kein Selbst ist und demgegenüber das Ich "zumindest ein aktives Prinzip der Organisation des Bewußtseinsfeldes" darstellt? "Diese Egozentrik wird, wie wir wissen, niemals vollständig eliminiert werden. Dennoch ist sie nicht das Grundphänomen des Bewußtseins, sondern nur eine Form seiner Organisation, die vermutlich bereits die eigentümlichen Möglichkeiten des Menschseins einschließt: Ausbildung und Überwindung der Egozentrik."71
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    Hieran knüpft Henrich ethische Perspektiven der "Selbstüberwindung" an 72, die mit der "Philosophie des Ostens" sympathisieren, weil in der Tat mit "Selbstüberwindung" nicht etwa ein Selbstbezug-im-Fremdbezug in unserem Sinne gemeint ist, nicht eine Überwindung der im Grunde gegenständlichen Alternative von Selbst und Anderem, somit von Selbstliebe und "selbstloser" Zuwendung zum Anderen im kommunikativen und metakommunikativen Verhalten, sondern: Auslöschung des Selbst. Von solchen Aussichten zurück zu ontologischen Frage: "Wegen seiner Fähigkeit, auf sich selbst zu reflektieren, kann dieses aktive Prinzip den Namen "Ich", "Selbst" oder "Subjekt" zu Recht haben. Von entscheidender Bedeutung ist es aber, klarzumachen und daran festzuhalten, daß das Gewähren dieses aktiven Prinzips als solches keine aktive Leistung ist, daß es nicht einmal dem "Ich" selber zugerechnet werden kann... Ist Reflexion eine Leistung, so wird das Bewußtsein, das sie ermöglicht, im Unterschied zu ihr als ein Ereignis beschrieben werden müssen. Natürlich ist es ein Ereignis besonderer Art: Es geschieht nicht innerhalb eines Relationssystems von gegebenen Fakten, sondern ist schlechthin singulär und beziehungslos."73
    Die letzten Worte klingen auch verbal an Fichte an: "das Sein ist durchaus ein in sich geschlossenes Singulum des Lebens und Seins, das nie aus sich heraus kann." 74 Fichte nennt es auch "Licht" und "das Absolute". (Für Henrich heißt es hier "Bewußtsein", was allerdings für Fichte der Name für "Erscheinung" des Absoluten im einzelnen Selbst ist). Fichte vermeidet aber den flagranten Widerspruch, von einer "Fähigkeit, auf sich selbst zu reflektieren" (Henrich, s.o.) zu sagen, daß Reflexion nicht konstitutiv für sie sei.75 Und er bleibt nicht so leicht die Antwort schuldig, wie das Selbst jemals sich reflektieren soll, wenn es nicht von vornherein Reflexion ist. Denn für Fichte ist Reflexion gerade das Prinzip der Vereinzelung zum Selbstbewußtsein, der Spaltung von Einem Sein, Leben, Licht einerseits und Bewußtsein, Dasein, Mannigfaltigkeit andererseits, kurz der Erscheinung.76
    Fichtes Position ist also die von ihrem Widerspruch befreite Position von Henrich: Selbstbewußtsein wird zwar durch Reflexion konstituiert, aber das Absolute an ihm selbst ist nicht reflexiv. Es sei die Vermutung geäußert, daß D. Henrich auch in seiner brillianten Fichte-Schrift diese beiden Fragen verwechselt: Wird das Absolute durch Reflexion konstituiert? (Worauf Fichte mit Nein antwortet). Wird das Selbstbewußtsein durch Reflexion konstituiert? (Worauf Fichte mit Ja antwortet: alle Vereinzelung in der Erscheinung ist Produkt und Folge der Reflexion) Die Einführung des Erscheinungsbegriffs scheint für Fichte gerade die klare Unterscheidung dieser beiden Fragen beinhaltet zu haben, die im "absoluten Ich" noch zusammenlagen.77
    Das Denken des späteren Fichte stellt eine erste Grundvariante dar, das Verhältnis von Sinn und individuellem Selbstbewußtsein als das von Absolutem und seiner Erscheinung zu fassen: Das Absolute als nicht-reflexiv verstanden, die Reflexion als Prinzip der Erscheinungswelt, deren erstes "Dasein" das Selbstbewußtsein ist (als Produkt absoluter Reflexion) deren interativer Reflexion sich die Welt in eine unendliche Mannigfaltigkeit spaltet. Zu einer systematischen Stellungnahme muß jedoch gesagt werden, daß der Erscheinungsbegriff Fichtes mit Unklarheiten und Mängeln behaftet ist, die daraus resultieren, daß er sich ständig von einem Subjekt-Objekt-Modell der Erkenntnis zu befreien sucht, welches auch sein Verständnis der Reflexion noch prägt. Der Erscheinungsbegriff ist der Versuch, diese Modell in einer Art von negativer Theologie zu übersteigen. Die Lösung vom Subjekt-Objekt-Modell einerseits und das ihm Verhaftetbleiben andererseits macht die Ambiguität von Fichtes Stellung zur Reflexionstheorie aus. Die Spekulation bleibt für ihn Selbstentfaltung der Reflexion, aber sie "vernichtet" sich vor dem unbegreiflichen "Leben" und "Absoluten" – das dennoch Leben und Sein des Selbstbewußtseins selbst, als absolutes, d. h. in seiner Einheit mit allem ist: die Negation allen Fürunsseins des Absoluten schlägt um in eine Identität von "uns" und "Absolutem". Die "Vernichtung" der Spekulation wird zugleich zu ihrer Grenzüberschreitung.
    Die zweite Grundvariante, Sinn als das "substantielle" Allgemeine, Absolute aufzufassen und Unmittelbarkeit wie Einzelheit als Erscheinung des Reflexionswesens zu fassen,78 bietet Hegel: War für Fichte das Absolute präreflexiv, ein absolut Anderes gegenüber der Reflexion des endlichen Selbstbewußtseins, so reflektiert und "dirimiert" sich für Hegel das Absolute und Allgemeine als solches selbst in die Endlichkeit: Umgekehrt gehört die Allgemeinheit dem einzelnen Selbstbewußtsein als ein Moment an. Die Reflexionslogik wird zur Schlußlogik von Einzelheit, Besonderheit, Allgemeinheit, und alles Vernünftige ist ein solcher Schluß. Es soll nicht versucht werden, die theologische Position Hegels hier als solche ausführlich zu entfalten.79 Eine systematische Diskussion muß, wie bereits erwähnt, bei der Frage ansetzen, wie die Sinnelemente oder Arten von Andersheit zu den Reflexionsstufen stehen, ob ihre Differenzierung Folge der Subjektreflexion ist und ob in dieser die Selbstreflexion des absoluten "Begriffs" (des Sinnes) im einzelnen Selbstbewußtsein nach – oder mitvollzogen wird.
    Zu dieser entscheidenden Frage seien hier in Kürze einige Bemerkungen gemacht, die beanspruchen, auf die wesentlichen Entscheidungspunkte zu führen. Die Kürze besteht einerseits im Verzicht auf Textexegese (die genaue Kenntnis der wichtigsten Schriften Hegels sei vorausgesetzt), andererseits in der bloßen Erinnerung an das, was schon ausgeführt wurde und was die Erfahrung des Bewußtseins zu denken nötigt.
    1. Für Hegel gibt es nur eine Andersheit, und diese ist gleichbedeutend mit Negativität.80 Verschiedene Stufen der reflexiven Einheit (dialektischen Vermittlung) ergeben verschiedene Arten von Andersheit, die jedoch "Arten" derselben "Gattung" und auf diese, auf Negativität, rückführbar sind. Die Negativität des Subjekts als genetivus objektivus ist aber letztlich die Negativität des Subjekts als genetivus subjectivus, d. h. die Andersheit enthüllt sich in letzter Instanz als subjektimmanent, allerdings dem empirischen Subjekt nur, sofern es Denken ist, d. h. in seiner Allgemeinheit eins mit dem absoluten Subjekt (Gott) ist. – Dagegen setzen wir eine Gleichursprünglichkeit aufeinander unrückführbarer "Gattungen" von Andersheit an: Die unmittelbare Positivität der Freiheiten zueinander läßt sich nicht als negierte (höherentwickelte) Negativität verstehen. Sie ist nicht Reflexionsprodukt, sondern Voraussetzung für gegenläufige Reflexivität sowie für das negative Gegenstandsverhältnis (Ich-Nichtich). Wir behaupten die Unrückführbarkeit von Andersheit auf Negativität und somit auf die subjekteigene "absolute Negativität" – welche seine Reflexivität ist.
     
  • Für Hegel bedeutet Reflexion dasselbe wie Negation bzw. Negation der Negation und deren Iteration. – Für uns ist nur die erste Reflexionsstufe durch Negativität gekennzeichnet. Die zweite ist nicht Negation der Negation. Sie ist nicht mehr in einem zweiwertigen (dualen) Formalismus zu fassen, der für Hegel – trotz seines reflexionslogischen Ansatzes – maßgebend bleibt. Der Unableitbarkeit der Gattungen von Andersheit auf ein duales Reflexionsprinzip korrespondiert die Unrückführbarkeit der Reflexionsstufen auf das Prinzip der Negation der Negation.
  • Die Reflexionsmomente Einzelheit – Besonderheit – Allgemeinheit sind Ausdruck eines zu vermittelnden Dualismus von Positivität - Negativität, Selbst – Andersheit. Sie lassen sich daher nicht mit unseren Reflexionsstufen parallelisieren, die Ausdruck von ursprünglicher Mehrwertigkeit sind. Phänomenologisch gesprochen: Die Gegenseitigkeit kommunikativen Handelns ist durch kein einseitiges Handeln vorwegzunehmen, auch nicht durch eine in sich gegenläufige innersubjektive Reflexion. Diese begründet sich im Gegenteil erst durch unabhängige Gegenläufigkeit.
  • Aus der Unableitbarkeit freier Andersheit auf gegenständlich negative oder (was im Grunde dann dasselbe besagt) auf innersubjektive Andersheit qua Negativität (vgl. a) folgt die Unableitbarkeit des vermittelnden Sinnmediums auf innersubjektive Allgemeinheit bzw. die Unmöglichkeit einer Identifizierung der Subjektallgemeinheit mit dem absolut Allgemeinen von Sinn nicht das Verständnis des Sinnmediums als eines allgemeinen (göttlichen) Subjekts, jedenfalls sofern es sich in der Vielfalt der empirischen Subjekte als es selbst reflektiert.
  • Mit dem letzten Punkt sind wir auf unser eigentliches Thema, die Partizipationsproblematik, zurückgekommen: Bei Hegel liegt eine Grenzüberschreitung nicht im Sinne einer philosophischen theologia negativa vor wie bei Fichte, sondern im Sinne einer theologia affirmativa. Es ist philosophisch illegitim, den Sinn, an dem menschliche Subjektivität und Intersubjektivität partizipiert, als ein göttliches Subjekt bzw. eine trinitarische Interpersonalität zu beschreiben, die ihre Immanenz (als reines Denken) in Geschichte, Welt, Menschheit realisiert. Theologische "Rechtshegelianer" werden sagen, hier sei Hegels Position verzeichnet und zahlreiche Belege für Hegels kirchlichchristliche Gesinnung in den Berliner Vorlesungen über Religion finden. Theologische "Linkshegelianer" werden darauf hinweisen, Hegels theologische Ausdrucksweise sei Chiffre, Konzession an die traditionellen christlichen Vorstellungen usw. Es ging aber im Vorhergehenden nicht um Ausdrucksweisen, Vorstellungen, Gesinnungen, sondern um logische Alternativen. Es wurde versucht, in Kürze die Ebene zu betreten, auf der mit Hegel zu diskutieren ist, die der spekulativen Logik als einer Reflexionslogik. Die kirchlich-christliche Trinitätslehre wird von der vorhergehenden Kritik an der Hegelschen nicht getroffen, denn sie ist von dieser verschieden.81
    Diese sei als dritte Grundposition82 zum Verhältnis Sinnmedium und menschlichen Selbstbewußtseins unter dieser Rücksicht in aller Kürze rekonstruiert. Ist der Gott Fichtes der präreflexiv Andere gegenüber seiner Erscheinung als Selbstbewußtsein (eine eigentümliche Schwebe von absolutem Anderssein und absoluter Identität), ist der Gott Hegels der in derWelt, Menschheit, Geschichte sein eigenes dialektisches (reflexives, trinitarisches) Leben realisierende, so wird in der christlichen Tradition eine Differenz zwischen Gottes immanent trinitarischem (reflexivem) Leben (immandente Trinität) und seinem freien Eintritt in die menschliche Geschichte (ökonomische oder heilsgeschichtliche Trinität) gemacht. Es scheint unter Theologen Mode geworden zu sein, von einer "Identität" immanenter und heilsgeschichtlicher Trinität zu sprechen, ohne daß man den tiefgreifenden Bedeutungsunterschied in solcher Rede von "Identität" klar sieht: Ist eine Identität im Sinne Hegels gemeint oder ein freies, unbedürftiges, daher aus Liebe (als Überfluß, nicht als notwendige Selbstentfaltung verstanden) geschehenes Aus-sich-Heraustreten in der Setzung des Anderen seiner selbst (Schöpfung), in der Ineinssetzung mit ihr zunächst im Individuum (Offenbarung in Menschwerdung und Kreuz) vermittelst des Einen mit allen (Erlösung, Reich Gottes)? Es kann hier nicht um die Entfaltung solcher theologischen Inhalte gehen, zumal sie mit philosophischen Erkenntnisgründen nicht erschwinglich sind. Dazu nachher noch einige Bemerkungen.
    Hier geht es um die Frage: Wie wird in dieser Sicht das Verhältnis von Sinnmedium und menschlichem Selbstbewußtsein gedeutet? Nach der Logoslehre des Johannesevangeliums ist der Logos Licht und Leben der Menschheit. Er ist göttlich, aber nicht schlechthin mit Gott identisch, sondern sein "Sohn", der menschliches Individuum wird.83 Alle anderen Individuen sollen an dem Licht partizipieren das er ist. Nach dieser theologischen Sicht ergäbe sich also unser Problem: Menschliches Selbstbewußtsein ist per participationem das, was der göttliche Logos und ein memschliches Individuum per essentiam ist. "Per participionem heißt aber jetzt - und darauf richtet sich ja die Hauptfrage dieses Paragraphen: ein kommunikatives Verhältnis von menschlicher zu göttlich-menschlicher Person, dessen Medium der göttliche Partner selbst ist: "in deinem Licht schauen wir das Licht". Das göttlich-personale Gegenüber wäre hier zugleich "Mittler" allen sonstigen zwischenmenschlichen Gegenüberseins (Medium) sowie Mittler einer Einbeziehung in ein immanent-trinitarisches Leben. Es kann festgestellt werden, daß diese "Position" philosophisch kohärent ist sowie erfahrungsgemäßer als die Hegelsche Ineinssetzung von Gott und Sinn ("Begriff").
    Doch gibt es einen philosophischen Grund, warum eine solche Sicht philosophisch nicht erschwinglich, d. h. nicht entscheidbar sein kann, mag sie sich auch als intelligible 
     
     
     
     
     
     
    Rekonstruktion von geschichtlicher "Offenbarung" erweisen: Philosophische Reflexion ist Strukturreflexion. Sie kann individuelles, freies Leben nicht vorwegnehmen. Es ist auch nicht ihre Aufgabe, dieses als solches zu Wort zu bringen. Das ist Sache der Dichtung bzw. einer möglicherweise legitimen Offenbarungstheologie. Wenn Sinnpartizipation letztlich in einem zumindest "anonym" kommunikativen und metakommunikativen Verhältnis zu einem selbst personalem Sinngrund begründet sein sollte, wäre eine behauptende Vorwegnahme auch nur der positiven Möglichkeit dieser notwendig geschichtlich-aposteriorischen (weil kommunikativen) Erfahrung philosophisch in sich widersprüchlich. Die Philosophie wird die Frage nach der Natur der Sinnpartizipation positiv offenhalten müssen. Das ist die Antwort auf die in diesem Paragraphen gestellte Frage. Sinn kann und muß philosophisch als Kommunikation und Metakommunikation bestimmt werden. Aber worin diese gründen, bleibt offen. Paradox genug ist es, daß damit die eigentliche die Philosophie bewegende Frage nach dem Sinn von Sinn und darin eingeschlossen nach dem Sinn des einzelnen Selbstbewußtseins unbeantwortet bleibt, daß die Philosophie nicht nur mit der offenen Sinnfrage anfängt, sondern wohl auch mit ihr endet. Diese vierte "Position" wird hier vertreten: Hörer eines möglicherweise oder unmöglicherweise ergehenden "Wortes".84Sie ist das kommunikationstheoretische Ernstnehmen von Geschichte und Andersheit in Bezug auf Theologica.
    Diese vierte "Lösung" der Offenheit oder bewußten Unabgeschlossenheit der Frage nach dem Sinnmedium und Partizipation an ihm kann sich jedoch sekundär zu einer vierten Grenzüberschreitung reflektieren, indem die erkenntnistheoretische Schwebe sehr paradox zu einer ontologischen Schwebe hypostasiert wird: Der Charakter des Mediums sei nun einmal "entsubstantiierte" Schwebe, und hier sei nicht weiter zu fragen. Das Abschneiden der Fragen ist aber gerade die Hypostasierung der Enthypostasierung. Sie wird darin nicht legitimer, wenn man zusätzlich noch theologische "Hintergedanken" hat: Es müsse wohl Gott sein, der diese Schwebe in der Schwebe hält.85 Allerdings bietet dieses Sinnverständnis eine Alternative zu dem an dritter Stelle genannten an. Wir plädieren aber für Offenheit, d. h. für erkenntnistheoretische Schwebe.
    Immerhin stellt solche Offenheit ein positives Resultat dar, und dies unterscheidet von einem Agnostizismus, der sich seinerseits zu einem seltsamen Dogmatismus verschließen und mit einem selbstzufriedenen Bildungsgetue verbünden kann. Für einen solchen "aufgeklärten" Agnostizismus wird unsere Frage nach der Sinnpartizipation sinnlos.86 Ebenso wie für "Materialisten", die sich auf dem Handgreiflichen festsetzen wollen, bis ihnen die Dialektik zusammen mit neuer Naturwissenschaft diese Unterlage wegschwemmt.87
    Die Offenheit betrifft die theologische Sinnfrage. Wir sind wegen des Sinnmediums in sie hineingeraten, ähnlich wie uns das Sinnelement O an den Rand der Naturphilosophie, das Element Subjektivität in Richtung einer anthropologischen Subjekttheorie und die intersubjektive Relation bereits zu Sozialtheorie führte. Wenn jene Frage für Philosophie in der Schwebe bleibt und sie lediglich theologische Auskünfte nach ihrer Kohärenz mit vernünftigem Denken sortieren kann, so gibt es doch unermeßliche Felder, deren Bearbeitung diese Schwebe eher fördern als hindern kann. Am 

    nächsten liegt unserer reflexionstheoretischen Sicht die Sozialtheorie.
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    T E I L II
    Zur Systemtheorie der Gesellschaft
     
    § 8: Einführung des Systembegriffs
     
    Der Begriff eines dynamischen Systems als Handlungssystem läßt sich mittels des Reflexionsgedankens streng handlungstheoretisch einführen. Die Analogie zu kybernetischen Systemen wird durch den Reflexionsgedanken präzisiert und zugleich begrenzt.
    Der Übergang von Subjekttheorie in Sozialtheorie wurde bereits innerhalb jener dadurch vollzogen, daß die Selbstbezüglichkeit als intersubjektiv vermittelte aufgezeigt wurde. Der Reflexionskreis subjektiver Selbstbezüglichkeit läßt sich nicht anders denn ursprünglich intersubjektiv denken, oder in systemtheoretischer Terminologie: das personale System nur in ursprünglicher Einheit mit einem sozialen System. Hiermit sind wir beim Systembegriff angelangt, näherhin beim Begriff des Handlungssystems. Wir übernehmen ihn nicht aus der General System Theory,88 so sehr er von dieser angeregt ist, sondern führen ihn spezifisch handlungs- und reflexionstheoretisch ein und studieren die Analogie zu kybernetischen Systemen nachträglich in ihrer Geltung und Grenze. Damit tragen wir dem berechtigten Postulat Habermas Rechnung89 und lassen zugleich die Entgegensetzung von Handlungstheorie und Systemtheorie hinter uns. Wenn dies gelingt, wird es uns nicht passieren, daß wir das Spezifische von Sozialsystemen und, allgemeiner, Handlungssystemen nicht anzugeben vermögen.
    Schon mit den in § 4 skizzierten Sinnelementen des Handelns würden wir folgende "Standarddefinition" von Systemen erfüllen: "Ein System ist eine Menge von Objekten mit Beziehungen zwischen diesen Objekten und zwischen ihren Merkmalen"90, die jedoch völlig ungenügend für unsere Anforderungen bleibt. Selbst für ein statisches System müßte Vollständigkeit der Elemente und damit Abgeschlossenheit nach innen in die Definition mitaufgenommen werden. Für ein dynamisches System ist darüberhinaus das Vorhandensein 
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    aktiver Elemente und für ein offenes dynamisches System Austausch mit einer Umwelt bei Vorhandensein von Systemgrenzen, also Unterscheidbarkeit von Innen und Außen wesentlich, so daß man es etwa definieren kann als: "Interdependenz einer vollständigen Reihe von Elementen (Aspekt der Einheit oder Geschlossenheit), die im aktiven Austausch mit einer Umwelt stehen (Aspekt der Offenheit)".91
    Dies lediglich zur Einstimmung in die System-Thematik. Denn das Spezifische von Handlungssystemen kommt mit den angeführten Begriffsbestimmungen noch gar nicht in Sicht.
    Talcott Parsons, der Begründer der Handlungssystemtheorie, führte den Begriff des sozialen Systems von der Interaktion zwischen Alter und Ego her ein93 , noch aus der Perspektive der an Organismen orientierten Systemtheorie, nämlich vom Gleichgewichtsgedanken her. Immerhin handelt es sich für ihn bereits um ein kulturelles "Gleichgewicht" gegenseitiger Erwartungen (expections). "Wenn immer eine Interaktion auf der soziokulturellen Ebene stattfindet – und sei es auch nur zwischen zwei Menschen - , so entsteht ein soziales System". "Handlungen der Akteure, so lautet die Grundthese Parsons, schließen sich in dem Maße zu einem System zusammen, wie eine nicht nur kalkulatorische Bindung an letzte Werte (ultimate values) wirksam ist".94 Der Gleichgewichtsgedanke hat im sozialen Zusammenhang seine besonderen Schwierigkeiten. Wir werden den der Identität, der Übereinkunft in gemeinsamen Inhalten der Erwartungserwartungen vorziehen. Parsons Kulturbegriff ist dadurch belastet, daß er Kultur als eigenes Handlungssystem mit der Funktion Normerhaltung kennt. Wir werden, bei aller positiven Anknüpfung Parsons Leistungen, mit dem Reflexionsgedanken diese Schwierigkeiten zu vermeiden suchen. Auch diese: ist eigentlich jede "Interaktion auf soziokultureller Ebene", etwa ein Vortrag, ein Fachgespräch, systembildend? Die Frage läßt sich allerdings erst entscheiden, wenn ein genügend bestimmter Begriff von "System" gewonnen ist – und dies scheint bei Parsons wiederum nicht der Fall.
    Niklas Luhmann äußert sich folgendermaßen definitionsähnlich: "Soziale Systeme bestehen aus faktischen Handlungen, die sinngemäß zusammenhängen. Ein solcher Sinnzusammenhang gewinnt Dauer, Konsistenz und Konsensfähigkeit dadurch, daß das Handeln typisch erwartbar wird... Erst dadurch, daß bestimmte Verhaltenserwartungen garantiert werden (und andere nicht garantiert werden), erhält ein Handlungszusammenhang eine Systemstruktur, die invariant 
     
     
     
     
     
     
     
    gehalten werden kann und die dann wiederum dazu dient, das System selbst in seinem konkreten Erwarten und Handeln gegenüber der Umwelt relativ invariant zu halten". 95 Diese Ausführungen, die sich im wesentlichen mit Parsons Sicht decken, stammen jedoch aus frühen Jahren. Es werden auch noch nicht Verhaltenserwartungen von reflektierten Erwartungserwartungen unterschieden. Später wird diese Differenzierung zwar vorgenommen, aber der Systembegriff viel abstrakter bloß als "Sinnzusammenhang" gefaßt, wobei "Sinn" als Ordnungs- oder Reduktionsform des Erlebens verstanden wird – als sei das, was geordnet oder reduziert wird, nicht auch schon "Sinn".96 "Dann kann man Handlungssysteme funktional definieren als Sinnbeziehung zwischen Handlungen, die Komplexität reduzieren durch Stabilisierung einer Innen/Außen-Differenz."97 – "Gesellschaft ist, so könnte man die alten Erwartungen neu formulieren, jenes Sozialsystem, das letzte, grundlegende Reduktionen institutionalisieren."98 In solchen Definitionen liegt in keiner Weise etwas spezifisch Menschliches und (im "alteuropäischen" Sinne) Handlungstheoretisches. Es ist nicht zu sehen, wieso das alles nicht auch von einem Bienenvolk gelten soll, und wo der Vorteil solcher Abstraktionen liegt. Soll Komplexitätsreduktion im theoretischen Bereich Nivellierung bedeuten? – Der Reflexionsgedanke wird kaum weiter über "Reflexive Mechanismen" hinaus ausgebaut: Reflexion bleibt in ihrer Möglichkeit unbefragte, vom Subjekt als Selbstbezüglichkeit scheinbar ablösbare Anwendung von Prozessen auf "sich" selbst,99 nach dem Muster "Bürsten von Bürsten".100 In ihrer Ermöglichung durch Selbstbezüglichkeit unbegriffen, wird Reflexion "begriffen als die Fähigkeit eines Systems, sich als System in seiner Selektivität zu steuern."101
    Schließlich soll die Definition von "zwischenmenschlichem System" bei Watzlawick/Beavin/Jackson genannt werden: "Zwei oder mehrere Kommunikanten, die die Natur ihrer Beziehung definieren." 102 Offensichtlich hat solche Definition einer Beziehung etwas mit dem Begriff von Metakommunikation zu tun, den die Autoren einführen, indem sie zwar nicht mehrere Reflexionsstufen, aber doch zwei Aspekte unterscheiden: "Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt, derart, daß letztere den ersteren bestimmt und daher eine Metakommunikation ist."103
    Hier können wir anknüpfen. Unsere Definition vom Handlungssystem besteht in der Gleichsetzung mit dem in § 6 behandelten metakommunikativen Reflexionskreis. Handlungssystem heiße die reflexive Interdependenz der Sinnelemente, die jeweils auf eine spezifische Umwelt hin offen sind, sofern diese Interdependenz zu einem selbstreflexiven (metakommunikativen) Abschluß kommt. Wenn irgendwo, dann sind durch Reflexion Handlung und System miteinander vermittelt: Man kann über menschliches Handeln unmöglich adäquat sprechen, ohne auf deren Reflexionsstruktur einzugehen. Ebenso ist die spezifische Eigenschaft dynamischer Systeme, ihre Selbstregulierung, ein Reflexionsphänomen und im Falle von Handlungssystemen Selbstreflexivität.
    Mit der letzten Bemerkung haben wir den Anschluß an die allgemeine Systemtheorie und die Kybernetik erreicht. Auf diese sei eingegangen, bevor wir den definierten Systembegriff weiter erläutern und auswerten.
    "Das grundsätzliche Modell der Kybernetik ist bekanntlich das der Rückkoppelung oder des feedback-Kreises. Man kann eine Maschine selbstregulierend machen, ein Geschoß zu einem Zielpunkt leiten und dergleichen, indem die Abweichungen von dem zu erreichenden Sollwert in den Input der Maschine zurückgeführt werden, so daß die Maschine sozusagen empfindet, wie weit sie noch vom Ziel entfernt ist, und sich diesem zunehmend annähert. Der häusliche Thermostat, der durch Regulierung der Brennstoffzufuhr eine gewünschte Temperatur einstellt, ist das einfachste und bekannteste Beipiel solchen feedbacks... Ferner stellt sich heraus, daß das feedback-Modell keineswegs auf von Menschen produzierte Maschinen beschränkt ist. Es ist vielmehr in den verschiedensten Gebieten der Natur- und sogar Sozialwissenschaften anwendbar. Das bekannteste und am besten durchgearbeitete Gebiet ist das der biologischen Homöostase. Die Erhaltung zahlreicher biologischer Konstanten wird durch Rückkoppelungsmechanismen durchgeführt. Wenn etwa ein Warmblütler seine Körpertemperatur auf ungefähr 37 Grad konstant erhält, so geschieht dies durch Rückkoppelungsmechanismen, die allerdings erheblich komplizierter, im Prinzip aber durch ein ähnliches Schema oder Flußdiagramm beschreibbar sind wie das des einfachen Thermostaten. So waren die allgemeine Systemtheorie in dem zuerst ausgeführten Sinne und die Kybernetik verschieden in ihrem Ansatz: nämlich Grundwissenschaft, besonders Biologie im ersten, aber Technologie im zweiten Falle...Ideologisch impliziert die Systemtheorie eine neue Orientierung, ein neues Gedankenmodell oder Paradigma, im Gegensatz zu den blinden Naturgesetzen der klassischen Naturwissenschaften und der Welt als eines Würfelspiels, wie Einstein gesagt hat... Allmählich lernen wir, das Universum als etwas mehr zu betrachten – als eine große Organisation von Systemen, in die wir langsam Einblick gewinnen. Das hat schon Aristoteles geahnt, und es war das Weltbild der großen deutschen Denker..."104
    Lassen wir hier sekundäre, wenn auch wichtige Unterscheidungen wie die von "kumulativer" und "kompensierender" Rückkoppelung beiseite105 und wenden wir unsere Aufmerksamkeit auf die offensichtliche "Verwandtschaft" von Rückkoppelung und Reflexion. Sie bietet den Anlaß, hier auf kybernetischer Betrachtungsweise und Terminologie einzugehen. Führen wir uns das Grundmodell eines Regelkreises am einfachsten Beispiel, der automatischen Regelung der Zimmertemperatur durch einen Thermostaten, vor Augen:
    1. Die gewünschte Zimmertemperatur bzw. die Vorrichtung zu ihrer Einstellung ist die sogenannte Führungsgröße. Sie wird normalerweise von den Hausbewohnern mit der Hand fest eingestellt. In diesem Fall ist der Thermostat bzw. die Vorrichtung Führungsgröße ein Festwertregler. Ist diese aber selbst variabel, indem sie z. B. für Tag und Nacht oder sogar je nach Benutzung des Raumes variable Sollwerte angibt, so handelt es sich um einen Folgeregler.
  • Während die Führungsgröße nur den Sollwert Temperatur vorschreibt, vergleicht die Vorrichtung Regler den Unterschied zwischen Sollwert und Istwert, d. h. der tatsächlichen Zimmertemperatur, und wirkt der Abweichung durch eine steuernde Mitteilung an die Stellgröße entgegen.
  • Diese Stellgröße besteht beim Thermostaten in der Vorrichtung, wodurch die Menge des pro Zeiteinheit zu verbrennenden Heizöls geregelt wird. Sie vermittelt also zwischen dem vergleichenden Regler und dem Verbrennungsprozeß.
  • Regelstrecke heißt der Sammelbegriff für alle Zustandsgrößen des Systems, d.h. für die zu regelnden und auszugleichenden Faktoren: Außentemperatur, Einströmen von Aussenluft und sonstiger Wärmeausgleich, Raumgröße und nicht zuletzt Verbrennungsprozeß selbst.
  • Die Regelgröße ermittelt den Istwert, d.h. die tatsächliche Zimmertemperatur und gibt sie an den vergleichenden Regler weiter. Damit wird der Regelkreis geschlossen.
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    Schema:106
     
    Schon optisch frappiert die Parallele zum obigen Schema der Sinnelemente (S.18) und sie läßt sich durchaus sinnvoll ziehen.
    Zunächst für das personale System: Führungsgröße ist das Sinnmedium M, sofern es vom Subjekt gewußte und anerkannte Normen enthält; Regler ist das Gesamtbewußtsein des Subjekts; Stellgröße sind die Antriebe, Motive, Einstellungen und schließlich die Handlungen des Subjekts, wie sie ihm noch innerlich angehören und gemeint sind; Regelstrecke ist der Einfluß der Handlungen als äußerer auf die Außenwelt, der von einer Vielfalt sachlicher und interpersonaler Umstände abhängt; Regelgröße ist die Reaktion der anderen Subjekte So, die ihr feedback an den Regler, d. h. das Bewußtsein des Subjekts, einschließlich das Bewußtsein von M als sozialen Handlungsnormen, weiterleitet
    Es ist leicht zu sehen, daß eine solche Schematisierung künstlich, weil allzusehr vereinfacht ist und daher keinen großen Erkenntniswert hat. Schon bei einfachen Handlungszusammenhängen wie Autofahren oder Ballspiel müßte man die "Rückmeldung" durch Dinge und Umstände sowie Rückmeldung durch andere Personen unterscheiden. Und da sind wir noch auf der Ebene von technischem Handeln in sozialem Zusammenhang (Autofahren) oder strategischem Handeln (Ballspiel als Kampfspiel, während etwa beim Schachspiel nicht sosehr materielle Umstände als Sinnzusammenhänge für das strategische Verhältnis zwischen den Spielern wesentlich wird). Die grundsätzliche Frage aber, die sich angesichts des Regelkreis-Schemas stellt, lautet: Läßt sich das Zusammen der verschiedenen Sinnelemente und Handlungsstufen durch quantitative Steigerung der Komplexität des Regelkreis-Schemas eventuell erfassen, d. h. durch sogenannte Vermaschung einer Fülle verschiedener Regelkreise gleicher Art107 oder ist hier eine grundsätzliche Grenze rational abgebbar?
    Wenn man sich klar macht, daß Vermaschung Iteration derselben Struktur ist und daß das Regelkreisschema nur eine Reflexion erster Stufe - sei es die iterative Reflexion auf technisch-praktisches Handeln, sei es das strategische Handeln qua Reflexion auf die Absichten anderer – darstellt, wird man, bei aller Vorsicht, die einem Nichtspezialisten auf dem Gebiet der Kybernetik ansteht, doch starke Gründe geltend machen dürfen, weshalb die höheren Handlungs- und Reflexionsstufen durch Regelkreise in ihre Vermaschung nicht objektivierbar sind. Und zwar deshalb, weil es sich bei den höheren Handlungsstufen eben nicht um Iteration derselben Reflexionsstruktur handelt (welche man als iterative durch quantitative Vermaschung nachbauen könnte), also nicht um ein kompliziertes Ineinander und rasches Nacheinander einfach-intentionaler Akte und ihrer Wechselwirkung, sondern um in sich mehrfach reflektierte Akte, die sich in Selbstreflexivität des Handelnden vollenden. Diese Struktur von Selbstbezüglichkeit wurde ausführlich genug aufgezeigt. Der kybernetische Regelkreis mitsamt seinen Vermaschungen stellt eine Analogie zur Reflexion erster Stufe sowie zur iterativen Anwendung von Prozessen auf sich selbst dar. Analogie deshalb, weil solche Reflexion als reditio incompleta beim Menschen gewöhnlich ermöglicht und integriert ist von der reditio completa, der Selbstreflexion.
    "Philosophisch gesehen ist die Rückkoppelung nur ein Spezialfall der Wechselwirkung", stellt G. Klaus mit Recht fest.108 Ebenso dürfte es richtig sein, Kausalität nur als den Spezialfall der Wechselwirkung anzusehen, bei der die Rückwirkung des Verursachten auf das Verursachte praktisch gleich Null ist. So wie nun Sinnmitteilung (schon etwa bei tierischen Signalen, wo Sinn noch nicht als Sinn verstanden wird) grundsätzlich von Kausalität unterschieden werden muß, und zwar durch die Reflexivität des Geschehens, so auch und noch mehr das kommunikative Handeln von Wechselwirkung. Die Kategorie der Wechselwirkung kann allenfalls bildlich und analog auf kommunikative, d. h. innerlich gegenläufig reflektierte Verhältnisse, angewandt werden. Der Strenge nach ist sie für Kommunikation ebenso unangemessen wie die der Kausalität schon für einseitige Sinnmitteilung. Die methodische Selbstentfaltung der Reflexion zwingt zur Differenzierung solcher Kategorien (was für die scholastische Philosophie noch nicht aktuell war) und ermöglicht diese Differenzierung zugleich.
    Vom Gesagten her ergibt sich eine grundsätzliche Grenze kybernetischer Sozialtechnologie im Sinne der technischen Nachbildung sozialer Prozesse, die am ehesten noch für Wirtschaftsprozesse, ohne Absehung vom spezifisch Sozialen möglich sein dürfte. Nicht umsonst 
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    kommt einer der Begründer der Kybernetik zu einem so vorsichtigen Urteil: "Mit Sicherheit kann man wohl sagen, daß kybernetische Überlegungen sehr anregend auf die Sozialforschung wirken können und wirken, daß uns aber die Entwicklung strenger Techniken im einzelnen vor manche Schwierigkeiten stellen wird."109 Die Grenze kybernetischer Sozialtechnik bezeichnet jedoch keineswegs die einer mehrwertigen Soziallogik,110 die höheren Reflexionsverhältnissen Rechnung tragen könnte.
    Eine Anregung durch die kybernetische Analogie liegt z. B. in der Unterscheidung zwischen Festwertregelung und Folgeregelung, die für soziale Normen und das Problem ihrer Legitimität von großer Tragweite ist: der Unterschied von unwandelbar-statischer und wandelbar-dynamischer Normierung. Ihm voraus liegt noch der Unterschied von aktueller Regelung durch die jeweils beteiligten Kommunikanten einerseits und vorgegebenem Normenbestand andererseits. Zwar wird immer, selbst in der intimsten Zweierbeziehung, ein Normenbestand (bewußt oder unbewußt) vorausgesetzt: einmal streng apriorische Vernunftstrukturen oder Sinnstrukturen (wie solche, von denen wir hier handeln), sodann geschichtlich gewachsene, ins kollektive unbewußte im soziologischen oder gar psychologischen Sinn eingegangene Normen des sprachlich vermittelten Weltverständnisses und des Umgangs bis hin zu bewußten sozialen Umgangsformen, normierten Erwartungserwartungen. Der Bereich der primären, unmittelbaren Beziehungen mag noch am meisten auf der spontanen Regelung des Verhaltens durch die Beteiligten selbst beruhen. Aber schon dort herrscht eine Dialektik von freier Normensetzung (spontaner Regelung) und Normenvoraussetzung, die sich bei der Großgesellschaft zugunsten der dem Einzelnen vorausgesetzten Normen verlagert. Wenn wir Macht (im Unterschied zu "Herrschaft" hier völlig wertfrei verstanden) als Übergewicht oder Asymmetrie in den zwischenmenschlichen Beziehungen verstehen, so können wir die vertikale Normenmacht von der, unmittelbar auf übermächtige Einzelne zurückgehenden horizontalen Macht unterscheiden.
    Doch wurde das Macht- und Legitimitätsproblem hier nur im Zusammenhang mit der Einführung des Systembegriffs gestreift. Wir definierten ein Handlungssystem als Interdependenz der Sinnelemente, sofern diese zu einem selbstreflexiven, metakommunikativen Abschluß kommt. Dieser Abschluß geschieht in sozialen Normen und theoretischen Inhalten (Legitimationstheorie), wodurch das soziale System seine Identität gewinnt, ähnlich wie die Einzelnen ihre personale Identität. 
     
     
     
     
    Doch kann man von einem "selbstreflexiven Abschluß" im Hinblick auf das soziale System sprechen? Wer oder was reflektiert sich selbst? Sind es nicht nur jeweils die einzelnen, personalen Systeme? In welchem Sinn ist Selbstreflexion für ein soziales System als solches konstitutiv? Wie sind überhaupt personale und soziale Systeme begrifflich abzugrenzen, wenn zu beiden eine Pluralität von Subjekten gehört?
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    § 9: Gleichursprünglichkeit von personalem und sozialem Handlungssystem
     
    Personales und soziales Handlungssystem sind als einzige aufeinander unrückführbar und stehen in einem Verhältnis gegenseitiger Implikation zueinander. Ihr Unterschied ist allerdings struktureller Art, d. h. soziale Systeme sind nicht als Groß-Ich aufzufassen.
    (1) Der Unterschied zwischen personalem und sozialem System liegt also nicht darin, daß beim ersten nur ein Subjekt beteiligt wäre, beim zweiten mehrere, daß dies ein Interaktionssystem wäre, jenes nicht. Wir haben den Zusammenhang, um den es hier geht, bereits oben unter dem Gesichtspunkt einer Differenzierung von personal-intersubjektivem und sozial-intersubjektivem Handeln berührt, jedoch noch vom Standpunkt des Einzelnen. Wir sprachen damals schon von einer Identität des Einzelnen, die sich in der (zeitlichen) Vielheit seiner Sozialbezüge bildet und durchhält, auf der einen Seite, sowie von einer Identität der Gemeinsamkeiten, der sozialen Systeme, auf der anderen Seite.
    Selbst wenn man von der Vervielfältigung von Sozialbezügen des Einzelnen und der iterativen Bildung einer personalen bzw. umgekehrt von der iterativen Bildung einer Identität eines sozialen Systems durch Wechsel der Individuen zunächst absieht und das Individuum als nur in einer einzigen Sozialbeziehung (etwa der Mutter-Kind-Beziehung) stehend betrachtet, ist bereits eine doppelte Systemreferenz zu unterscheiden: die des Einzelnen einerseits sowie die der Gemeinsamkeit andererseits. Diese wird sich erst durch zeitliche Iteration für die Beteiligten selbst erlebnismäßig-psychologisch differenzieren, aber sinnanalytisch (und dies ist unser einziger Gesichtspunkt, der uns genug Aufgaben stellt, ohne daß wir auf Psychologie einzugehen brauchen) ist diese Differenz vornherein da. Durch die Vervielfältigung der Bezüge wird sie expliziert und inhaltlich gefüllt: Die Systemreferenzen verselbständigen sich.
    "Systemreferenz" nennen wir den Bezugspunkt, in dem ein System seine Einheit (Identität) hat. Personales und soziales System scheinen sich also so zu differenzieren, 
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    daß die Systemreferenz im ersten Fall das Selbstbewußtsein des Einzelnen, im zweiten Fall die Gemeinsamkeit als solche ist. Nach dem Schema der Sinnelemente: im ersten ist Ss die Systemreferenz, im zweiten M. Es handelt sich um teilweise "materialidentische" Systeme: Jedes ist wechselweise ein "Teil" des anderen. Hiermit haben wir vorläufig das Mißverständnis eines dinghaften Denkens vermieden, als sei der Unterschied zwischen Person und Gemeinschaft einfach der zwischen Einem und Vielen. Für ein relationales Denken, dem die konstitutive Bedeutung von Interpersonalität für Personalität, somit die Person als Selbstbezug eines Relationsgefüges (als relatio subsistens 112) aufgegangen ist, stellt diese Sicht eine unzulässige Vergröberung dar. Nochmals: in relationaler, reflexionslogischer und systemtheoretischer Sicht handelt es sich um einen Unterschied in der Systemreferenz, im Einheitsbezug.
    1. Damit aber hat sich die Frage nach der Selbstbezüglichkeit eines sozialen Systems als solchen verschärft, bis dahin, daß gefragt werden muß: Was eigentlich "ist" die Einheit der Systemreferenz M des Sozialen? Existiert sie als Einheit anderswo als im Kopf des Theoretikers? Bleibt sie realer nicht ein Reflexionsprodukt des Einzelnen: seine jeweilige Partizipation an einem gemeinsamen Sinn, der außer dieser je-individuellen Partizipation nichts als ein leeres Apriori ist? Könnte man nicht sagen: das personale Sinn- oder Handlungssystem hat, gleich einer Ellipse, zwei Brennpunkte: den Einheitsbezug Ss sowie den Einheitsbezug M - aber beide gehören seinem Selbstbewußtsein an? Was sind gemeinsame Normen und eine gemeinsame Kultur, wenn sie nicht von den Einzelnen gewußt und anerkannt werden? Haben sie eine andere ontologische Existenz als je in den Einzelnen? Ist die gemeinsame Systemreferenz M nicht ein je-individuelles, je-meiniges Reflexionsprodukt? Ist also die Selbstbezüglichkeit des sozialen Systems ausschließlich die jeweilige der beteiligten Subjekte? Der logische Unterschied zwischen den beiden Systemreferenzen ließe sich dann folgendermaßen umschreiben: Die Systemreferenz Ss kennzeichnet die Selbstreflexion in sich oder das durch die (personale und sachhafte) Andersheit vermittelte Beisichsein; die Systemreferenz M ist die Fähigkeit des beisichseienden (selbstbezüglichen) Subjekts, sich als beisichseiend zu entäußern und auf den Standpunkt der Gemeinsamkeit zu stellen. Man kann noch hinzufügen, daß diese Fähigkeit insofern eine Notwendigkeit ist, insofern das Selbstbewußtsein sein Beisichsein ursprünglich und fortdauernd erst aus der interpersonalen Synthese gewinnt. Von daher ist "Solidarität", nämlich die Einnahme 
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    des Standpunktes der Gemeinsamkeit für das Subjekt eine transzendentallogische Notwendigkeit – gleich, wie es zu dieser Notwendigkeit dann nochmals ausdrücklich-ethisch Stellung bezieht.113 Wir halten diese Position für zunächst berechtigt. Sie beinhaltet zwar einen "Nominalismus" des Sozialen 114, sofern von ihr her die Gemeinsamkeit eine bloß individuelle ist und Gemeinsamkeit-an-sich über die Gemeinsamkeit-für-mich hinaus ein theoretisches Produkt bleibt, aber keinen Individualismus. Sie wird deshalb auch nicht von Parsons "Lösung" unseres Problems überholt, wenn er auf gegenseitige Durchdringung (interpenetration) von sozialem und personalem System hinweist. Zumindest handelt es sich um keinen Individualismus im psychologisch-ethischen Sinn, wohl aber um einen höheren (weil schon relationalen) ontologischen Individualismus, der mit dem hier gemeinten Nominalismus gleichbedeutend ist. Parsons möchte jedoch darüberhinaus das Soziale als eine "Realität eigener Art" sehen: "Wenn Interaktionseigenschaften sich von Eigenschaften der handelnden Einheiten (Personen) ableiten ließen, wären soziale Systeme bloß Begleiterscheinungen, wie es die individualistische Gesellschaftstheorie nicht selten behauptet hat. Unsere in scharfem Gegensatz dazu stehende Position läßt sich weitgehend auf die Feststellung Durkheims zurückführen, die Gesellschaft sei – ebenso wie andere soziale Systeme, eine Realität eigener Art"115
    In der Tat war es unter den älteren Soziologen Emile Durkheim, der am entschiedensten beim Ganzen der Gesellschaft und bei den "sozialen Tatsachen" wie Normen und Institutionen ansetzte, die dem Handeln des Einzelnen als "contrainte sociale" vorgegeben sind.116 Die Gegenposition wurde bekanntlich am prominentesten und klarsten von Max Weber vertreten: "Soziale Beziehung soll ein seinem Sinngehalt nach aufeinander gegenseitig eingestelltes und dadurch orientiertes Sichverhalten mehrerer heißen. Die soziale Beziehung besteht also durchaus und ganz ausschließlich: in der Chance, daß in einer (sinnhaft) angebbaren Art sozial gehandelt wird ... Nur das Vorliegen dieser Chance: - der mehr oder minder großen Wahrscheinlichkeit also, daß ein sinnentsprechendes Handeln stattfindet, und nichts darüber hinaus – bedeutet der Bestand der sozialen Beziehung. Daß eine Freundschaft oder daß ein Staat besteht oder bestand, bedeutet also ausschließlich und allein: wir (die Betrachtenden) urteilen, daß eine Chance vorliegt oder vorlag: daß aufgrund einer bestimmt gearteten Einstellung bestimmter Menschen in einem durchschnittlich gemeinten Sinn nach angebbarer Art gehandelt wird, und sonst gar nichts."117
     
     
     
    Man mag sagen, Weber wollte empirischer Soziologe und kein Sozialontologe sein; doch das hier deutliche Pathos der Reduktion des Sozialen auf das Handeln des Einzelnen und auf die äußerlich betrachtende Objektivierung von Verhaltenschancen enthält zuviel implizite Ontologie, als daß es nur als methodisches Programm aufgefaßt werden könnte. Weber erklärt nicht und kann von solchen Vorentscheidungen hier nicht erklären, wie überhaupt Verhaltenschancen und soziale Gesetzmäßigkeiten zustande kommen können. Dies müßte gerade ein handlungstheoretischer Ansatz leisten. Umgekehrt erspart sich Durkheim, den genetischen Zusammenhang zwischen dem Handeln der Einzelnen und den "faits sociaux", an denen er interessiert ist, aufzuzeigen.
  • Wir haben schon früh auf das Sinnmedium M als zumindest apriorisch-leere, gewöhnlich aber bereits kulturell-sprachlich gefüllte Bedingung der Möglichkeit zwischen-menschlicher Kontaktaufnahme (Kommunikation im weiteren Sinn) hingewiesen; ferner im vorigen Paragraphen auf die Doppelheit von Voraussetzung und Setzung dieses Mediums als sozial gestaltete Sinnwirklichkeit (in Hegels Sprache "objektiver Geist"). Die Schwierigkeit, auf die wir nun bei der Abgrenzung von personalem und sozialem System stießen, war das jeweilige Fürmichsein des Gemeinsamen. An dieser Jemeinigkeit ist festzuhalten, ebenso wie an dem genetischen Zusammenhang zwischen Handeln und sinnhafter Objektivität, um einen falschen Objektivismus oder eine Hypostasierung des Sozialen zu vermeiden. Dennoch, das kulturell gestaltete Sinnmedium gewinnt, als Medium des sozialen Handeln der Beteiligten (nicht als eigenes "cultural system" für sich), d. h. als intersubjektiv reflektierend gesetzte wie vorausgesetzte Mitte des Handelns, seine eigene Gesetzlichkeit, die nicht die Struktur und Gesetzlichkeit ist, die des jeweils für den Einzelnen hat, sofern dieser bewußt an ihm partizipiert. Solche reflexionslogische Gesetzlichkeit hat nicht erst Marx in seinem "Kapital" für die kapitalistische Wirtschaft und Gesellschaft ins Bewußtsein zu heben versucht. Ihm und den anderen, psychologischen "maitres des soupcon", den Anwälten unbewußter Gesetzlichkeit, ging Hebel voraus, vor allem im reflexionslogischen Kapitel "Geist" seiner "Phänomenologie".118 Der sogenannte "Strukturalismus" verdankt in dieser Hinsicht sein Neuheitserlebnis der Vergeßlichkeit.119 – Doch dies nur als geschichtliche Hinweise auf das, was mit der Eigengesetzlichkeit des sozialen Systems aus solchen gegenüber seiner Jemeinigkeit für die an ihm teilnehmenden Personen gemeint sein soll. Nur der eine oder andere Zug kann im folgenden davon herausgestellt werden. Hier geht es zunächst um seine bloße Existenz und begriffliche 
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    Ortung. Über einen sozialphilosophischen Nominalismus sind wir sowohl mit der Berücksichtigung des apriorischen Sinnmediums (apriori der Kommunikationsgemeinschaft) überhaupt wie durch den Hinweis auf seine reflexionslogische, nicht auf Jemeinigkeit rückführbare Gestaltung hinaus. Der "Bestand", die Ontologie sozialer Systeme ist: die Logik der Gestaltung und Weiterentwicklung des Sinnmediums durch das setzend-voraussetzende Handeln der Beteiligten. In diese Logik ist die bewußte Jemeinigkeit für den Einzelnen ebenso einbezogen wie das mögliche Vergessen des genetischen Handlungsursprungs der sozialen Wirklichkeit durch die handelnden Subjekte, welches Vergessen Hegel "Entfremdung" nannte.120
    Von der Struktur und Gesetzlichkeit sozialer Systeme, die sich in symbolischen, sprachlichen usw. Formen objektivieren, die die immanente Struktur und mehr oder weniger große Kohärenz kultureller Gebilde zu unterscheiden, die als umfassende und in sich geschlossene (wie z. B. die Sprachen) ebenfalls den Namen "Systeme" verdienen. Parsons hat zurecht auf ihre Übertragbarkeit in andere soziale Systeme hingewiesen, woran sich deutlich die Ablösbarkeit vom ursprünglichen Handlungskontext zeigt. Doch solche kulturellen Systeme sind keine eigenen Handlungssysteme. Mit dieser Behauptung hat Parsons unrecht. Sie führte ihn dazu, ein eigenes Subsystem "Normenerhaltung" anzusetzen (dazu unten § 12) und statt der einzigen gleichursprünglichen Implikation von personalen und sozialen Systemen (die aus der Gleichursprünglichkeit der Subjekte zueinander sowie zum Sinnmedium resultiert) drei aufeinander unableitbare Handlungssysteme anzusetzen, in deren Hintergrund, anonym, ein "allgemeines Handlungssystem" verborgen bleibe.121 Doch Kultur stellt lediglich das objektivierbare Medium sozialer Interaktionsprozesse, einschließlich individueller Hervorbringungen, dar, und nicht selbst einen eigenen Handlungsprozeß – es sei den, man meint eine strukturelle Systemschicht, ein Subsystem des Sozialen (dazu § 12). Das ist etwas anderes, als sie neben dem Sozialen und Personalen (sowie dem physischen System, das selbstverständlich auch für Parsons kein Handlungssystem darstellt) zum Subsystem eines "allgemeinen Handlungssystems" zu deklarieren, wodurch sie größere, zu große Unabhängigkeit gewinnt. Mit der Ansetzung eines allgemeinen Handlungssystem wird die Pointe der Unrückführbarkeit von Personalem und Sozialem auf anderes wie aufeinander – als ihre wechselseitige Implikation – verfehlt. Diese liegt in der Verdoppelung bzw. Vervielfältigung von Selbstbezüglichkeit als Selbstbezug-im-Fremdbezug.
    (4) Noch sind wir die Antwort auf die Frage schuldig, ob auch für soziale Systeme als solche (nicht nur, sofern sie personale Selbstbezüglichkeit einschließen) Selbstbezüglichkeit konstitutiv ist. Aus dem bisher Gesagten ergibt sich eine verneinende Antwort: Selbstbezüglichkeit gehört zwar sozialen Systemen an, jedoch nur als solche der handelnden Subjekte: Nicht das Medium (vor allem Normengefüge), wodurch soziale Systeme ihre Identität erlangen, bezieht sich auf "sich", sondern nur die beteiligten Subjekte je auf sich, indem sie sich aufeinander beziehen, und dies vermittels der gemeinsamen Mitte. Das heißt mit anderen Worten: soziale Einheiten sind kein Groß-Ich. Ihre Hypostasierung zu persönlichkeitsartigen Größen ist – zumindest wenn wir von der christlich-theologisch Deutung der Sinnpartizipation (vgl. § 7) ansehen – Mythologie, eine Mythologie, wie sie sich in der griechischen Götterwelt, nach Hegels und Hölderlins Deutung, noch unbefangen aussprach, sofern die Götter der klassischen Zeit die Gemeinwesen selbst in ihrer Einheit unbewußt-unreflektiert versinnbildeten.
    Es gibt jedoch eine wichtige Personifizierung und von daher Selbstbezüglichkeit sozialer Systeme: in Amtspersonen und Amtshandeln. Im Amtshandeln handeln Subjekte für die Einheit des sozialen Wesens, d. h. als beauftragt und als für das Ganze handelnd anerkannt, wie immer diese Beauftragung und Anerkennung geschieht. Man kann Amthandeln als eine spezifische Form von Rollenhandeln auffassen. Schon dieses aber ist nicht nur als erwartungsgemäßes Handeln schlechthin122 zu verstehen, sondern als Funktion bereits konstituierter sozialer Ganzheiten bzw. der von solchen abgelagerten Normen; und das Spezifische amtlicher Rollen besteht eben darin, daß Verhaltenserwartungen bzw. Erwartungserwartungen an das Subjekt des Amtsträgers als an die reflexive Einheit des sozialen Gebildes ergehen: daß sein subjektives Handeln – und Handeln ist ausnahmslos das von selbstbezüglichen Subjekten – als das der sozialen Einheit erwartet und diese Erwartung seinerseits als von ihm erwartet wird. (Spezielle Anerkennungs- und Kompetenzschwierigkeiten können uns hier nicht interessieren. Will man sie anders als positiv-juristisch beschreiben, bedarf es bereits Analysen wie dieser) Amtshandeln ist – nochmals anders und definitionsartig ausgedrückt – solches Handeln, dessen unmittelbare Einzelheit mit der Allgemeinheit oder reflexiven Einheit des betreffenden Gemeinwesens ineinsgesetzt wird, wobei diese Ineinssetzung (Identifizierung) ihrerseits durch Reflexion geschieht: Die Einheit des Gemeinwesens geht als Inhalt in die gegenseitigen Verhaltenserwartungen und deren Definition ein. 
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    Die Differenzierung zwischen dem Handeln der Amtsträger als solcher und als Privatperson, zwischen ihrer unmittelbaren Einzelheit und der "Charaktermaske" (Hegel, Marx) ihrer reflektierten oder allgemeinen Einzelheit, geschah nicht einmal, sondern tausendfach in der Geschichte, wie sie tausendfach nicht geschah – und geschieht.
    Zusammenfassend: (1) Der Unterschied zwischen personalem und sozialem Handlungssystem liegt in den verschiedenen Systemreferenzen, wobei für das soziale System die Frage entsteht, ob sein Einheitsbezug (Systemreferenz) nicht nur unserer äußeren, theoretischen Reflexion angehört. (2) Er besteht aber auch als jemeiniger Bezug der Subjekte auf die Gemeinsamkeit oder Einheit. (3) Darüber hinaus geht die Einheit des sozialen Systems als Eigengesetzlichkeit (Reflexionslogik) des Handlungszusammenhangs nicht in der Jemeinigkeit auf; die subjektive Reflexion geht vielmehr ihrerseits nochmals als ein Moment in die Einheit der sozialen Reflexion ein. (4) Eigene Selbstbezüglichkeit erhält das soziale System erst in den Amtsträgern und deren Handlungen.
    Wo Amtshandeln vorliegt, kann man passend von formellen Sozialsystemen sprechen; sonst von informellen (Zweierbeziehungen, teils Familien, informelle Gruppen). Für formelle Sozialsysteme ist damit ein empirisch relativ klares und leicht handhabbares Kriterium gegeben, da sich im allgemeinen feststellen lassen dürfte, wo und für welchen Personenkreis es Ämter (als dauernde Beauftragung, sei diese stillschweigend oder ausdrücklich, geduldet oder positiv erwünscht) gibt. – Schwieriger verhält es sich mit der empirischen Operationalisierbarkeit des Begriffs "informelle Systeme". Parsons Definition – "wo immer eine Interaktion auf der soziokulturellen Ebene stattfindet – und sei es auch nur zwischen zwei Menschen -, so entsteht ein soziales System" 123 – bleibt, wie schon erwähnt, zu unbestimmt und anfechtbar. Der definitorische Gesichtspunkt von Watzlawick/Beavin/Jackson – "ein oder mehrere Kommunikanten, die die Natur ihrer Beziehung definieren"124 deckt sich mit unserer Bestimmung: wo es zu einem strukturellen, metakommunikativen Abschluß kommt. Durch die Unterscheidung der vier Handlungsebenen wird diese Definition empirisch eher greifbar, wenn beachtet wird, daß trotz eines metakommunikativen Abschlusses das interpersonale oder soziale System 125 von der Ebene der physischen Gewalt oder des strategischen Handelns beherrscht werden kann. Letzteres ist etwa der Fall, wenn Geschäfts- und Rechtsbeziehungen im Vordergrund stehen. Zweierbeziehungen werden jedoch nur dann als eigene Systeme anzusprechen sein, wenn die Kontakte nicht ausschließlich Funktion eines größeren Ganzen sind, sondern das zustande kommt, was man gewöhnlich eine "persönliche Beziehung" nennt, sei diese positiv oder negativ. Gemeint sein dürfte mit dieser Wendung nämlich eine metakommunikative "Definition" der gegenseitigen Beziehung. Dies kann buchstäblich "auf den ersten Blick" erfolgen oder trotz jahrelangen Umgangs vermieden werden. Um übrigen wollen diese Bemerkungen eher eine detaillierte Untersuchung und die eigenen Beobachtungen des Lesers anregen als sie erübrigen.
     
     
    Die Verwendung des Systembegriffs selbst für die primären interpersonalen Beziehungen stellt keine überflüssige Spielerei oder sprachliche Komplizierung von selbstverständlich Bekanntem dar. Ihre Fruchtbarkeit ergibt sich aus dem Gedanken einer Systemlogik, welche die bewußten Intentionen der Handelnden übersteigt. Dieser Ontologik und ihrer Erkenntnis kommt sowohl in primär-interpersonalen wie im sekundär-sozialen Bereich erhebliche Bedeutung zu.126
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    § 10: Elementarsystem – Subsysteme– Gesamtsystem (korporative Subsysteme)
     
    Den Weg von elementaren Sozialsystemen zu Gruppen und umfassenden Gesamtsystemen stellt die iterative Reflexion dar. Das iterative Bildungsgesetz besagt jedoch nicht Iteration der Struktur der konstituierten Gebilde und ist mit deren subsidiärer Koexistenz vereinbar.
    Nach der Einführung des Systembegriffs für Handlungssysteme überhaupt (§ 8) sowie für personales und soziales System in ihrer Differenzierung (§ 9) entsteht die Frage: Was leistet solche Reflexions-Systemtheorie? Selbstverständlich kann die Frage hier und überhaupt keine erschöpfende Antwort finden. Wir beschäftigen uns mit einigen grundlegenden Perspektiven. Dazu gehört zuerst die Frage nach dem wissenschaftlichen wie realgenetischen Übergang von elementaren zu umfassenden Sozialsystemen sowie die Frage der Subsysteme. Wie sind solche systemtheoretisch und mit Hilfe des Reflexionsgesichtspunktes in ihrem Verhältnis zueinander denkbar, d. h. ohne Willkür rekonstruierbar? Dies fordert zu einer Typologie von Subsystemen heraus. Und zwar geht es in diesem Paragraphen zunächst um solche Subsysteme, die äußerlich in einem quantitativen, umfangslogischen Verhältnis zueinander stehen, während – nach einem Einschub über Geschichte (§ 11) – erst in § 12 die Subsysteme zur Rede stehen werden, die wir strukturelle nennen.
    Das elementarste Sozialsystem stellt die duopersonale Beziehung dar, die Zweiergemeinschaft. In rein quantitativer Rücksicht läßt sich das nicht gut bestreiten – obwohl z. B. Durkheim die "Horde" für geschichtlich elementar ansetzen wollte. 127 Parsons stellt mit Recht fest: "The interaction of ego and alter is the most elementary form of a social system. The features of this interaction are present in more complex form in all social systems."128 Vom Reflexionsgesichtspunkt her trifft das umso mehr zu, als sogar die oben besprochene Selbstbezüglichkeit des Sozialen als solchen, die wir im Amtshandeln fanden, im Zweiersystem informell gegeben sein kann, indem einer der Beteiligten, im Idealfall reziprok beide, in seiner Person die Gemeinschaft verkörpert und für sie handeln kann.129 Dies als Nachtrag zum Vorigen.
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    Im allgemeinen herrscht Schweigen darüber, wie denn die genetische und strukturelle Beziehung zwischen dieser kleinsten sozialen Einheit zu umfassenderen Gebilden bis hin zu Staat und Weltgesellschaft (falls es diese als System geben sollte) zu sehen sei. Unsere These geht dahin, daß dieser Weg logisch-genetisch (transzendental-genetisch) ebenfalls von der Reflexion, und zwar von der wiederholenden, iterativen Reflexion gebildet wird. Über iterative Reflexion als solche des Selbstbewußtseins, ihre Ernötigung durch die Verwiesenheit auf Anderes sowie ihren zeitkonstitutiven Charakter wurde in § 3 gehandelt. Hier kommt sie in Betracht als solche des sozialen Systems, das "sich" selbstverständlich nur durch das Handeln der Subjekte, seiner Rollen- und Amtsträger, weiterreflektiert und dadurch eine Reflexionsgeschichte hat. Iteration soll also im Hinblick auf soziale Systeme die durch die Teilnehmer geleistete Wiederholung der systemkonstitutiven Reflexion mit wechselndem Inhalt heißen. Normalerweise wird diese Iteration bloß quantitativ in dem Sinne bleiben, daß der normative Systemabschluß nicht wesentlich verändert wird, daß also die Einbeziehung neuen Inhalts den unteren Systemstufen (Reflexionsstufen) angehört und nicht die metakommunikative Abschlußreflexion betrifft. Wo dies der Fall ist, d. h. wo eine wesentliche qualitative Änderung im Inhalt der Abschlußreflexion vorliegt und dennoch Kontinuität desselben Systems, kann man von einer qualitativen Iteration und Veränderung sprechen. Die qualitative Iteration kann das bestehende System qualitativ verändern; sie kann aber auch zu einem neuen System führen – wenn das alte oder die alten Systeme, aus denen das qualitativ neue durch iterative Reflexion hervorging, zugleich weiterbesteht bzw. weiterbestehen.130 So geschieht, in abstrakter Form beschrieben, die Bildung koexistenter Systeme, die in einem genetischen Zusammenhang miteinander stehen. Und dieser genetische Zusammenhang ist iterative Reflexion – ähnlich, wie für schon konstituierte Subjekte (personale Systeme) der Eintritt in neue Sozialsysteme, durch Aufnahme oder Mitgründung, ihrer jeweiligen iterativen Bewußtseinsgeschichte angehört und diese qualitativ verändern kann.
    Das einfachste Beispiel liefert der Übergang einer Summe von Zweierbeziehungen zu einer Gruppeneinheit: Von drei Personen mögen sich jeweils zwei gut kennen, vielleicht gar, ohne um den gemeinsamen Freund zu wissen. Es bestehen also drei elementar Zweierbeziehungen. Nun treffen sie eines Tages zu dritt zusammen. Die Situation stellt vor die Frage, ob es bei einer Summe von Zweierbeziehungen bleibt, so daß jeweils einer – im günstigsten Fall:
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    abwechselnd jeder – der Ausgeschlossene ist, wenn zwei miteinander sprechen; oder ob ein qualitativer Umschlag stattfindet, nämlich die Reflexion in eine neue Gemeinsamkeit , die einer Dreiergruppe. Daß nun jeder zu den beiden anderen zugleich spricht und sprechen will, ist dafür notwendige, nicht hinreichende Bedingung. Hinreichende Bedingung stellt die Einbeziehung in ein Wir-Bewußtsein dar; genauer: daß von jedem die Beziehung auf die neue Einheit erwartet, diese Erwartung ihrerseits von den jeweils anderen erwartet wird und ein Einverständnis über Erwartungserwartungen vorliegt. Diese quantitative Einbeziehung kann sich an klar umrissene Inhalte, z. B. Arbeitsziele knüpfen. Der normative Inhalt der neuen Gruppe kann aber auch in der Schwebe oder diffus bleiben und sich lediglich in den formalen Inhalt befestigen, eine Gruppe sein und bleiben zu wollen, woraus bereits eine Menge neuer Verhaltenserwartungen und Erwartungserwartungen erfließt: In Zukunft mag z. B. Paul erwarten, daß Inge ihn mit zum Geburtstag einlädt, und Inge, daß er ihre Einladung normal findet, also mehr oder weniger erwartet usw.
    Das simple Beispiel zeigt bereits wichtige Strukturen von allgemeiner Bedeutung. Verdoppeln wir die Zahl der Beteiligten, um einige davon deutlicher zu sehen:
    1. Die Zweiersysteme müssen sich keineswegs in der Gruppe auflösen, also aufhören. (Sie können es der Strenge nach als Elementarsysteme, im Unterschied zu allen anderen, nicht völlig.) Es kommt also eine Koexistenz von Gruppe und ihren Elementarsystemen zustande.
  • Sofern die Elementarsysteme fortbestehen, hat die Gruppe in ihnen Subsysteme und somit nicht nur eine "soziale Dichte" (als Zahl der Elementarbeziehungen), sondern auch ein "soziales Volumen": eine Hierarchie von Subsystemen und (relativem) Gesamtsystem:131 in der angenommenen Sechsergruppe können sich, außer den Elementarsystemen, noch weitere Substrukturen bilden. – Es war schon eine Idee Durkheims, dessen Ausdrücke hier verwendet wurden, daß man eine Typologie von Gesellschaften nach der Art ihrer Zusammensetzung aus Subsystemen geben müsse.132 
  • Die Subsysteme brauchen sich keineswegs darin zu erschöpfen, nur Subsysteme dieser Gruppe zu sein. Sie können je für sich, von den Einzelnen her gesehen, viel wesentlicher sein als die Gruppe. Sie sind dann also nicht auf die Gruppe hin zu funktionalisieren. Es hängt 
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    vom Ziel und Inhalt des quantitativ "übergeordneten" Systems ab, wieweit eine Funktionalisierbarkeit der Elementar- und anderen Subsysteme auf das "Ganze" hin vernunftgemäß möglich und somit – sozialethisch gesprochen – gerechtfertigt ist. In dieser Nicht-Funktionalisierbarkeit quantitativ "untergeordneter" Systeme vor allem auf den Staatszweck hin liegen wohl die entscheidende Begründung und Kriterien für das aus der katholischen Soziallehre bekannte Subsidiaritätsprinzip, insofern diese nicht nur die gemeinwohlorientierte Gliederung des Staates als solchen meint, sondern sein Verhältnis zu Subsystemen, die sich nicht darin erschöpfen, auf den Staatszweck hin funktionalisierbare Subsysteme zu sein. Wir kommen in staatsphilosophischem Zusammenhang (§ 15) darauf zurück.
  • Ebenso wie es für den Charakter der Gruppe nicht gleichgültig ist, ob sie soziales Volumen, also Subsysteme hat, so prägt umgekehrt die Existenz der Gruppe mehr oder weniger tiefgreifend die Elementarbeziehungen. Ob der Schwerpunkt bei diesen bleibt oder ob dieser an das Gesamtsystem übergeht – in jedem Fall besteht eine gegenseitige Durchdringung der im quantitativen Über- und Unterordnungsverhältnis stehenden, aber koexistenten (vgl. 1) Systeme. Genauer: neben dem iterativ-genetischen Zusammenhang (den wir bisher als solchen von unten nach oben betrachteten) tritt ein Reflexionsverhältnis der Gegenseitigkeit koexistenter Gebilde, das dann Reflexionsverhältnis von Subjekten oder dem von vornherein koexistenter, genetisch voneinander unabhängiger Systeme vergleichbar ist.
  • Nun können sich Elementarsysteme und andere Subsysteme jedoch auch innerhalb schon bestehender, größerer Ganzheiten bilden: In einer Gruppe oder Institution (zu dieser Unterscheidung nachher) können sich Einzelbeziehungen erst nach der Konstitution des Ganzen knüpfen. Allerdings sind für die Konstitution der größeren Einheit schon tragende Elementarbeziehungen vorausgesetzt. Das Gesetz der iterativen Bildung eines nicht-elementaren Ganzen aus Elementarbeziehungen ist auch hier nicht außer Kraft gesetzt. Nur daß noch eine entgegengesetzte Bewegung hinzukommt: das Ganze schafft "sich" Substrukturen, etwa gar durch beauftragtes Amtshandeln. In diesem Fall liegt eine ebenfalls, im Hinblick auf die Selbstbezüglichkeit des Ganzen, iterative Bildung neuer Systeme vor: nur statt nach "oben" oder "außen" diesmal nach "unten" oder "innen". Es ist aber ein bekanntes Problem, daß solche Bildung von Substrukturen, die einer größeren Einheit Volumen, Dichte und damit Kohärenz geben sollen, auf die Spontanität von unten angewiesen ist. Immer, wenn umfassendere soziale Einheiten vorher bestehen und "sich" strukturieren, wird eine Doppelbewegung als Iteration des Gesamtsystems einerseits, als Iteration von Elementar- und Subsystemen andererseits, empirisch greifbar.
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    Bevor wir einige Folgerungen ziehen, empfiehlt es sich, auf zwei naheliegende Einwände einzugehen:
    Erstens wird hier nicht eine Logisierung geschichtlicher Systembildungsprozesse vorgenommen, die in Wirklichkeit von ganz anderen Faktoren abhängen als von der "Logik der iterativen Reflexion": von Macht und Machtstreben, Antrieben und Willkür der Individuen, Zufall, von biologischen und geographischen Gegebenheiten und, nochmals, von physischer Gewalt – wenn man an Stammesbildungen, Städtegründungen und Staatenbildungen denkt, oder einfach an vorgegebene Siedlungs- und Nachbarschaftsverhältnisse? Darauf ist zu antworten: logisch-genetischer Zusammenhang ist in der Tat nicht dasselbe wie historisch-genetischer Zusammenhang. Für den letzteren sind alle angeführten Faktoren bedeutsam. In der anstehenden Frage der Systembildung stellt das Logische tatsächlich nur einen Faktor des Geschichtlichen dar, aber immerhin einen unübergehbaren Faktor. Er kann von den anderen überdeckt, aber nicht außer Kraft gesetzt werden. Ein Staatsvolk z. B. kann durch Gewalt zusammengezwungen oder geteilt werden. Zu einem durch mehr als äußeren Zwang zusammengehaltenen System kann es jedoch nicht anders werden, als daß Einzelbeziehungen und Subsysteme es tragen. Hierin spielt die Logik, von der gesprochen wurde. Durch sie werden die anderen Faktoren erst interessant. –
    Die Fallgesetze bleiben auch und gerade dann gültig, wenn es sich nicht mehr um den freien Fall handelt, an dem allein sie erst einmal entdeckt werden konnten. – Es gibt einen kurzschlüssigen Ruf nach "Konkretheit", der am wenigsten zur Erkenntnis des Konkreten beiträgt.
    Zweitens ist hier nochmals dem Einwand eines sozialen Nominalismus Rechnung zu tragen.133 Hinter diesem Einwand steht die Grundeinsicht, daß umfassende soziale Einheiten nicht durch Zusammensetzung gedacht werden können, daß die Einheit nicht Produkt einer atomistischen Vielheit sein kann. Dem können wir nur zustimmen: Soziale Einheit stellt gegenüber den ihr untergeordneten Elementen ein Novum dar, und zwar ein auf diese unableitbares. Doch die Herstellung eines genetischen Zusammenhangs, wie wir ihn in der iterativen Reflexion sehen, 
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    bedeutet nicht Reduzierung der sozialen Einheit auf Vielheit. Wir sprachen oben von einem qualitativen Umschlag der "von Hause aus" quantitativen Iteration: als qualitative resultiert die iterative Reflexion in einer neuen konstitutiven. Wie aber ist dieser qualitative Umschlag zu verstehen? Die auf die Vielfalt unableitbare Einheit des Sozialen haben wir in ihrer (streng oder geschichtlich-relativ) apriorischen Form unter dem Titel Sinnmedium eingeführt, als Bedingung der Möglichkeit jeder Vergemeinschaftung. Unser Anlauf von der Subjekttheorie her sollte zeigen, daß ein atomistisches Subjekt, welches sich nicht durch Reflexion aus Andersheit, vor allem aus anderer Subjektivität sowie aus jenem gemeinsamen Medium zu sich selbst vermittelt, undenkbar ist. Hierin liegt der grundsätzlichste Abweis eines sozialen Nominalismus, zu dem wir noch die aufs Individuum unrückführbare Eigengesetzlichkeit der sozialen Reflexion hinzugefügt haben (§ 9). Um die Frage nach dem qualitativen Umschlag im obigen Beispiel der Gruppenbildung aus einer Summe von Elementarsystemen möglichst präzis zu beantworten: Die Beteiligten müssen auf die noch nicht realisierte Gruppeneinheit als bereits a priori gegebene und somit realmögliche vorgreifen, diese also als vorgegebene und realisierbare voraussetzen, um sie in der beschriebenen Reflexion der Verhaltenserwartungen zu realisieren.
    Wenn wir den genetischen Aufbau sozialer Einheiten von unten her mit Hilfe des Reflexionsprinzips zu rekonstruieren suchen, so kommt das der entgegengesetzt formulierten Aufgabe gleich, wie sich das Unbedingt-Allgemeine von Sinn in sozialen Einheiten konkretisiert. Es handelt sich im Grunde nicht um ein lineares Vorgehen von unten allein, sondern um die Analyse einer Doppelbewegung: wie wir das alle Sozialität, angefangen vom elementarsten System, vermittelnde Sinnmedium die konkret gestaltete Mitte, die in der Zweierbeziehung (für sich allein gesehen) noch abstrakt und leer bleibt? "Die Individuen der Menge, da sie selbst geistige Naturen und damit das gedoppelte Moment, nämlich das Extrem der für sich wissenden und wollenden Einzelheit und das Extrem der das Substantielle wissenden und wollenden Allgemeinheit in sich enthalten, und daher zu dem Rechte dieser beiden Seiten nur gelangen, insofern sie sowohl als Privat- wie als substantielle Personen wirklich sind", 134 konkretisieren ihre eigene Allgemeinheit letztlich nur um Konkret-Allgemeinen eines umfassenden, ja universalen Gemeinwesens. Dementsprechend wurde bereits gesagt, daß die Subsysteme ihrerseits vom Gesamtsystem tiefgreifend modifiziert und begründet werden, sofern dieses Ganze – ob es zeitlich früher realisiert ist oder nicht – eine konkretere Gestaltung des allgemeinen Sinnes 
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    darstellt und – mit Hegel zu sprechen - in seinen Subsystemen "erscheint". Die "atomistische, abstrakte Ansicht verschwindet schon in der Familie wie in der bürgerlichen Gesellschaft, wo der Einzelne nur als Mitglied eines Allgemeinen zur Erscheinung kommt. Der Staat aber ist wesentlich eine Organisation von solchen Gliedern, die für sich Kreise sind, und in ihm soll sich kein Moment als unorganische Menge zeigen".135
    Die Betrachtung der Genese umfassender Gemeinwesen von unten her, durch iterative Reflexion quantitativer untergeordneter Systeme, hat deshalb einen Vorrang, weil sie am handlungstheoretischen Verständnis von Systemen festhält. Wir sahen, daß selbst die iterative Ausgliederung von oben, von einem vorher konstituierten Ganzen her, auf das Handeln Einzelner angewiesen ist. Nur Einzelne können handeln, selbst im Amtshandeln. Aus demselben Grund sind übrigens die Zweierbeziehungen in einem mehr als quantitativen Sinne Elementarsysteme: Ohne sie gibt es keine einzige soziale Einheit, die Systemcharakter hätte. Wenn Interaktionen im weiteren Sinne das Gewebe sozialer "Organismen" ausmachen,136 dann die Elementarsysteme (als selbst metakommunikativ abgeschlossene Einheiten) deren Skelett. Eine solche Sicht hat mit sozialem Nominalismus nichts zu tun, wenn jene Gegenläufigkeit der Konkretisierung des Allgemeinen, das alle Sozialität vermittelt, nicht vergessen wird. Vergißt man umgekehrt den Weg vom Elementaren zum Umfassenden, der hier als iterative Reflexion aufgezeigt wird, wird man in der Entfremdungsfigur eines Begriffsrealismus des Sozialen, eines eventuell systemtheoretisch modernisierten Objektivismus landen.
    Es ist von Bedeutung, die iterative Reflexion als das Bildungsgesetz größerer sozialer Einheiten aus kleineren oder umgekehrt zu erkennen, weil auf diese Weise eine Einheit zwischen der Reflexion als dem konstitutiven Prinzip einerseits sowie als genetischem Prinzip andererseits sichtbar wird. Anders ausgedrückt: es besteht nicht nur eine Entsprechungsanalogie zwischen Elementarsystemen – Subsystemen – Gesamtsystemen durch ihre jeweils reflexive Konstitution (a), und dies bei allen Strukturunterschieden der Dichte, des Volumens sowie des systemkonstituierenden Inhalts (den Werten oder Zwecken); 
    Reflexion wird als iterative auch als Prinzip einer dynamisch-genetischen Attributionsanalogie der hierarchischen Über- und Unterordnungsverhältnisse sichtbar (b). Und schließlich stehen die über- und untergeordneten Gebilde als koexistente in Reflexionsverhältnissen zueinander, vergleichbar denen zwischen Individuen oder besser zwischen gleichgeordneten, genetisch nicht voneinander abhängigen Systemen (c).
     
     
     
     
     
     
     
     
    Hiermit ist der Weg zur Unterscheidung zweier Typen von Subsystemen geebnet, denen (wie schon erwähnt) beiden gemeinsam ist, daß sie äußerlich-unmittelbar, d. h. von reflexionslogischen Verhältnissen abgesehen, in einem quantitativen, umfangslogischen Verhältnis, zu den Elementarsystemen, zueinander sowie zum Gesamtsystem stehen: (Über letzteres werden wir unter "Staat und Gesellschaft" in § 15 handeln).
    (1) Man könnte im Hinblick auf diesen gemeinsamen Zug von "quantitativen Subsystemen" sprechen, wenn es nicht günstiger wäre, diese Bezeichnung dem ersten Typ, den Gruppen, vorzubehalten. Wir meinen Gruppen als Systeme, nicht als aktuell-zufällige Ansammlungen von Menschen, erst recht nicht als Abstraktionsgebilde, für welche Statistikern oft kein anderes Wort als "Gruppe" einfällt (die "Gruppe" der Rentenempfänger, der Abiturienten mit Durchschnittsnote 2, usw.: Abstraktionsgruppen oder statistische Gruppen). Gruppen definieren sich selbst in ihrem Entstehungs- und Lebensprozeß von den einzelnen Teilnehmern und ihrer Zahl her. Deshalb wurde Gruppenbildung oben als Beispiel für quantitative Einbeziehung neuer Teilnehmer in ein System, das dadurch ein neues hervorbringt, herangezogen. Sie sind nicht nur quantitativ definiert in dem Sinn, daß die Einbeziehung von Teilnehmern durch quantitative Iteration geschieht (bis zu jenem qualitativen Umschlag, der die bestehenden Systeme zu Subsystemen des umfassenderen macht), sondern darüber hinaus in dem Sinn, daß die einzelnen Teilnehmer in ihr zählen und somit - äußerlich faßbar – die Zahl der Beteiligten. Der qantitative Gesichtspunkt kann also sowohl für den Wissenschaftler wie für die Beteiligten als Kriterium für etwas Personal-Qualitatives gelten, das als solches nicht festzulegen ist. Eine Gruppe kann durchaus Arbeitsgruppe sein; das Sachziel definiert dann aber nur das proprium der Gruppe, nicht deren essentia (ihr Reflexionswesen), für das die Einzelnen wesentlich sind, so daß sich mit dem (definitiven) Ausscheiden oder Einbeziehen Einzelner das System qualitativ ändert. Gruppendynamiker werden diese theoretisch fundierte Feststellung empirisch bestätigen können. Wo dieses Kriterium nicht gilt, sollte man nicht von Gruppen, sondern von Institutionen bzw. von deren quantitativ-intensiver Ausprägung, von Organisationen, sprechen. – Im übrigen wird hier keine weitere Theorie und Typologie von Gruppen beabsichtigt, wozu intersubjektivitätstheoretisch fundierte Kategorien und deren Kombinatorik erforderlich sind.
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    Allerdings war bisher von Primärgruppen die Rede, um das spezifisch quantitative und zugleich personalistisch-qualitative Unterscheidungskriterium zu verdeutlichen. Zu diesen gehört auch die Familie, soweit sie nicht eher als Institution anzusprechen ist. (Sie dürfte in unserer heutigen Gesellschaft eine Mischung von Gruppe und Institution darstellen.) Für eine Primärgruppe kann, neben dem erläuterten Gruppencharakter überhaupt, der persönliche Kontakt aller Beteiligten miteinander als definitorisch gelten. Für Sekundärgruppen fällt dieses Kriterium des unmittelbaren und allseitigen Kontaktes fort. Eine größere Dorfgemeinschaft stellt bereits eine Sekundärgruppe in diesem Sinne dar, erst recht ein Kanton, ein Volksstamm, ein Volk – erst recht eine moderne Stadt, die als Territorialgruppe mit vielerlei institutionellen Subsystemen anzusprechen sein dürfte. Selbstverständlich stellt der gemeinsame Wohnraum nur das einfachste und anschaulichste, ursprünglich auch das naheliegendste Prinzip der Gruppenbildung sowie der umfangsmäßigen Hierarchie dar.
    (2) Der andere Typ von Subsystemen sind Organisationssysteme oder Institutionen.137 Im Unterschied zu den Gruppen definieren diese Systeme sich selbst vom Sinnmedium, d. h. von einem gemeinsamen Inhalt, einer "Sache", von Normen des Zusammenlebens oder Zusammenarbeitens her. Entwicklungsgeschichtlich gilt, daß diese institutionellen Systeme gegenüber den Gruppen sekundär sind, wenn sie diese auch heute, von Zweierbeziehungen und Familien abgesehen, an Bedeutung weit zu überragen scheinen. Sie gehen nicht aus Iteration von Elementarsystemen primär durch quantitative Einbeziehung und Konstitution einer neuen quantitativ-qualitativen Einheit hervor, sondern durch iterative Reflexion elementarer Systeme oder Gruppen auf einen vorgegebenen Zweck (Sachinstitutionen) bzw. ein vorgesetztes gewachsenes, kulturelles Normengefüge des Zusammenlebens (Personeninstitutionen). Konstitutiv sind somit Sachzwecke bzw. kulturelle Sinnzusammenhänge. Durch diese wird naturgemäß auch ihr hierarchisches wie koexistentes Verhältnis zueinander bestimmt. Ihre umfangmäßige Abgrenzung (durch Zugehörigkeit) kann diffus sein, anders als bei den Gruppen, bei denen vielmehr die inhaltliche Abgrenzung diffus bleibt. Das "zugehörige" Personal kann wechseln (z. B. ein Theater, eine Schule), ohne daß ein anderes System entsteht. 
     
     
     
     
     
     
     
     
    Die unterschiedlichen Reflexionsverhältnisse dieser beiden Grundtypen von Subsystemen zu ihren Elementarsystemen einerseits, zum Gesamtsystem andererseits bedürften genauerer Analysen, und zwar jeweils im Blick auf das genetische Abhängigkeitsverhältnis wie auf das Koexistenzverhältnis. Beiden Typen und ihren selbstverständlichen Mischformen ist gemeinsam, daß für ihren hierarchisch-genetischen Zusammenhang die iterative Reflexion die maßgebende Rolle spielt und – offenbar ein anderer Aspekt desselben Sachverhalts – daß ihre Koexistenz quantitativ-umfangslogischen Charakter hat ( wovon auch umfangsmäßige Überschneidungen gleichgeordneter Gruppen und Institutionen – daß dieselben Personen zu verschiedenen Systemen gehören – nur Sonderfälle sind). Ebendies wird für die in § 12 zu besprechenden strukturellen Subsysteme nicht gelten. Da der Ausdruck "quantitative Subsysteme" sich eher für Gruppen und insbesondere Territorialgruppen nahelegt, wäre für Gruppen und kooperative Institutionen (im Unterschied zu bloß strukturellen, vgl. Anm. 12) die Bezeichnung korporative Subsysteme tauglich.
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    § 11: Geschichte als Reflexions-Schichtung
     
    Systemtheoretisches Verständnis von Geschichte als sozialem Reflexionsprozeß und zeitlichem Identitätsproblem zeigt ein einheitliches Prinzip von Sozialität und Geschichte auf und läßt den epochalen Gegensatz von systematischem und geschichtlichem Denken (der die Spätphase "bürgerlichen" Bewußtseins charakterisiert) als reflexionsgeschichtlich bedingt hinter sich.
    Im Vorhergehenden wurde über die Entstehungsgeschichte oder Vorgeschichte sozialer Systeme durch iterative Reflexion gehandelt. Jetzt gilt es, diese auch als das Grundprinzip der Entwicklungsgeschichte sozialer Systeme, somit der Geschichte im eigentlichen Sinn, aufzuzeigen. Der Paragraph verfolgt die Absicht, (1) vom Reflexionsgedanken her einen Begriff von Geschichtszeit zu gewinnen, (2) den Zusammenhang zwischen Gesellschaftstheorie und Geschichtsphilosophie herauszustellen, (3) an dem zentralen Identitätsproblem nach möglicher Fruchtbarkeit von Reflexions-Systemtheorie für Geschichtsbetrachtung zu fragen und (4) den prinzipiell aufgefaßten Gegensatz zwischen systematischem und geschichtlichem Denken als geschichtlich geistlos geworden zu verabschieden. Es versteht sich von allein, daß vieles in diesem Rahmen bloße Perspektive bleiben muß und nicht detailliert ausgeführt werden kann.
    1. Die transzendentale Genese der subjektiven Zeit wurde in § 3 als iterative Reflexion des Selbstbewußtseins aufgewiesen. Wir mußten damals noch davon absehen, daß die konstitutive Selbstreflexion intersubjektiv ist. Inzwischen haben wir die Möglichkeiten und den Anlaß, die subjektive mit der spezifisch intersubjektiven Zeit zusammenzusehen. Als eine Synthese beider wird sich die Geschichtszeit erweisen.
    Schon das bloß gegenwärtige Gegenübersein von Subjekten mit ihren Erwartungen konstituiert eine Zeit, die von der physikalischen Zeit der Objekte grundverschieden ist. Das Wort "Gegenwart" weist bereits sprachlich auf dieses Zeitverhältnis hin: "Gegenwart, nicht die punkthafte, die nur den jeweilig im Gedanken gesetzten Schluß der abgelaufenen Zeit, den Schein 
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    des festgehaltenen Ablaufs bezeichnet, sondern die wirkliche und erfüllte, gibt es nur insofern, als es Gegenwärtigkeit, Begegnung, Beziehung gibt. Nur dadurch, daß das Du gegenwärtig wird, entsteht Gegenwart... Gegenwart ist nicht das Flüchtige und Vorübergleitende, sondern das Gegenwartende und Gegenwährende."139 Die Zeit, die M. Buber hier anzielt, ergibt sich für uns aus der interpersonalen Differenz-Identität: aus dem Reflexionskreis des gegenseitigen Erwartens. Leider kontrastiert Buber diese interpersonale Gegenwart zu kurzschlüssig mit Vergangenheit als dem Gegenstandsverhältnis – als gäbe es nicht das Moment der Vergangenheit im interpersonalen Verhältnis selbst, und zwar in dem positiven Sinn bereits feststehender, unverrückbarer Verhaltensnormen. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft müssen als interpersonale Modalitäten, als die drei Modi der Verbindlichkeit von Verhaltenserwartungen (Normverbindlichkeit) verstanden werden: als Notwendigkeit, Wirklichkeit und Möglichkeit. So sind die Zeitdimension als die Modalkategorien140 der metakommunikativen Abschlußreflexion gefaßt. Die interpersonale Zeit in diesem Sinn gehört ursprünglich der strukturell-konstitutiven Reflexion an, verweist jedoch bereits auf deren Iteration, weil sie Erwartung der unausgeschöpften, uneinholbaren Freiheit des Anderen bzw. der Anderen ist.
    Erst durch Iteration wird interpersonale Zeit zur Geschichtszeit. Diese kann man einerseits, mit der Systemreferenz Subjekt, als die "Geschichte" des Einzelnen verstehen (wie in § 3). Sofern jedoch die Gemeinsamkeit Systemreferenz ist bzw. das interpersonale oder soziale System sich als solches iteriert, entsteht das, was man eigentlich mit "Geschichte" meint: die Geschichte einer Freundschaft, einer Familie, einer Stadt, eines Volkes, eines Staates oder Kulturkreises, etwa Europas. Beim letzten dieser Beispiele wird der Systemcharakters schon problematisch. "Die Geschichte" ohne einen identifizierbaren Träger (um nicht Subjekt zu sagen), dem irgendeine, wenn auch problematische System-Identität zukommt, stellt ein wissenschaftliches Abstraktionsprodukt dar, und zwar das eines im Grunde geschichtsfremden Denkens, wie noch deutlicher werden wird. Kein Wunder, daß mit der strukturlosen Anhäufung sogenannter historischer Fakten das eigentliche Geschichtsbewußtsein als daß einer sozialen Identität in zeitlicher Nichtidentität (und nicht eines Kuriositätenzoos) abnimmt. Doch greifen wir hiermit schon auf die Identitätsproblematik vor, die uns unter (3) beschäftigen wird. Vorerst geht es um den Begriff der Geschichtszeit als einer Iteration identischer sozialer Einheiten, d h. einer zeitlichen Identität der (jeweiligen) Identität und (jeweiligen) Nichtidentität. Geschichtszeit ist schwieriger zu verstehen, als es dem "gesunden Menschenverstande" zunächst scheinen mag. Der Begriff muß seiner täuschenden Selbstverständlichkeit entkleidet werden. Denn es geht ja nicht nur darum, daß innerhalb einer sozialen Einheit Einzelne reflektierend weiterleben und handeln, sondern daß eine Iteration des Systems als solche stattfindet. Nicht nur die Einzelnen sollen ihre Geschichte haben, sondern das Gemeinwesen seine gemeinsame Geschichte. Für die Entstehung neuer Systeme (§ 10) brauchte dieser Unterschied nicht hervorgehoben werden, weil es einzig auf das resultierende Neue ankam. Immerhin, sofern das hier liegende Problem erfaßt wird, ist der angezielte Begriff von Geschichtszeit zunächst verstanden.
    Die "Schwierigkeiten mit der Geschichtsphilosophie"141 resultieren zum guten Teil daraus, daß diese weithin unter dem Reflexionsniveau der Geschichte selbst und – nach Hegel – auch unter dem erreichten Niveau der Geschichtsphilosophie bleibt. Denn Hegel sieht bereits den wesentlichen Zusammenhang der Geschichte als Reflexionsschichtung,142 nicht nur als die Abstraktion einer physikalischen Zeitlinie, auf der sich Ereignisse zutragen. Die Ereignisse müssen sinnhaft aufeinander bezogen werden. Von "Sinngebung" der Geschichte ist damit noch nicht die Rede, sondern lediglich von Deutungszusammenhängen zwischen Ereignissen und Handlungen, und zwar so, daß nicht nur Einzelne ihr Handeln zu irgendwelchen fremden Ereignissen und Handlungen in Beziehung setzen, sondern daß ein Gemeinwesen auf seine Ereignisse und Handlungen als die seinen sich zurückbezieht. Im Hinblick auf diese Reflexion des Gemeinwesens als solchen bemerkt Hegel mit Recht, daß die eigentliche Geschichte eines Volkes erst mit seinem Geschichtsbewußtsein, vor allem der Geschichtsschreibung, beginnt.143 An dieser zeigt sich, was die gemeinschaftliche Reflexion eines Sozialsystems auf sein vergangenes Leben bedeutet, die unseren Begriff von Geschichtszeit ausmacht. Allerdings erschöpft sich die geschichtskonstituierende Reflexion bei weitem nicht in der Geschichtsschreibung.
    Jedoch überzieht Hegel seine tiefsinnige und gültige Sicht von Geschichte als Reflexionsschichtung, indem er eine zu direkte Parallelisierung von Logik und Geschichte vornimmt und die Geschichte ihm – trotz aller Differenzierung mehrerer analytischer Ebenen und der Beschränkung auf den sozial-geschichtlichen Zusammenhang des Abendlandes – zur Entfaltung der dialektischen Logik in zeitlicher Gestalt wird.144 Dies liegt in seiner oben (§ 7) 
     
     
     
     
     
     
     
    diskutierten Auffassung von Andersheit, der damit verbundenen theologischen Subjektivierung des konkret-allgemeinen Geistes (der sozial-geschichtlichen Einheit) begründet. Für Hegel wird die frei-wiederholende Reflexion (Iteration) des sozialen Systems als Geschichte zu umstandslos Nachvollzug, geschichtliche Explikation der logischen Momente (Kategorien) dessen, was wir konstitutive Reflexion nennen, weil diese bei ihm zugleich das einzelne wie ein allgemeines Subjekt konstituiert.
    2. Tatsächlich läßt sich, mit K. Marx zu reden, in bezug auf Hegels reflexionslogische Geschichtsdeutung, ein "rationaler Kern" von einer "mystischen Hülle" unterscheiden,145 was Marx selbst nur in fragmentarischer und problematischer Weise in Bezug auf den Kapitalprozeß allein unternimmt.146 Die konkrete Analyse geschichtlicher Reflexionsprozesse stellt eine Aufgabe dar, die den Rahmen des hier Möglichen sprengt. Es sollen zur Verdeutlichung des Reflexionsprozesses zwei Perspektiven aufgezeigt werden: einmal das Verhältnis von logischen und faktischen Momenten, wovon im Zusammenhang der Systemgenese bereits die Rede war (a), zum anderen ein gesetzmäßiger Zug einer nicht abgebrochenen geschichtlichen Reflexionsbewegung, der sich aus den Reflexionsstufen ergibt (b).
    (a) Schon allein das Wort "Reflexionsbewegung" wird den Einwand einer Logisierung der Geschichte hervorrufen, wie das Klingelzeichen die Speichelfunktion von Pawlows berühmtem Hund. Mit diesem, selbst geistesgeschichtlich bedingten, Intellektuellenreflex muß man heute vor allem rechnen. Er darf aber die Reflexion nicht ersetzen, sosehr das Tendenz von Reflexen ist. Man wird auf die materiellen Bedingungen, auf Macht, Zufall, Willkür usw. hinweisen und für die leidende Menschheit gegen die herrschende Logik als Logik der Herrschenden Partei ergreifen – ganz so, als seien uns diese Faktoren unbekannt. Bringt man die Worte "Logik, Reflexion, Kategorien" usw. in einen positiven Zusammenhang mit Geschichte, dann macht man – so artikuliert sich der Reflex – die Geschichte zum Ablauf von Kategorien. Wenn es Logik gebe, dann sei diese von der Geschichte und ihren "materiellen Prozessen" erst zu erstellen, nicht nachzuvollziehen.
    Die Entgegensetzung zwischen "Nachvollziehen" und "Erstellen" ist unseren Überlegungen fremd. Wenn Partei ergriffen werden müßte, würden wir für "Erstellen" plädieren – ohne uns die Möglichkeit nehmen zu lassen, schon einmal über zu erstellende Strukturen und invariante Momente darin nachzudenken. Das hat Marx sich noch erlaubt, viele Marxisten (wenn sie nicht 
     
     
     
     
    zugleich "Strukturalisten" sind) wollen es verbieten. Zugegeben, daß der Gedanke einer in der Geschichte erst zu erfindenden Logik etwas Bestechendes hat. Aber vielleicht ist damit eine Prozeßlogik gemeint, um die es uns auch geht und für deren Artikulation und Verteidigung es schon anderer Logik bedarf? Zugegeben auch, daß die Geschichte erst zum Leben, dann zum Erzählen147 und dann zum Analysieren "da ist", und daß Analyse sowenig das Erzählen wie das Leben ersetzt. Aber ist es nicht gerade das Zusammenspiel von Logischem und Faktisch-Unbegreiflichem (sowie das auf Strukturen nicht zu reduzierende Werthafte: vgl. § 14), was den Reiz – oder die Qual – der gelebten und erzählten Geschichte ausmacht?
    Nicht trotz, sondern wegen des Zusammenspiels von Logischem und Faktischem, dem wir schon mit der Pluralität der Sinnelemente sowie vor allem durch den Gedanken der reflexiven Integration des Nicht-Reflexiven (§ 6) Rechnung getragen haben, behaupten wir: Galt für die Genese von Systemen, daß die Logik der iterativen Reflexion einen Platz unter den historisch-faktischen Momenten hat, so ist umgekehrt die Geschichte bestehender Systeme wesentlich Reflexionsschichtung, in welche umgekehrt die faktisch-unableitbaren Momente eingehen. Die Aufrechterhaltung einer Systemidentität stellt gerade das Problem sozialer Systeme in ihrem geschichtlichem Wandel dar. Wir gebrauchen nicht den kybernetischen Terminus "Gleichgewicht", weil wir damit bisher keinen präzisen Sinn verbinden können, sondern sprechen lediglich von einer Systemidentität im Hinblick auf den metakommunikativen Abschluß in Inhalten von Normen, Zielen, theoretischen Legitimationsgehalten.
    Wir berühren hiermit die zur Zeit viel diskutierte Frage des sozialen Wandels.148 Welche Faktoren sind für ihn verantwortlich, "äußere" oder "innere"? Nach unserer Sicht, die empirische Studien nicht zu ersetzen beabsichtigt, sind alle Handlungsebenen und die allen Sinnelementen zuzuordnenden Gegebenheiten Quellen des Wandels: 1. Materielle Bedingungen: neue Quellen, Erfindungen usw.; 2. der "Faktor" Subjekt, das personale System, mit seinem innersubjektiven Reflexionsleben – eine unversiegbare Quelle neuen "Inputs" ins soziale System; 3. der intersubjektive Bezug, in dem sich die subjektive Instabilität nochmals potenziert: das Leben der Elementarsysteme und Subsysteme; 4. Schließlich ist der Wandel des kulturellen und normativen wie religiösen Sinnmediums nicht allein Funktion der übrigen Elemente, sondern auch aktiver Wandlungsfaktor: kulturelle Einflüsse von außen, neue theoretische Entdeckungen, künstlerische und religiöse Ausdrucksmöglichkeiten, die nicht Sache der schöpferischen Individuen bleiben können, sondern selbst ohne Vermittlung durch Interaktion, als bloße Gehalte, ansteckend wirken.
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    Allerdings muß die gesellschaftliche Sinnwelt normalerweise, außer in Zeiten der Kulturbegegnung, als der stabilste dieser veränderlichen Faktoren betrachtet werden. Wo der Wandel in ihrer normierenden und integrierenden Einheit von den anderen, unruhigeren Faktoren her, diese Sinnwelt erreicht, muß von einem qualitativen Wandel gesprochen werden., "ist eine Gestalt des Lebens alt geworden"149 ; eine epochale Reflexions-, d. h. Umkehrbewegung findet statt. Warum Umkehr und Reflexion? In § 10 war von der qualitativen Iteration im Hinblick auf die Entstehung neuer Systeme, besonders im Hinblick auf Einbeziehung neuer Teilnehmer (Gruppen) bzw. Setzung neuer Zwecke (Institutionen), die Rede, bei der die alten Systeme als Subsysteme fortbestehen konnten. Hier wird nun die qualitative Änderung als solche eines umfangmäßig identischen Systems, z. B. eines Staates, in Betracht gezogen. Reflexion findet dabei statt, insofern ein identisches seine neue Identität mit seiner alten in Beziehung setzt und zugleich von dieser absetzt: eine zeitliche Identität der Identität und Nichtidentität. Die qualitativ-wesentliche Änderung ist Änderung (Nichtidentität) der Selbstbezüglichkeit des Systems. Andere Änderungen, die nicht die Identität des metakommunikativen Abschlusses aufheben, sich also als Wandlungen auf den Systemebenen zutragen, können im Hinblick auf die Iteration mit wechselnden Inhalten als quantitativ-akzidentelle Änderungen bezeichnet werden. Auch sie sind, als zeitliche Identität der (unveränderten) Identität und Nichtidentität (im Blick auf die Veränderung), Reflexionsbewegungen des sozialen Systems, aber keine veränderte Selbstreflexion.
    Wir werden das Identitätsproblem gleich weiterführen. Zunächst sollte gegenüber dem leicht erhobenen Logisierungsverdacht deutlich werden, daß "geistige" Veränderungen in der Abschlußreflexion eines Sozialsystems zwar auch unmittelbar aktive Faktoren des Wandels sind, mehr jedoch das Resultat der anderen (materiellen, subjektiven, intersubjektiven) Faktoren, die durch vielfache quantitativ-akzidentelle Iteration der Systemreflexion schließlich zu einer qualitativ-wesentlichen Umwälzung des Normengefüges, also einer neuen Selbstreflexion des Systems führen. Diese steht – bei vorausgesetzter Kontinuität – in einem Reflexionsverhältnis zur früheren Systemidentität. Hierin liegt eher ein "materialistischer" Zug unserer Sicht als eine Logisierung.
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    (b) Die genannten Faktoren des Wandels sind insofern exogen zu nennen, als die Sinnelemente, schematisch auf die vier Sinnelemente reduziert, alle umweltoffen sind: selbst die Subjekte sind für das soziale System, qua Quellen unvorhersehbarer, nicht "im Programm" enthaltener Spontanität, aber nur in diesem Sinn Umwelt. Exogener Faktor ist auch die materielle Umwelt, sowie die Subsystem, sofern sie nicht einseitig Funktion des Gesamtsystems sind, ferner geistige Einflüsse von außen (kultureller Einfluß) – und nicht zuletzt die externen Systeme (in Bezug auf den Staat fremde Staaten), die auf allen Handlungsebenen, angefangen von derjenigen der physischen Gewalt, Überlebens-, Anpassungs-, Integrationsproblem an das gegebene System stellen.
    Es soll jedoch in Kürze auf eine endogene Gesetzlichkeit des Systemwandels hingewiesen werden, die mit der Doppelheit von Sozialsystemen und ihm angehörigen Subjekten, mit dem Systemcharakter als solchen, von allem Umwelt-Eingaben abgesehen, gegeben ist. Es kann sich um nichts anderes als um eine Reflexionsgesetzlichkeit handeln. Sie für sich herauszustellen, bedeutet in der Tat eine Logisierung, weil eine Abstraktion. Ihre empirische Verifizierung setzt Stabilität und Langlebigkeit von Systemen voraus.
    Unser Gesichtspunkt ist das Verhältnis von integrierenden Normen und theoretischen Legitimationsgehalten zu Reflexion der Subjekte, insofern diese selbst sozial tonangebende, epochale Reflexionsstufen durchläuft. Man wird, parallel zu den in § 6 erarbeiteten Reflexionsstufen, aber der Fragestellung entsprechend sinngemäß abgewandelt, unterscheiden können:
    1. eine ursprüngliche Einheit von je-subjektivem sowie sozialem Lebensvollzug und normierenden Gehalten, ein Gleichgewicht von Setzen und Voraussetzen
  • eine objektivierende Reflexion dieser Einheit, durch welche die normativen Gehalte reflexiv-ausdrücklich und somit zu etwas Objektivem werden (objektivistische Phase)
  • die ausdrückliche Selbstreflexion der solche Objektivität hervorbringenden und deutenden Subjektivität (subjektivistische Phase; Krise)
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  • die Selbsterfassung der Reflexion als einer höheren "Objektivität": die ausdrückliche reflexive Einholung der ursprünglichen Einheit (die, falls sie gelingt, zu neuer Systemstabilisierung führt).
  • Verdeutlichen wir das an einem langlebigen System wie der zweitausendjährigen Glaubensgemeinschaft der katholischen bzw. abendländischen Kirche:
    1. urchristliche Zeit der Entstehung der neutestamentlichen Schriften: in ihnen sind die normativen theologischen Gehalte noch unmittelbare Äußerung des Lebensvollzugs, einer Theorie-Praxis-Einheit von Glauben
  • Epoche der fortschreitenden Objektivierung des ursprünglich Praxisimmanenten in der Patristik und Scholastik (Ausbau von Dogmatik, Moraltheologie, Kanonistik)
  • Fortschreitende neuzeitliche Subjektreflexion: Emanzipation ("Freiheit eines Christenmenschen"), privates Bibelverständnis, hermeneutische Problematik, historisch-kritische Methode, innersubjektiv bleibende Transzendentaltheologie, Schwanken zwischen vorstellmäßiger Objektivität und Subjektivismus usw. (Krise)
  • Thematisierung der Theorie-Praxis-Problematik, des Verhältnisses von Theologie und Gesellschaft, Ansätze zu einer handlungstheoretischen Selbstentfaltung des Glaubens als metakommunikativer Reflexion (Hoffnung auf Stabilisierung).
  • Für die Philosophiegeschichte liegen die Verhältnisse parallel, doch weniger klar, weil die Identität eines sozialen Trägers problematisch ist. – Ein philosophiegeschichtliches Vorbild für solche reflexionstheoretische Systematisierung liefert Hegels "Phänomenologie des Geistes",150 nur daß Hegel zu Unrecht die von uns sogenannte endogene Reflexionsgesetzlichkeit von Systemen als Prinzip von Geschichte überschätzt und mystifiziert. Normalerweise wird solche langfristige Reflexionsgesetzlichkeit durch exogene Faktoren überdeckt – und vor allem durch Diskontinuitäten (Aufhebung von Systemidentitäten) abgebrochen. Kann man der abendländischen Geschichte (nicht nur "Geistesgeschichte") überhaupt einen identischen Träger zusprechen – wie Hegel es tut? Damit kehren wir zum Identitätsproblem zurück.
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    3. Geschichtsphilosophie bedeutet eine in die zeitliche Dimension entfaltete Sozialphilosophie. Ähnlich wird man das Verhältnis zwischen den empirischen Wissenschaften von der Geschichte und der Gesellschaft sehen müssen. Es wurde schon darauf hingewiesen, daß "Geschichte", abgelöst von sozialen Identitäten, die sich in einer Geschichtszeit entfalten, zu einem wissenschaftlichen Abstraktionsprodukt wird. Auf diese Weise kommt die wissenschaftliche Forschung dem geschichtlich-sozialen Reflexionsprozeß selbst nicht zu Hilfe. Das Anhäufen von Fakten auf der physikalischen Zeitachse erzeugt kein Geschichtsbewußtsein. Dieser Mangel kann dann auch durch "Geistesgeschichte" nicht voll kompensiert werden, wie diese bloß kulturellen Sinnverbindungen nachgeht und, im Absehen von der sozialen Trägerschaft, über Diskontinuitäten der wirklichen Geschichte hinwegspringt. Auch die heideggernde Rede von "Seinsgeschichte" enthüllt sich als ein das Geschichtsbewußtsein untergrabender Pseudo-Tiefsinn, wenn darunter nicht die Sinngeschichte sozialer und kultureller Identitäten verstanden werden kann.
    Reflexivität ist das gemeinsame Ursprungs- wie zugleich Differenzierungsprinzip von Sozialität und Geschichtlichkeit: die strukturelle Reflexionsidentität von Sozialsystemen legt sich in die geschichtszeitliche Identität der Identität und Nichtidentität aus. Das heiß hier: Kontinuität desselben als eines veränderten. Wir haben oben bereits quantitativ-akzidentelle von qualitativ-wesentlicher Änderung (Nichtidentität) gesprochen. Dabei war Kontinuität, d. h. zeitliche Identität vorausgesetzt.
    Ob diese Voraussetzung in bestimmten Geschichtsverläufen gegeben ist, stellt aber eine geschichtsphilosophisch wie geschichtswissenschaftlich (und selbstverständlich juristisch) hochbedeutsame Frage dar. Sie soll hier lediglich als Perspektive formuliert werden. Die Frage lautet: Liegt jeweils geschichtlich-soziale Kontinuität oder Diskontinuität vor – und auf welcher Ebene?
    Zum Verständnis dieser Frage muß auch Diskontinuität erläutert und unterschieden werden. Sie ist als (zeitliche) Nichtidentität von (sozialer) Identität und Nichtidentität zu bestimmen, und dies kann zwei Bedeutungen haben, nämlich je nachdem die zweite "Nichtidentität" ein Nichtmehrbestehen oder (wie bisher immer) ein anderes Bestehen meint. Nichtmehrbestehen wäre Auflösung in die Subsysteme oder Aufhebung in ein Material, d. h. von den Personen her anderes System (ohne daß die alte Identität als Subsystem bestehen bleibt): materiale Diskontinuität. – 
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    Wenn die in der Formel zweitgenannte Nichtidentität wie bisher in den Fällen der Kontinuität eine andere Identität meint, dann besagt die erste Nichtidentität, daß die neue Systemidentität keinen positiven Reflexionsbezug auf die frühere unterhält, d. h. daß keine zeitlich-reflexive Identifizierung vorliegt. Dies ist bei einer Revolution der normativen Identität, des Integrationssystems der Fall. Nicht jede politische Revolution bringt eine derartige sozio-kulturelle Revolution hervor, die in einer formalen Diskontinuität resultiert. Solche Diskontinuität ist mit einer materialen Identität der Personen und Subsystemen verbunden. Wenn diese in ihrem ganzen Umfang in das neue System eingehen, liegt materiale Kontinuität bei formaler Diskontinuität vor, etwa bei der Machtergreifung Hitlers oder der russischen Oktoberrevolution. – Umgekehrt kann materiale Diskontinuität mit formaler Kontinuität einhergehen, z. B. in einem Reststaat. Die Bundesrepublik Deutschland steht allerdings nur in einem völkerrechtlichen, nicht jedoch in diesem sozialphilosophischen Sinn in formaler Kontinuität zum Dritten Reich, das seinerseits in formaler Diskontinuität zur Weimarer Republik stand. Zweimalige Diskontinuität macht – jedenfalls in diesem Beispiel – keine Kontinuität aus ... Die Kontinuität zwischen Drittem Reich und Bundesrepublik besteht nicht einmal material – auf der Ebene des Gesamtsystems, wohl auf der Ebene von Personen und vielerlei Subsystemen. "Die Staaten wechseln, die Völker nicht", wäre eine noch zu einfache Formel für diesen Vorgang.
    Die Identitätsprobleme werden – wie ebenfalls das deutsche Beispiel zeigt – dadurch noch heikler, daß man geschichtlich gewachsene kulturelle Identitäten (Sprachgemeinschaft, Nation) von den staatlich-rechtlich (bzw. unrechtlich) integrierten Systemen unterscheiden muß. Doch kam es hier lediglich auf die Erläuterung einer Fragestellung an, die für Sozialtheorie wie Geschichtswissenschaft gemeinsam nicht unfruchtbar scheint. Zumal wenn es der letzteren darum geht, sozial verantwortbare Forschungsgesichtspunkte auszumachen, wird sie nicht auf die einfachen Fragen verzichten können: Welche Einheiten haben in welchem Sinne eine Geschichte? Von welcher Geschichte her werden Vor- und Nachgeschichten bedeutsam? Handelt es sich, wenn man etwa von "europäischer Geschichte" spricht, um die einheitslose Verschlingung vieler nationaler Geschichten, so daß man sie – mit hermeneutischer Berechtigung - nur aus der jeweiligen nationalen Optik darstellen könnte? Wo und auf welcher Ebene liegen die Brüche? Wie verlaufen die Kontinuitäten? Wie verhält sich die "eigentliche" sozio-kulturelle Geschichte zur politischen Machtgeschichte (die Geschichte der Völker zur Geschichte der Herrscher)? 
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    Genießt die Geistesgeschichte, die mit "heiterer Unabhängigkeit"151 ihre Bögen über die lebensgeschichtlichen Brüche spannt, nur die Narrenfreiheit der Ohnmacht? Die Fragen lassen sich vermehren und suchen weniger generelle als einmalige Antworten – weil die Logik es "Konkreten" aus vielem Allgemeinen "zusammengewachsen" ist.
    Wenn gesagt wird, daß Geschichtswissenschaft sinnvollerweise von sozialen Identitäten handelt, so liegt darin nicht die Spur einer Harmonisierung. Nur zwischen Identitäten können Brüche und Disharmonien bestehen. Mag Geschichte die "Krankengeschichte von Irren" sein, wie Gottfried Benn überzeugt war, 152 so setzt das identische und oder eben identitätsgestörte Irre voraus.
    4. Die Geistesgeschichte zumindest der letzten hundert Jahre wird von einem festgefahrenen, aber haltlosen Gegensatz zwischen systematischem und geschichtlichem Denken geprägt. Gemeint ist selbstverständlich nicht eine berechtigte Arbeitsteilung zwischen historischem und systematischem Vorgehen, sondern ein "relativistischer Historismus", der nur eine immanente Kritik des Gewordenen zuläßt".153 Dieser hat viel weitere Verbreitung, als er offen zu erkennen gibt. Dazu gestaltet sich seine theoretische Situation zu paradox. Und doch ist diese Paradoxie epochal tonangebend seit Nietzsche und Dilthey. Wir werden sie auf den Begriff zu bringen versuchen. Der "strukturalistische Angriff auf die Geschichte"154 bleibt seine bloße, ihm noch zugehörige Komplementärerscheinung, weil er unter den so grundsätzlich verschiedenen Struktur-Sorten nicht die einer reflexiven Interaktionslogik entdeckt, deren Entgegensetzung zu Subjektivität und Geschichte keinen Sinn ergibt.
    Es ist hier nicht der Ort, zu zeigen, daß eine gesellschaftlich-geschichtlicher Wahrheitsbegriff, also die Einsicht in die Pluralität der Wahrheitsbedingungen (die Sinnelemente), die Unbedingtheit und Unverfügbarkeit von Wahrheit nicht aufhebt, also nicht zu einem Relativismus führt.155 Auch hermeneutisches Bewußtsein wäre nicht dazu gehalten, Logik und Kategorienlehre zu relativieren – wenn sich Hermeneutik nur als ein selbst reflexionslogisches Problem durchschaut: Geht es doch in ihr um die Differenzierung einer reflexiven Identität zwischen eigenem und fremdem Sinnverstehen; Sinnverständnis aber ist Funktion von personalen und sozialen Systemen als ganzen. Das Verständnis von Sinnzusammenhängen kann daher nicht bei den fertigen, objektivierten Sinngehalten stehenbleiben, sondern muß auf die Sinnvollzüge, auf die Handlungszusammenhänge, zurückgreifen: 
     
     
     
     
     
     
     
    Hermeneutik wird zu einer philosophischen Wissenssoziologie (im Blick auf Sozialsysteme) bzw. zu einer philosophischen Verstehenspsychologie (im Blick auf personale Systeme) bzw. zu beidem zusammen. Auch wenn Sinn nicht auf psychophysische Dynamik bzw. auf wirtschaftliche Bedürfniswerte und Machtinteressen reduziert werden kann (und solche Reduktion schnell ihren Witz verliert, vgl. § 1), so behalten die "maitre de soupcon" darin Recht, daß hier Systemlogik herrscht, die nicht dem objektivierenden Bewußtsein angehört und daher leicht daran gehindert werden kann, in es einzutreten (Verdrängung).156 Hermeneutik hat bis heute ihr Problem nur unbestimmt artikuliert, kaum logisch geortet, noch weniger eine hermeneutische Logik entwickelt, die als reflexive Systemlogik unter Rücksicht der Produktion und Reproduktion (Nachverstehen) von Sinn denkbar ist.
    Den meisten Hermeneutikern gelingt es kaum, sich von einem Relativismus abzusetzen. Am ehesten trägt man dieser unhermeneutischen Anfrage Rechnung, indem man sich ins "Seinsgeschick" fügt. Die als Seinsgeschick aufgefaßte Geschichte scheint die Synthese zwischen dem Relativismus, der aus der Geschichte droht, und dem prophetischen: "Hier steh ich und kann nicht anders." Philosophisch kann man aber anders.
    Man kann und muß die relativierende Geschichte relativieren. Das Geschichtsverständnis selbst ist Funktion von Reflexionslogik, wie dies Geschichte und Gesellschaft sind, ohne daß damit die Freiheit irgendeines Faktors, weder die eigentliche Freiheit der selbstbezüglichen Subjekte, noch die Freiheit (in analog-verschiedenem Sinn) ihrer jeweiligen Andersheit aufgehoben würde. Wohl handelt es sich um epochale Figuren des Geschichtsverständnisses, deren Horizonte der Einzelne nur schwer überschreiten kann.
    Hat das zirkuläre Geschichtsverständnis der klassischen griechischen Zeit nicht mit dem stabilen, in sich abgerundeten Reflexionswesen der klassischen Polis zu tun, und dies in Wechselbestimmung mit der philosophischen Auffassung von zeitlos-ewigen Ideen über dem (nur quantitativ-akzidentellen) Wandel?
    Ist das lineare Zeitverständnis des Judentums nicht Funktion ihres suchenden Nomadendaseins zunächst, später der Diskontinuität ihrer Gemeinschaftsbildung trotz Kontinuität und Zentralisierung aufgrund eines Bewußtseins von Offenbarung und Verheißung? 
    Hat das christliche kairologische Zeitverständnis, wie es oft als Synthese der beiden erstgenannten gesehen wird,157 nicht mit der ursprünglichen Vielfalt christlicher Gemeinden ohne völkisch-staatliche Einheit einerseits, mit dem einheitsstiftenden Bezug auf eine einzige Person andererseits zu tun?
    Ist der Epochengedanke der Aufklärung sowie des neunzehnten Jahrhunderts unabhängig vom emanzipativen Freiheitsverständnis sowie von der beginnenden methodischen Selbsterfassung der Subjektreflexion?
    Und hat der Geschichtsrelativismus der letzten hundert Jahre nichts mit der Entdeckung der einen Menschheit mit der Vielfalt ihrer Kulturen, der Infragestellung eines monologischen Freiheitsverständnisses sowie eines technischen Herrschaftswissens und seiner Praxis, schließlich mit dem Verfall einer einheitlichen normativen Integration durch religiöse, sittliche und pseudoreligiös-nationalistische Werte zu tun? – Philosophisch besteht der Historismus in folgendem Paradox: Das neuzeitliche Reflexionsproblem wird als subjektivistisch und daher geschichtsfremd ungelöst fallengelassen. Als ungelöstes wuchert es aber weiter, und zwar in subjektivistischer Willkür: Der Protest gegen die Selbstherrlichkeit des autonomen, "idealistischen" Subjekts im Namen von Verwiesenheit auf die Geschichte, auf materielle und personale Andersheit, Neuheit, Unverrechenbarkeit, im Namen von Offenheit, Ausgeliefertsein, Geworfenheit und Zuspruch des Seins stellt selbst eine nie gekannte Aufgipfelung des Subjektivismus dar. Der Zorn gegen idealistische Subjektmetaphysik führt in allersubjektivster Weise das zur Vollendung, was schlecht-subjektivistisch an ihr war. Dieses unglückliche Bewußtsein der abendländischen Philosophie erwählt sich die Geschichte zu ihrem Unwandelbaren, um Logik für wandelbar zu erklären. Aber das Wandelbare von Logik ist Geschichtslogik des sozialen Wandels, eine Logik der Reflexion als sozialer. Die methodische Selbsterfassung dieser Reflexion erfaßt das "Unwandelbare" der Geschichte samt ihrem jeweiligen Selbstverständnis als wandelbare Funktion von Reflexion und kann darüber reflexiv sprechen, während das unglückliche Bewußtsein des Historismus nur unartikuliert dahinwandeln dürfte, wenn es konsequent wäre. Konsequenz, "die erste Erfordernis des Philosophierens",158 ist aber nochmals Funktion von Selbstreflexion. So fühlt sich der Historismus konsequenterweise an sie nicht gehalten. Vom Reflexionsstandpunkt her läßt sich der historische Relativismus als geschichtlich stehengebliebene Subjektreflexion durchschauen. Nun stellen "Reflexionsstandpunkte" kein Argument für ihn dar, und für Selbsterkenntnis als Figur von Subjektreflexion fehlt ihm die Konsequenz. So wird für den konsequent inkonsequenten Historismus letztlich nur das Gewahren des geschichtlichen Überholtseins zählen.
     
     
     
     
     
     
    Unser argumentativer Vorschlag geht inzwischen dahin, den historischen Relativismus durch eine reflexionslogische "Relativitätstheorie" zu relativieren: Auch Zeit und Geschichte sind als Reflexionsprodukte zu durchschauen, freilich nicht als Produkte einer innersubjektiv-monologischen Beherrschung von Andersheit und Vielfalt, sondern einer reflexiven Dialogik der Vielfalt selbst. Jene Entgegensetzung von systematisch-logischem und geschichtlichem Denken beruht darauf, daß Zeit und Geschichtszeit irrational neben oder gar vor Sinn angesetzt wurden. Sie beruht auf dem undurchschauten Zusammenhang zwischen Sinnreflexion, Andersheit, Sozialität und Geschichtszeit. Sie hat sich überlebt, sofern die Reflexion in ihrer geschichtlichen Iteration nicht stehengeblieben und bei diesen Zusammenhängen angelangt ist.
    Wenn das autonomistisch-monologische Subjektverständnis der Neuzeit, das auch von Fichte und Hegel nicht gebrochen wurde, das "bürgerliche" ist, und sozialphilosophisch spricht vieles für diese Gleichsetzung - , dann muß der Historismus als die letzte, epochale Aufgipfelung des bürgerlichen Bewußtseins betrachtet werden. Dieser Spätphase gehört dann allerdings auch die marxistische Variante an: die Erhebung der Geschichte zur Totalität, die von einem historisch gewachsenen Klassenbewußtsein durchschaut wird. "Die Geschichte ist die Substanz, das proletarische Klassenbewußtsein das Subjekt, und beide sind spekulativ identisch", wie Gerhart Schmidt durchaus respektvoll zur "Wiederaufnahme der Phänomenologie des Geistes in Georg Lukacs` Geschichtsphilosophie" ausführt. "Nebenbei glückt Lukacs noch die Bereinigung des Historismusproblems: alles einschließlich des Hegelschen Absoluten ist geschichtlich relativ, nur nicht die Geschichte selbst und das ihr adäquate revolutionäre Bewußtsein! – Doch... Lukacs stellt seine Grundüberzeugung nicht zur Diskussion: daß die Geschichte einen Sinn haben muß, daß der folgerichtige Aufbau von Gedanken geschichtlich Wirklichkeit, ja die Wirklichkeit der Geschichte sei. Diese Überzeugung hängt in der Luft, sie wäre nur beweisbar durch das Ereignis der Weltrevolution, durch welche die revolutionäre Philosophie, das proletarische Klassenbewußtsein sich vollenden müßte. Der Schlußstein fehlt!"159 Ein solcher Schlußstein ist aber durch Fakten nicht zu liefern, selbst wenn sie gegeben wären. 
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    Die "Überwindung" des Historismus durch Berufung auf bloße, erst recht ausstehende Fakten, durch Setzung statt durch reflexive Argumentation, stellt einen Dogmatismus dar, der selbst Spielart des Historismus ist. Wenn sich ein Bewußtsein, und sei es Klassenbewußtsein, als Träger der nächsten Zukunft theoretisch ausweisen läßt, dann nicht vom Boden einer historischen, sondern reflexionslogischen Geschichtstheorie.
    "So ist auch die Philosophie, ihre Zeit in Gedanken erfaßt."160 In historischer Zeit wird dieses Wort, in seinem geschichtlichen Sinn übrigens verfälscht, historisch verstanden. Die Zeit in Gedanken erfassen, heißt aber, die in ihr unbewußt-unausdrücklich investierte Vernunft und Freiheit bzw. Unvernunft und Unfreiheit menschlichen Handelns, die gelebte Reflexion also, durch methodische Reflexion ausdrücklich zu machen.
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    § 12: Strukturelle Subsysteme
     
    Die Reflexionsstufen sozialen Handelns begründen strukturelle Subsysteme. Diese gewinnen mit Größe und Arbeitsteiligkeit eines sozialen Systems relative Selbständigkeit (Differenzierung), bleiben jedoch Funktion des Systemganzen (faktische Integration).
    Wir kehren von der genetischen und diachroen Betrachtung sozialer Systeme zurück zur synchronen Analyse. Daß diese allerdings der Geschichtsschreibung erst die wesentlichen Gesichtspunkte an die Hand gibt, sollte im Vorstehenden deutlich werden. Den "sicheren Gang einer Wissenschaft" können Geschichtswissenschaft wie Geschichtsphilosophie erst durch Anknüpfung an sozialtheoretische Kategorien gewinnen. Gerade durch solche Überwindung eines gelehrten Dilettantismus tritt das Spezifische geschichtlichen Denkens hervor: über soziale Gesetzmäßigkeit hinaus das Faktisch-Unableitbare sowie die Freiheit der einzelnen Akteure, das Individuelle also, in seiner geschichtlichen Bedeutung herauszustellen. Die Bedeutung der jetzt zu erörternden strukturellen Subsysteme für geschichtliche Analysen wird hier indessen nur angedeutet werden können. Wir werden mehr als genug damit zu tun haben, einige der erstrangigen sozialphilosophischen Probleme sichtbar zu machen, die sich mit dem Begriff der strukturellen Subsysteme verbinden.
    In § 10 war die Rede von den korporativen Subsystemen, die in einem umfangsmäßigen Verhältnis zueinander, zu den Elementarsystemen sowie zu Gesamtsystemen stehen. Dagegen werden unter strukturellen Subsystemen reflexionslogische Ebenen verstanden, die sich an einem beliebigen System als Aspekte des Ganzen unterscheiden lassen. Unser Hauptproblem wird dabei nicht sosehr die Unterscheidung dieser analytischen Ebenen sein, sondern die Frage: Gehören diese Unterschiede unserer, dem Sozialsystem mehr oder weniger äußeren Reflexion an – oder handelt es sich um Unterschiede, die der soziale Reflexionsprozeß selbst so enthält, daß nicht nur wir sie herausstellen, sondern er sie selbst macht? Dies ist die Frage nach der realen Differenzierung und ihrem Wie, ihren geschichtlichen Modifikationen. Eben sie fordert zu geschichtlichen Untersuchungen heraus, während wir uns zunächst mit einer allgemeinen Beantwortung begnügen müssen. Unser Gedankengang geht von 
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    der zunächst bloß analytischen Differenzierung von Subsystemen durch unsere, dem Sozialsystem äußere Reflexion aus (1), um sich von da aus der Frage der realen Differenzierung zuzuwenden (2).
    1. Ein soziales System verdient nur insofern diesen Namen, als es alle Reflexions- oder Handlungsstufen, die in § 6 aufgezeigt wurden, in sich enthält. Dementsprechend wurde der Systembegriff in § 8 eingeführt: als metakommunikativer Abschluß eines Handlungssystems, in welchem die interdependenten Sinnelemente integriert sind. Der metakommunikativ-normative Abschluß, der das System konstituiert, setzt aber die anderen Reflexionsebenen als Systemebenen voraus. Von daher haben wir das Recht, sie zumindest in einem analytischen Sinn, d. h. ohne bereits ihre reale Differenzierung vorzuentscheiden, strukturelle Subsysteme zu nennen. Ihnen lassen sich leicht bestimmte Systemfunktionen und eine Reihe weiterer analytischer Aspekte, die später zum Teil ausführlicher erörtert werden, zuordnen. Vgl. den tabellarischen Überblick S. 162 f.
    Unsere Sicht verdankt wesentliche Anregungen der strukturell-funktionalen Systemtheorie von T. Parsons. Ein Vergleich mit den entsprechenden Aufstellungen bei ihm161 zeigt leicht die Übereinstimmungen und wesentlichen Unterschiede, die nicht bis in alle Einzelheiten erläutert zu werden brauchen. Der weiteren Erörterung dessen, was wir mit strukturellen Subsystemen meinen, kann es jedoch dienen, die wesentlichsten Vergleichs- und Unterscheidungspunkte herauszustellen:
    (a) Erwähnt wurde bereits, daß Parsons vier primäre Subsysteme eines (sonst anonym bleibenden) "allgemeinen Handlungssystems" unterscheidet: 1. soziales, 2. kulturelles System, 3. Persönlichkeit, 4. Verhaltensorganismus, denen er in entsprechender Reihenfolge die Hauptfunktionen 1. Integration, 2. Normerhaltung, 3. Zielverwirklichung und 4. Anpassung zuordnet. – Auch das kulturelle System hat bei ihm die Bedeutung eines Handlungssystems, und zwar mit der Funktion "Normerhaltung". Die Eigenschaft von Kultur als eines Handlungssystems wurde von uns bereits oben abgelehnt.162 Kultur ist für uns bestenfalls Sinnsystem, das im sozialen Handeln als Medium sowohl vorausgesetzt wie abwandelnd gesetzt wird. Ihr kann z. B. als Sprache oder Symbolwelt, eine logische Konsistenz von großer sozialer Bedeutung zukommen, aber das macht sie noch nicht zum Handlungssystem.
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    Aufgrund der gegenseitigen Durchdringung der vier primären Subsysteme kommt bei Parsons Kultur innerhalb des anderen Subsystems Gesellschaft als dessen (sekundäres) Subsystem wieder vor. Es steht an der Stelle unseres Subsystems Kommunikation, die bei Parsons keinen systembildenden Platz hat. Daß mit der Verselbständigung von Kultur sowie deren Aktivierung zu einem dem Sozialsystem als solchen entzogenen Handlungssystem ein Konservatismus droht (zumindest im Sinne einer "vernünftigen" Unterwerfung unter ein ihr entzogenes Handlungssystem), liegt auf der Hand. In unserer Sicht gibt es kein Subsystem Normenerhaltung, das gar in einem gesellschaftsentzogenen Handlungssystem sui generis gründet, wohl eine Bindung an nicht manipulierbare Logik und gesellschaftlich nicht verfügbaren Sinn. Was aber die Aufrechterhaltung kultureller Gehalte als gesellschaftliche Normen und Werte angeht, so sind dafür Einzelne und Gruppen positiv und negativ verantwortlich zu machen. Allerdings waltet auch hier eine den Einzelnen nicht bewußte Reflexionslogik der Kommunikation und Metakommunikation, die dem gesellschaftlichen Deutungs- und Normensystem eine von vielleicht nur wenigen gewollte Stabilität (oder, zu anderen Zeiten, auch Instabilität) gibt. Doch solche Reflexionsgesetzlichkeiten sind etwas anderes als ein Handlungssystem Normenerhaltung. Sie sind vielmehr – auch wenn sie hier nicht im einzelnen untersucht werden können – dessen notwendige Entmystifizierung.
    (b) Daß Parsons ferner dem primären Subsystem Persönlichkeit die Hauptfunktion Zielverwirklichung zuordnet, die innerhalb des Sozialsystems ihre Entsprechung im politischen Subsystem findet, zeigt seine spätindividualistische Auffassung von Person: als sei für diese das selbstinteressierte, strategische Handeln schlechthin kennzeichnend. Das "Hobbesian problem of order" bleibt ihm die sozialtheoretische Grundfrage.163
    (c) Das Gesagte weist noch tiefer auf die Art und Stringenz der Begründung von Subsystemen struktureller Art. Sie ergibt sich für Parsons aus der "Interpenetration" von vier unreduzierbaren Subsystemen eines "allgemeinen Handlungssystem". Bei uns dagegen sind Subsysteme Reflexionsstufen des sozialen Systems, sofern dieses durch gestuft reflexives Handeln konstituiert ist.
    (d)Demzufolge bestimmt das Reflexionsstufenprinzip die logische Beziehung der Subsystem zueinander. Sosehr hier analytische Aufgaben liegen, die eine detaillierte Entwicklung und Anwendung von Reflexionslogik erfordern, so ist doch grundsätzlich klar: 
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    Die Subsysteme stehen im Verhältnis einer Reflexionshierarchie zueinander, für die eine Gegenläufigkeit des Bedingens kennzeichnend ist. Auch Parsons führt in späteren Schriften aus, daß zischen seinen Subsystemen "sowohl Prozeß des Input-Output-Austausches stattfinden als auch gewisse Zonen gegenseitiger Durchdringung bestehen"; aber die "kybernetische Hierarchie der Kontrollen" bietet nur einen unvollkommenen Vergleich, was sich vor allem daran zeigt, daß der Dualismus "hohes Maß an Information (Kontrollen)" von oben und "hohes Maß an Energie (Bedingungen)" von unten nicht ausreicht.164 Parsons Einführung der Subsysteme hat für ihn mit dem Reflexionsproblem nichts zu tun, und so kann er auch nicht die reflexive Beziehung zwischen ihnen sehen.
    Bevor wir zu der Frage übergehen, ob die genannten Subsysteme mehr als analytische Gesichtspunkte sind, wie sich jeweils das Ganze von einer Handlungsebene her sehen läßt, soll dieser für sich schon schwierige Gedanke durch zwei Prinzipien vertieft werden.
    Integrationsprinzip:165
    Jede Handlungsart und jedes Subsystem gewinnt seine Bedeutung erst vom Ganzen des sozialen Systems her.
    Mit dem sozialen Handeln verhält es sich wie mit bewußten menschlichen Handlungen (actus humani, nicht bloß actus hominis) in Bezug zum Selbstbewußtsein: "Das: Ich denke muß alle meine Vorstellungen begleiten können."165 Sämtliche Handlungen, auch die technisch-praktischen, gehören der metakommunikativen Synthese des Selbstbewußtseins an, ob diese ausdrücklich-thematisch wird oder nicht. So auch in der Gesellschaft: alles soziale Handeln – und dies in weiterer Bedeutung als bei M. Weber verstanden, also unabhängig von der ausdrücklichen Ausrichtung auf das Verhalten anderer, somit Handeln überhaupt – hat seine soziale Bedeutung erst vom Ganzen des Systems her, ob diese ausdrücklich subjektiv gemeint ist oder nicht. Wird z. B. das wirtschaftliche Handeln für sich allein betrachtet, ohne Bezug auf das Ganze von Politik, Kultur, Recht, religiöser Sinndeutung, so ist es nicht als soziales Handeln und somit inadäquat erfaßt – selbst wenn diese Abstraktion – dem Ökonomen für viele, sicher nicht für alle ökonomischen Fragen reicht.
    Differenzierungsprinzip:
    Das Ganze eines Sozialsystems läßt sich immer nach den genannten Handlungsebenen gliedern, so daß es niemals von einer dieser Ebenen her monokausal verstanden oder gesteuert werden könnte.
     
     
     
     
     
    Hier mag die Bemerkung angebracht sein, daß es ebenso schlechter Idealismus ist, dem Menschen etwa das strategische, selbstinteressierte Handeln abgewöhnen zu wollen (auch wenn dieser Idealismus von "dialektischen Materialisten" gern als Realutopie vorgestellt wird), wie wenn man dem Menschen das Essen, Trinken usw. abgewöhnen wollte. Nicht Abschaffung ist ein realistisches wie wünschenswertes Ziel, sondern Integrierung, und diese duldet, als dialektisch-reflexionslogische, Differenzierung: Mit Integrierung andererseits ist gesagt, daß das (alt-)liberalistische, individualistische Interessen- und Konfliktdenken aus unserer Sicht sozialphilosophisch obsolet und allenfalls für eine sehr begrenzte Politiklehre tauglich erscheint.
    2. Wir kommen zur Frage der realen Differenzierung. Mit Absicht wurden die strukturellen Subsysteme bisher nur als analytische, unserer äußeren Reflexion angehörige Ebenen behandelt, damit auf diese Weise die Pointe, die Subsumtion des sozialen Ganzen unter eine jeweilige Reflexionsebene, leichter faßlich, oder besser: vorbereitet würde. Denn in Wahrheit liegt diese Pointe darin, daß es sich um eine reale Subsumtion, somit um eine Differenzierung der inneren, konstitutiven Reflexion sozialer Systeme selbst handelt bzw. handeln kann.
    1. Das "kann" betrifft die Frage der geschichtlichen Differenzierung sozialer Funktionen überhaupt, der Rollenverteilung und Arbeitsteilung, der Ausgliederung von Sinnprovinzen und Sachbereichen, die für manche Soziologen mit sozialem "Fortschritt" geradezu gleichbedeutend ist. Wir haben darüber hier nicht ausführlich zu handeln. Es genügt die doppelte Feststellung, daß soziale Differenzierung (wie sie z. B. heute in westlichen Staaten etwa als Differenzierung von Recht, Sittlichkeit und Religion noch im Gange ist) einerseits Bedingung für ausdrückliche Differenzierung der strukturellen Subsysteme darstellt, diese aber andererseits von den korporativen, besonders institutionellen Subsystemen überdeckt werden. Denn diese sind quantitativ ausgegrenzt, daher gewissermaßen anschaulich, die strukturellen dagegen nicht. 
  • Unsere erste Überlegung ging also dahin, daß strukturelle Differenzierung nur latent als reale vorliegen kann, solange keine sonstige soziale Differenzierung vorliegt, und daß sie auch dann latent bleibt, weil nicht unmittelbar erscheinend. Reflexionswesen (Systeme) können nur nach der quantitativ-materialen Seite unmittelbar erscheinen. Gerade deshalb ihre Angewiesenheit auf Symbolisierungen: Embleme, Fahnen, Abzeichen, Hymnen, gemeinsame Kleidung oder dergleichen. Die strukturellen Subsysteme werden aber kaum symbolisiert, weil sie nicht korporativ sind – es sei denn, Menschengruppen würden sich mit bestimmten Subsystemen eines Ganzen, besonders eines Staates, identifizieren.
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    Wir berühren hier die These von der Funktionalität der Sozialschichtung, die zuerst in der amerikanischen Soziologie der fünfziger Jahre diskutiert wurde und im wesentlichen besagt, "daß Sozialschichtung, im Sinne der institutionalisierten Ungleichheit der Rewards verschiedener sozialer Positionen, aufgrund ihrer für die Gesellschaft notwendigen selektiven Wirkung funktional und somit zugleich unvermeidbar und unerläßlich ist. Die selektive Wirkung soll darauf beruhen, daß die nur begrenzt vorhandenen Talente für die schwierigen Aufgaben bestimmter Positionen eben durch deren höhere materielle, ideelle und symbolische Belohnungen angereizt werden, sich dem Opfer einer längeren Ausbildung sowie den Mühen der betreffenden Aufgaben selbst zu unterziehen".166 Es geht uns nicht um eine Diskussion dieser Frage selbst, sondern um eine Abgrenzung: Die strukturellen Subsysteme in unserem Sinn (ebenso wie schon im Sinn von Parsons) sind nicht geeignet, soziale Schichten oder Klassen im üblichen Sinn als funktional notwendig zu legitimieren. Das zeigt sich bereits daran, daß ein Generaldirektor oder ein Spitzeningenieur ebenso dem Subsystem Wirtschaft und Technik "angehören" wie ein einfacher Arbeiter, ein Schüler ebenso dem Bildung- und Kultursystem wie ein Universitätsprofessor, ein einfacher Wähler oder Nicht-Wähler und Zeitungsabbonnent ebenso dem politischen System wie Berufspolitiker.
    Allerdings wirft die Frage der "Zugehörigkeit" zu einem Subsystem ein schwerwiegendes Problem auf: ideal wäre die Zugehörigkeit als effektive Partizipation eines jeden Bürgers an allen Subsystemen. Die berufliche Zuordnung zu einem der Subsysteme in einer arbeitsteiligen Gesellschaft wird unvermeidlich sein. Nicht unvermeidlich ist jedoch, daß ein Bürger in dieser berufsgegebenen Zuordnung "aufgeht". Hier liegt ein Schichten- oder Klassenproblem, das über die Frage der Gehaltsklassen, auch über die Unterscheidung von Lohnabhängigen und –unabhängigen hinausgeht. 
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    Die negative Version der realen Differenzierung der strukturellen Subsysteme ist: eindeutige Zuordnung der Individuen an die Subsysteme und somit – Klassengesellschaft, und zwar in einem tieferen und aktuelleren Sinn, als dieses Wort üblicherweise sagen will. Die Einkommensunterschiede scheinen in einer fortgeschrittenen und funktionierenden Industriegesellschaft teils unvermeidlich (im Hinblick auf Leistungs- bzw. Belastungsunterschiede und soziale Gratifikation), teils sekundäre Folge der primären Klassenunterschiede: wirtschaftende, politische, kulturelle und legitimierende Klasse. Der Klassenunterschied etwa innerhalb der Wirtschaft oder innerhalb der Politik wird ebenso als Folge einer einseitig-eindeutigen Zuordnung der Individuen an die strukturellen Subsysteme angesehen werden können, wie umgekehrt die Zuordnung ans wirtschaftliche, politische usw. Subsysteme, also die "primär" genannten Klassenunterschiede, Folge ursprünglicher Ungleichheit sind. Das angedeutete Übel von Klassengesellschaft besteht, vom Einzelnen her gesehen, darin, daß die unvermeidliche Differenzierung der einzelnen Handlungen gemäß den Reflexionsstufen zu einer habituellen Einseitigkeit wird: Arbeitsteiligkeit in ihrer negativen Ausprägung als Lebensteiligkeit. Gegen professionelle Arbeitsteiligkeit in der differenzierten Industriegesellschaft dürfte es kaum ernst zunehmende Einwände und Gegenvorschläge geben. Das Problem liegt in einer "existentiellen" Arbeitsteilung.167 Diese ist identisch mit der hier gemeinten Zuordnung zu den strukturellen Subsystemen. Sie macht ein gut Teil der Zerrissenheit des modernen Lebens aus, und dies umso mehr, als sie zwar bisher am eindeutigsten die Arbeiter trifft (die kaum die äußeren und inneren Bedingungen haben, politisch, kulturell, weltanschaulich, somit auch in ihren persönlichen Beziehungen gesamtmenschlich tätig zu werden), doch in der Form von Leistungsstreß und Fachidiotie auch alle anderen Gesellschaftsschichten. Das Problem hat nicht nur eine individuelle, sondern auch eine politische Dimension, was z. B. die Möglichkeit der Beteiligung am Meinungs- und Willensbildungsprozeß angeht. Ob die zu erwartende Vermehrung der Freizeit es allein lösen wird, kann man bezweifeln. – Doch sollten solche Perspektiven lediglich weitere Hinweise auf die Bedeutung der strukturellen Subsysteme sowie ihre reale Differenzierung geben, die von der einseitigen Zuordnung der Individuen an sie durchaus zu unterscheiden ist.
    (c)Der realen Differenzierung der Subsysteme, die selbst in einer arbeitsteilig differenzierten Gesellschaft latent bleibt und bleiben sollte, kann man sich vom Handeln der Individuen her annähern: Dieses individuelle Handeln differenziert sich, zumindest in aufeinanderfolgenden 
     
     
     
     
     
     
    Akten, den Reflexionsstufen entsprechend. Die ratio probans dafür, daß sich vom individuellen Handeln her innerhalb eines sozialen Systems Subsysteme zumindest latent ausdifferenzieren, liegt in zweierlei: Erstens darin, daß die Individuen in ihren einzelnen Handlungen selbst jeweils das Ganze unter eine Reflexionsstufe subsumieren, unter technisch-praktisches, strategisches, kommunikatives und metakommunikatives Handeln – soviel Übergänge, vor allem nach außen hin, es dabei auch geben mag. Der Gesichtspunkt der Befriedigung materieller Bedürfniswerte beispielsweise, die Abschätzung aller Vorgänge nach ihrer wirtschaftlichen Effizienz, stellt nicht nur eine Möglichkeit unserer äußeren Reflexion dar, sondern eine solche der Handelnden selbst. Auf diese Weise bringen diese den Subsystem-Zusammenhang hervor, den wir analytisch am Ganzen unterscheiden. Dazu ist ein Zweites erforderlich: daß auf den jeweiligen Handlungsebenen durchgehende Sach- und Sinnzusammenhänge bestehen und diese jeweils das Ganze real unter sich zu subsumieren vermögen; daß also Wirtschaft, Politik, Kommunikation und normativer Sinn auf ihre Weise jeweils das Ganze sind, sofern sich die anderen Subsysteme als Input oder Output zu dem einen verhalten.
    Aus dieser theoretischen Sicht erscheint es verständlich und normal, daß z. B. künstlerische und wissenschaftliche Tätigkeit und ihre Produkte auf wirtschaftlichen Wert hin abtaxiert werden können – ebenso wie es für normal gelten kann, daß wirtschaftliche und politische Tätigkeit durchgehend auf ihre Bedeutung für menschliche Kommunikation oder letzten Sinn oder zumindest Normgemäßheit befragt werden können. Die Durchlässigkeit der Systemebenen füreinander stört nicht ihre Eigengesetzlichkeit, sondern modifiziert diese lediglich, sofern sie füreinander Input und Output sind. Die Differenzierung der Systemebenen besagt nämlich, daß sie in reziproke System-Umwelt-Verhältnisse füreinander zu stehen kommen. (Zur Frage einer "objektiven" Vorrangstellung vgl. § 13).
    Ein Vergleich mag das Gemeinte verdeutlichen. Das physiologische System eines Menschen hat zweifellos eine durchgängige Eigengesetzlichkeit. Und doch wir diese tiefgreifend von der Tätigkeit und Lebensweise des Betreffenden modifiziert. Man kann nicht von der Gesamtpersönlichkeit absehen, wenn man die physiologischen Prozesse erklären will, und doch handelt es sich für den Physiologen nur darum, "äußere" Daten zu wissen, die in das organische System eingehen.
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    Die Verselbständigung des wirtschaftlich-technischen "Stoffwechsels mit der Natur" in einem Sozialsystem gegenüber der normativen Integration ist sicher geringer als die des Organismus gegenüber dem geistigen Leben eines Menschen, weil sich bei den Subsystemen des sozialen das Eine Handeln in seine immanenten Reflexionsstufen – allerdings unter Einbeziehung materieller Gegebenheiten – differenziert. Aber der Vergleich kann zeigen, daß systematische Eigengesetzlichkeit und Relativierung zum Subsystem eines Ganzen sehr wohl miteinander vereinbar sind. Er verdeutlicht auch, was es heißt, ein Ganzes (in unserem Vergleich: die Person) von einer analytischen Ebene (der Physiologie) her zu betrachten, die ihr fundamentum in re hat, d. h. real ausdifferenziert ist.
    (d)Parsons hat für die von ihm unterschiedenen Subsysteme von Gesellschaft sogenannte "Strukturkomponenten" angegeben, die charakteristisch für das jeweilige Subsystem seien: für das Integrationssystem Normen, für das System Normenerhaltung Werte, für das politische Gemeinwesen Gesamtheiten und die Wirtschaft Rollen. Hier gehen, wie nicht ausführlicher diskutiert werden kann, verschiedene kategoriale Gesichtspunkte durcheinander. In unserer Sicht sind den Subsystemen (technisch-praktisches, strategisches, kommunikatives und metakommunikatives Handeln) die verschiedenen Wertebenen als charakteristische Titel für die jeweilige Eigengesetzlichkeit zuzuordnen: Bedürfniswerte, Interessenwerte, Sinnwerte der Kommunikation sowie Letztwerte bzw. Normen. Aus das Werteproblem werden wir in § 14 zurückkommen.
    Zuvor soll die eingeführte Unterscheidung von strukturellen Subsystemen wenigstens nach einer wichtigen Seite hin ausgewertet werden: im Hinblick auf das Problem legitimer Integration. Denn bisher war nur von faktischer Integration die Rede. § 15 wird weiterhin darlegen, daß die reale Differenzierung der Subsysteme in der staatlichen Gesellschaft letztlich mit Pluralismus und Gewaltenteilung identisch ist.
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    § 13: Integration und Legitimität (Der Basis-Überbau-Zirkel)
     
    Legitime oder zwangfreie Integration der Systemebenen kann sich nicht auf die Rückkoppelung der integrierenden Subsysteme, des "Überbaus", an die "Basis" berufen. Unter modernen Bedingungen besteht Legitimität von Normenmacht in Befreiung der Kommunikation von anderer Macht: in Durchbrechung des Systemzirkels, die nochmals seine Funktion ist und strukturell in ihn eingebaut werden kann: als Differenzierung.
    Faktische Integration eines Sozialsystems besteht darin, daß die "metakommunikative" Reflexion der Beteiligten und ihrer Handlungen in eine normative Einheit gelingt, d. h. daß die überwältigende Mehrheit sich an Grundnormen hält, welche die Einheit des Systems begründen. Das Wort "metakommunikativ" wurde hier in Anführungszeichen gesetzt, weil sich in ihm das Problem verbirgt: Metakommunikation in einem bloß strukturellen, reflexionslogischen Sinn braucht nicht frei zu sein; sie kann erzwungenes Sichbeugen unter Macht sein, die äußerlich normgerechtes Verhalten abverlangt. Selbstverständlich besteht darin nicht der sozialphilosophisch normative Sinn von Metakommunikation, der vielmehr freie Gegenseitigkeit impliziert. Erzwungene Metakommunikation ist deren Zerrbild, sofern die Reflexionsstruktur der Verständigung über reziproke Erwartungserwartungen im Spiel ist, ohne daß die implizit mitgedachte Gegenseitigkeit und somit Freiheit der Beteiligten zueinander darin realisiert wird. Faktische Integration kann also Zwangsintegration sein: eine äußerliche auferlegte Machtordnung; sie kann auch innerlich, frei anerkannte Normenordnung darstellen und ist dann zugleich legitime Integration. Diese Legitimitätsidee setzt keinerlei spezifische Wertung von Seiten des Sozialtheoretikers (wohl von Seiten der beteiligten Subjekte), sondern basiert lediglich auf der Idee freier Gegenseitigkeit, die in der Struktur von Metakommunikation notwendig als Idee impliziert, jedoch gerade nicht notwendig realisiert ist. Unter rechtlicher Legitimität soll eine Normenordnung verstanden werden, die als innerlich anerkannte zugleich äußerlich auferlegt, also im Grenzfall mit physischer Gewalt sanktionierbar ist. 168 Man kann auch umgekehrt formulieren: rechtliche Legitimität besteht dann, wenn die äußerlich auferlegten und durchsetzbaren Normen innerlich anerkannt sind. Das unterscheidet sie von bloßer Legalität, der nur faktisch-rechtlichen Integration.
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    Legitime Integration, ob sie nun rechtlich oder sittlich und religiös ist, setzt also einen freien Grundkonsens voraus, geschehe dieser durch demokratische Verfahren oder etwa durch stillschweigende Anerkennung eines Königtums von Gottes Gnaden. In beiden Fällen kann man die Freiheit des Grundkonsens gleichermaßen in Zweifel ziehen, und hier beginnt unser eigentliches Problem. Es betrifft zugleich die Feststellbarkeit des Konsensus wie sein – als feststellbar einmal vorausgesetztes – Zustandekommen überhaupt, nämlich seine Abhängigkeit von Macht. Wir hatten "Macht" oben (§ 8, Ende) im Sinne von horizontaler Macht als Asymmetrie oder Ungleichgewicht in den zwischenmenschlichen Beziehungen eingeführt. Diese kann auf allen Ebenen bestehen: physisch-materielle Überlegenheit, strategische Überlegenheit aufgrund von größerer List, seine Interessen durchzusetzen und Beziehungen zu schaffen, schließlich kommunikative Überlegungen als Sprachvermögen, Erfahrung, Intelligenz, Wissen: wenn diese kommunikativ und nicht strategisch eingesetzt würden, wären sie in ihrem größeren Gewicht für Konsensbildung zu legitimieren. Doch sind diese kommunikativen Kompetenzen selbst weitgehend Funktion materieller Vorteile sowie der schon bestehenden Normenmacht (vertikalen Macht) des Systems.
    Erst die Systembetrachtung bringt die ganze Verwicklung des Machtproblems auch dort, wo es dem Anschein nach geregelt ist, ans Licht. Besteht Macht als Systemfunktion nicht gerade darin, daß einerseits von unten, von der materiellen "Basis" her, Kommunikation und Metakommunikation verzerrt werden und der so entstandene "Überbau" rückläufig seine materiellen Entstehungsbedingungen rechtlich und gar moralisch legitimiert? Bedeutet das nicht, daß zwar die formelle Reflexionshierarchie "zwangfrei" funktioniert, in Wirklichkeit aber die unteren Systemebenen (physisch-militärische, wirtschaftliche und politische Macht) das Ganze integrieren, und dies wegen des ideologischen Einflusses legitim im Sinne unserer Definition von legitimer, d. h. anerkannter Integration?
    Wir werden auf die marxistische Bedeutung der Begriffe "Basis" und "Überbau" nachher eingehen und verwenden sie zunächst in unserem Begriffsrahmen derart, daß "Basis" die beiden 
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    unteren Systemebenen und "Überbau" die beiden oberen meinen sollen. – J. Habermas hat unter dem Titel "Technik und Wissenschaft als Ideologie" in Anschluß an Herbert Marcuse eine spezifische Pointe der Industriegesellschaft in bezug auf das Legitimationsproblem herausgestellt: Ihre Legitimierung bedarf nicht mehr scheinbar wertrationaler, wegen Bindung an "massive" Interessen im Grunde irrationaler Ideologien, sondern bedient sich der Zweckrationalität in ihrer kultiviertesten Form von Wissenschaft und Technik. "Der ideologische Kern dieses Bewußtseins ist die Eliminierung des Unterschieds von Praxis und Technik - ...Die neue Ideologie verletzt mithin ein Interesse, das an einer der beiden fundamentalen Bedingungen unserer kulturellen Existenz haftet: an Sprache, genauer an der durch umgangssprachliche Kommunikation bestimmten Form der Vergesellschaftung und Individuierung. Dieses Interesse erstreckt sich auf die Erhaltung einer Intersubjektivität der Verständigung ebenso wie auf die Herstellung einer von Herrschaft freien Kommunikation."169
    Systemtheoretisch gesprochen bedeutet das: Nicht etwa Rückkoppelung des Überbaus and die Basis ist das Gebot der Stunde, sondern Befreiung des Überbaus im Sinne von: Ausbau der nicht zweckrationalen, d. h. von materieller und politischer Macht befreiten Kommunikation. Die Einsicht in den Systemzirkel eignet sich keinesfalls zur Beruhigung, als regle sich auf die Dauer alles, weil Rückkoppelung zwischen den Systemebenen besteht. Sie beunruhigt vielmehr: die Einsicht in den Zirkel muß zu seiner Durchbrechung dienen, und das heißt, zur Freisetzung der Kommunikation, die wiederum als Metakommunikation Normen setzt, welche die materielle und machtpolitische Basis regeln. Solche Kommunikation scheint allerdings mehr enthalten zu müssen, als Habermas mit "umgangssprachlicher Kommunikation" vorschwebt. Die Umgangssprache selbst kann, als Systemfunktion, ideologisch verseucht sein: sei es im Sinne praktischer Ideologie (Legitimationsideologie), die also bestehende oder gewollte Praxis legitimieren will, ohne theoretische Freiheit zu haben; sei es im Sinne theoretischer Ideologie (als Ablenkungsideologie), die ohne praktische Relevanz bleibt oder deren praktische Relevanz in der ideologischen Verklärung des Bestehenden liegt. Ideologie läßt sich als undialektische Theorie-Praxis-Diskrepanz dieser beiden Spielarten, die ineinander übergehen, definieren.170 Was aber wäre reflexiv-dialektische Theorie-Praxis-Einheit? Erst sie verdiente in unserem Sinne den Titel "Kommunikation" in einem normativen Sinne von realisierter (nicht nur strukturell-implizit angelegter) freier Gegenseitigkeit von Verhaltenserwartungen. Diese Frage werden wir im folgenden Paragraphen unter anderer Rücksicht weiterführen.
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    In der Freisetzung der Kommunikation von der unmittelbaren Determination durch wirtschaftliche und politische Macht, ferner durch die von ihnen bestimmte Normenmacht besteht das Grundproblem der heutigen Demokratien. Darin knüpfen wir aus systemtheoretischer Sicht an Habermas´Stichwort von der zwangsfreien Kommunikation an. Dabei bedeutet "Freisetzung" nicht Narrenfreiheit von zelotischen Utopisten oder Festtagsrednern, sondern vielmehr reflexiver Bezug auf Machtprobleme.
    Revolution kann Machtverhältnisse umwerfen. Sie kann bestenfalls, als einmalige Durchbrechung des Systemzirkels, die Bedingungen für wirksame Freisetzung von Kommunikation und Metakommunikation als der maßgebenden Systemebenen schaffen. Jedoch wurde dergleichen bisher kaum erlebt. Der bloße Umsturz von Machtverhältnissen löst das hier angesprochene Strukturproblem nicht. Bleibt es undurchschaut, wird sicher nur ein anderer circulus vitiosus etabliert.
    Auch die Basis-Überbau-Theorie im marxistischen Sinne enthält die Illusion, als löse die "Flurbereinigung der ökonomischen Basis von allein oder doch im wesentlichen das Problem. Zwar durchschaut sie die Bedingtheit des Überbaus durch die Basis, in ihren intelligenteren, weniger ökonomistischen Versionen auch umgekehrt die der Basis durch den Überbau; doch ihr Dualismus bleibt zu undifferenziert, um die reflexionslogischen Bedingungsverhältnisse, die zwischen den von uns herausgestellten strukturellen Subsystemen bestehen, präzis benennen und analysieren zu können.
    K. Marx hat das Basis-Überbau-Theorem nicht als Stufung in unserem Sinne verstanden, sondern analog zur Hegelschen Unterscheidung von "wirklichem" und "religiösem" Geist, d. h. als Subsumtion des Ganzen einmal unter den Gesichtspunkt der wirklichen Praxis (der Handlungswirklichkeit), zum anderen unter den Gesichtspunkt des Deutungswissen, mit seinen noch nicht praxisimmanenten Vorstellungen.171 Die Geschichte der marxistischen Diskussion über Bedeutung und Verhältnis von Basis und Überbau zeigt die endlose Verlegenheit, die sich mit einer materialen Unterscheidung beider verbindet: Gehört z. B. Wissenschaft noch zur Produktionsbasis, und welche Wissenschaften usw.?172 "Dialektik" dient in solcher verfahrenen Fragestellung als Titel für recht willkürliche Ausflüchte und Umdeutungen. Wir meinen gezeigt zu haben, in welcher Richtung wir eine Möglichkeit rationaler Weiterentwicklung und Differenzierung des Wahrheitsgehaltes der Basis-Überbau-Lehre sehen.
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    J. Habermas versuchte eine Dynamisierung des Theorems, die Ähnlichkeit mit unserer Umdeutung zu haben scheint: In "loser Anknüpfung an Marxsche Grundbegriffe" zählt er vier sogenannte "kulturelle Universalen auf: 1. Produktion, 2. Verkehrsform, 3. die umgangssprachliche Kommunikation, 4. Ideologie.173 "Marx führt nun zwei weitere Annahmen ein: a) Systemverändernde Konflikte ergeben sich durch eine in Relation zu Verkehrsform und Ideologie disproportionale Entwicklung der Produktivkräfte ... b) Dieser zentrale Konflikt bestimmt alle übrigen gesellschaftlichen Konflikte, soweit sie für strukturelle Wandlungen des Systems von Bedeutung sind. ... Den Bereich der materiellen Produktion, in dem diese Konflikte entstehen, nennt Marx daher die Basis, die Bereiche, in denen die abgeleiteten Konflikte entstehen, ...nennt Marx "Überbau". Diese Annahme ist vereinbar mit dem Wechsel des funktionalen Primats von einem Teilsystem zum anderen ... Funktionalen Primat hat dann jeweils das Teilsystem, das für die Entstehung des Zentralkonflikts am wichtigsten ist. So kann im Laufe der Gattungsgeschichte der funktionale Primat von der Familie (vorhochkulturelle Phase) über das politische System (traditionelle Gesellschaften) auf das ökonomische System (Kapitalismus) übergegangen sein und in Zukunft vielleicht auf das Teilsystem Wissenschaften übergehen."174
    Wir halten es nicht für erwiesen, sondern im Gegenteil für sehr unwahrscheinlich, daß der zentrale Konflikt einer Gesellschaft stets der zwischen Produktivkräften (bei uns: Subsystem des physisch-technischen Handelns) und Produktionsverhältnissen (bei uns: sämtliche übrigen Subsysteme, besonders das des strategischen Machthandelns) besteht. Warum soll der jeweils zentrale Konflikt nicht etwa zwischen konkurrierenden politischen Machtgruppen oder zwischen geistlichem und weltlichem Führungsanspruch oder zwischen veraltetem Recht und fortgeschrittener Kultur oder zwischen rivalisierenden religiösen Welt- und Gesellschaftsauffassungen, verbunden mit politischen Machtansprüchen usw. ebenso bestehen, wie er zu Marxens Zeiten zwischen sprunghaft veränderten Produktivkräften und überholten politisch-rechtlichen Verhältnissen aktuell war? Im letzteren den Schlüssel zur Geschichtsinterpretation zu erblicken, dürfte bei Marx ein vereinfachender Trugschluß der geschichtlichen Perspektive gewesen sein, verbunden mit Entdeckerfreude über die gesellschaftlich 
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    durchdringende Bedeutung der materiellen "Basis". Habermas "Dynamisierung" besteht lediglich in einer weiteren Differenzierung von "Teilsystemen", von denen das jeweils epochal dominierende im Verhältnis zu den Produktivkräften den Zentralkonflikt hervorbringen soll. Diese Sicht ist uneinheitlich (z. B. Familie gehört nicht in eine Reihe mit "politischem System", auch Wissenschaft bildet für sich allein kein strukturelles Subsystem), zu einfach und – bis auf weitere Begründung – willkürlich.
    Die Rede von Konflikten zwischen Teilsystemen entbehrt der selbstverständlichen Klarheit. Lassen wir auf sich beruhen, was sie bei Habermas genauer bedeutet, um ihren Sinn in Bezug auf unsere Subsysteme zu klären. Man wird den vage erfaßten Sinn so umschreiben können: Die jeweiligen Eigengesetzlichkeiten der Subsysteme passen nicht mehr zueinander, die politischen Strukturen nicht mehr zur fortgeschrittenen Wirtschaft oder umgekehrt, die politischen Verhältnisse innerhalb und zwischen sozialen Einheiten nicht mehr zu den kommunikativen Beziehungen ihrer Bewohner, das Rechtssystem nicht mehr zur Art des zwischenmenschlichen Umgangs usw. Systemtheoretisch: die horizontale Reflexion der Verhaltenserwartungen, die Sachzusammenhänge einschließen, impliziert nicht mehr zugleich eine vertikale Reflexion in die Systemeinheit. Das "gelebte Leben" auf den unteren Subsystemen steht mit der Integration des Ganzen in Konflikt, und das (rechtliche, sittliche, religiöse) Pochen auf Reflexion in die Einheit steht in Spannung zum wirklichen Leben. Daß solche Spannungen und Divergenzen möglich sind, bestätigt nochmals die reale Ausdifferenzierung struktureller Subsysteme; denn wir sprechen hier nicht von Spannungen zwischen korporativen Subsystemen, zwischen Gruppen und Institutionen. Wohl sind solche strukturelle Divergenzen Konflikte zwischen Schichten (die den dissoziierten Subsystemen zugeordneten Bevölkerungsteile) und Klassen (die Interessenparteien innerhalb der dissoziierten Schichten).
    Wir wollen die Analyse hier nicht weitertreiben, was auf historische Betrachtungen führen müßte, sondern lediglich die Frage zu beantworten suchen: Wodurch unterscheidet sich eine konfliktuelle Verselbständigung der Subsysteme, die offenbar auf Desintegration des Ganzen hintendiert, von einer Differenzierung der Subsysteme, deren Funktion für die Integration des Systemganzen wir positiv eingeschätzt haben (§ 12)? Bereits genannt wurde als negative Form von Differenzierung die eindeutig-einseitige Zuordnung der Individuen an die Subsysteme. Diese scheint nicht nur Folge von Arbeitsteilung, sondern auch von Dissoziierung der strukturellen Subsysteme.
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    Strukturelle Dissoziierung ist Auseinanderklaffen von horizontaler Interaktion (somit Reflexion) innerhalb der Subsysteme einerseits und Reflexion der Subsysteme aufeinander und somit in die integrierende Einheit andererseits. Dagegen besteht strukturelle Differenzierung gerade in der Ausprägung der Subsysteme als in ihrer Eigengesetzlichkeit reflexiv aufeinander und auf die Einheit bezogener. Differenzierung ist die Integration eines differenzierten Systems selbst, während strukturelle Dissoziierung tendenziell dessen Desintegration darstellt.
    Zwangsintegration (Integralismus) kann sehr wohl mit struktureller Dissoziierung einhergehen: die nach ihrer Eigengesetzlichkeit auseinanderstrebenden Subsysteme werden durch äußeren Zwang in der Systemeinheit gehalten. Legitime Integration verlangt dagegen unter modernen Bedingungen strukturelle Differenzierung.
    Die Freisetzung der Kommunikation, die oben postuliert wurde, stellt nur den wichtigsten Aspekt solcher Differenzierung dar. Auch der Normgebungsprozeß (Metakommunikation) ist ihr gegenüber nochmals zu differenzieren, z. B. ist der Gesetzgebungsvorgang in einem Staat vom Meinungsbildungsprozeß, von der öffentlichen Meinung und ihren Zufälligkeiten, abzusetzen, sowie der Kommunikationsprozeß nicht ohne Schaden für die Freiheit auf Normgebung hin verzweckt werden darf.
    Vernünftige Integration kann nur Integration durch Vernunft sein, also durch freie Kommunikation und Metakommunikation. Nur die "höheren" Systemebenen können die "unteren" legitim integrieren. Von daher das Postulat, daß Wirtschaft und Politik nicht die normative Einheit beherrschen dürfen, wenn es mit Vernunft zugehen soll. Aufgrund derselben Vernunft muß aber den beiden letzteren Subsystemen ihre Eigengesetzlichkeit gelassen werden, so daß vernünftige Integration andererseits nicht ideologisch sachfremde oder idealistische Beherrschung "von oben" heißen kann, sondern wiederum: Differenzierung.
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    Die Durchbrechung des Rückkoppelungskreises unter den Bedingungen des Systemkreises selbst und als in diesen eingebaut, geschieht durch strukturelle Differenzierung der reflexionslogischen Ebenen. Sofern diese von Dissoziierung unterschieden werden kann, ist sie systemtheoretisch gleichbedeutend mit legitimer Integration. Vernünftige reflexionslogische Systemeinheit differenziert sich, und diese Differenzierung eint.
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    § 14: Kommunikative Inkompetenz des Diskurses (das Wertproblem)
     
    Die Entlastung der Kommunikation von technisch-praktischem und strategisch-selbstinteressiertem Handeln kann durch Diskurs geübt und verfahrensrechtlich geschützt werden. Als Gesamtmodell intersubjektiver und gesellschaftlicher Kommunikation ist der Diskurs jedoch nicht allein utopisch, sondern prinzipiell untauglich, zumal im Hinblick auf reflexive Werterfassung.
    Die soeben postulierte Freiheit der Kommunikation und Metakommunikation gegenüber technisch-praktischem und strategisch-selbstinteressiertem Handeln ähnelt der Grundidee der von J. Habermas vertretenen Diskurstheorie. Unter Diskurs versteht Habermas argumentative Wechselrede mit dem Ziel theoretischer Wahrheitsfindung oder praktischer Verständigung über Werte und Normen.175 Zwar ist vorweg ein Unterschied zwischen bloß handlungstheoretischer und system-genauer reflexionstheoretischer Perspektive anzumerken: Der "Übergang" von der unmittelbaren Interaktion zur gesamtgesellschaftlichen Problematik wird nur durch systemtheoretische Betrachtung für das anstehende Problem, insbesondere durch die Differenzierung der strukturellen Subsysteme, methodisch einsichtig. Liegt hier der einzig wesentliche Unterschied, so daß es uns erlaubt wäre, Habermas Diskursmodell in systemtheoretische Transformation zu übernehmen?
    1. Auch Habermas geht es um Freisetzung kommunikativen Handelns, um "herrschaftsfreie Kommunikation". Sichtbar wurde bereits (§ 13), daß deren Qualifikation als "umgangssprachlich" keinerlei Garantie für Ideologiefreiheit enthält. Kann der Diskurs nun solche Garantie bieten? Wir werden zu zeigen haben, daß eine rationalistische Überschätzung seiner Möglichkeiten garantiert ideologisch ist.
    Habermas weiß allerdings, daß Diskurs nicht schlechthin kommunikatives Handeln ist. Gerade deshalb mißt er ihm so große Bedeutung zu: "Ich nenne an dieser Stelle nur die beiden wichtigsten Gesichtspunkte, unter denen der Status des Diskurses von dem der Interaktion unterschieden werden kann. Diskurse erfordern ihrem Anspruch zufolge eine 
     
     
     
     
     
     
     
    Virtualisierung der Handlungszwänge, die dazu führen soll, daß alle Motive außer dem einer kooperativen Verständigungsbereitschaft außer Kraft gesetzt und Fragen der Geltung von denen der Genesis getrennt werden. Diskurse erfordern zweitens eine Virtualisierung von Geltungsansprüchen, die dazu führen soll, daß wir gegenüber den Gegenständen kommunikativen Handelns (also Dingen und Ereignissen, Personen und Äußerungen) einen Existenzvorbehalt anmelden und a) über Sachverhalte, die der Fall, aber auch nicht der Fall sein können, und b) über Empfehlungen und Warnungen, die richtig, aber auch nicht richtig sein können, diskutieren."176
    Gegen die Beobachtung solcher Virtualisierung von Handlungszwängen und Geltungsansprüchen durch Diskurs ist nichts einzuwenden. Auch dagegen nichts, daß derlei in der wissenschaftlichen wie umgangssprachlichen Diskussion geübt zu werden verdient. Indem Habermas jedoch dem Diskurs trotzt, ja wegen der Virtualisierung aller Gehalte einen Modellcharakter für kommunikatives Handeln zuspricht, interpretiert er Kommunikation schlechthin auf Diskurs hin, setzt er die Bedingungen beider ineins. Die Bedingungen des idealen Diskurses werden zu Bedingungen der "idealen Sprechsituation" überhaupt und von da aus zu "Bedingungen einer idealen Lebensform". 177 Die Virtualisierung aller Handlungs- und Geltungsansprüche im Diskurs ist gleichbedeutend mit deren "rationaler" Objektivierung. Von daher – und im Bunde mit einer Konsenstheorie der Wahrheit, deren Fraglichkeit er an anderer Stelle zugesteht178 – gelangt Habermas zu der Hoffnung, "daß sich, wann immer wir in der Absicht, einen Diskurs zu führen, eine Kommunikation aufnehmen und nur lange genug fortsetzen würden, ein Konsensus ergeben müßte, der per se wahrer Konsensus wäre."179 Hier wird nicht nur das Programm der "Diktatur des Sitzfleisches" ausgesprochen, wie H. Weinrich es genannt hat 180 sondern der Diktatur eines Rationalismus, der Kommunikation auf objektive Information hin verkürzt und an deren reflexiv-praxis-immanentem Charakter vorbeidiskutiert. Das liegt durchaus auf der Linie einer von Habermas kritisierten "Technik und Wissenschaft als Ideologie". Ihre sozialtheoretische Folge wie erkenntnistheoretische Unhaltbarkeit läßt sich allerdings diskursiv zeigen.
    Bereits Luhmann wies in seiner Diskussion mit Habermas auf die Utopie eines zeitlich unbegrenzten, von Sachen und Teilnehmern her allseitig erschöpfenden Diskurses hin. Diesem Gesichtspunkt und dem bekannten Frustrationseffekt von Diskussionen gegenüber könnte das 
     
     
     
     
     
     
     
    Wort "kontrafaktisch" einen Ausweg eröffnen. In der Tat, wo der Diskurs zuständig ist, muß er auch gegen seine faktischen Verkürzungen durchgehalten werden. Luhmann bringt aber auch ein Argument, das die Zuständigkeit von Diskurs tangiert: "Gerade Diskussionen geben im Maße ihrer funktionalen Spezifikation kaum die Chancen, die eigene Subjektivität anzubringen oder die des anderen zu entschlüsseln: Was er zu begründen sucht, ist er schon nicht mehr selbst." 181 Wir werden dieses Erfahrungszeugnis eines nicht gerade des Irrationalismus Verdächtigen im folgenden transzendentallogisch orten.
    Auch W. Fach bringt zunächst gewichtige Argumente, die im Rahmen des Utopie-Einwandes bleiben: "Die Funktionalität des Diskurses wird durch seine Funktionsbedingungen verhindert."182 Er fügt aber einen Gedanken an, der gleicherweise über diesen Argumentationsrahmen hinausführt: "Habermas kennt keine parteilich-vernünftige Praxis: für ihn gelten die Gleichungen Universalität=Rationalität (Legitimität) einerseits, Partikularität=Irrationalität (Illegitimität) andererseits." Anders: ist das nicht diskursiv Faßbare einfachhin irrational? Bei Habermas wird die Alternative "diskursiv oder irrational" oft genug sichtbar, nicht zuletzt in Bezug auf Werte. 183 Gerade sie sollen dem Diskurs in praktischer Absicht unterworfen werden. In der diskursiven Diskutierbarkeit von Werten sehen wir den Kern der Diskurs-Debatte.
    2. Unsere Behauptung geht dahin, daß Werte weder irrational noch "rational" im Sinne von diskursiv-objektivierbar sind, sondern ursprünglich reflexiv-vollzugsimmanente Gehalte, die nur sekundär inadäquat objektivierbar und intersubjektiv plausibel werden sowie von der einmal erlangten intersubjektiven Plausibilität her tertiär normative Verbindlichkeit haben und dem Werterleben des Einzelnen vorgegeben sind. Werte sind primär Gehalte der reflexiven Selbsterfassung des Subjekts in seinen Bezügen zu Objekten, anderen Subjekten, zum kulturell gestalteten Sinnmedium, und zwar im Hinblick auf die im reflexiven Selbsterleben erfaßte volitive Konsonanz von Subjekt und Andersheit. Mit einem solchen reflexiven Wertverständnis, das freilich eine ausführliche Diskursion für sich erforderte, stellen wir uns jenseits der Alternative von Wertrealismus (Werte seien Objektives) und Wertnominalismus (Wertsubjektivismus): Es geht von vornherein um Relationen, die im reflexiven Subjekterleben in Bezug auf Konsonanz oder Dissonanz (vgl. Kants "Gefühl der Lust und Unlust") erfaßt werden; aber diese Subjektreflexivität ist nicht subjektivistisch, 
     
     
     
     
    weil reflexiver Selbstbezug-im-Fremdbezug.184 Das bloß formale Daß des Selbstbezugs begegnete uns schon früher (§ 4) als Geltung, ebenfalls ein Reflexionsphänomen, nämlich das formale Moment dessen, was inhaltlich Wert ist: materiale Spiegelung" der reflexiven Relationalität im Subjekterleben. Man könnte von einem funktionalen Wertbegriff sprechen, wie es gelegentlich geschieht, wenn man hierunter nicht bloß innerobjektive Funktionszusammenhänge versteht, also Nutzwerte: daß etwas gut ist für etwas anderes, z. B. Benzin fürs Autofahren oder ein Gericht für den Staat. Bei solcher objektiven Funktionalität wird der ursprüngliche Bezug auf Subjektivität sowie auf eine Pluralität von Subjekten, auf Intersubjektivität also, schon abgeblendet.
    Die vom Einzelnen unverfügbare Exteriorität (Vorgegebenheit) der Werte185 nimmt mit den Reflexionsstufen zu, wie zugleich ihre Objektivität (wenn man darunter nicht den undurchschauten Zusammenhang der Exteriorität versteht) abnimmt. Wir unterscheiden, wohl wissend, daß die unterschiedenen Wertstufen sich in concreto wechselseitig durchdringen und nicht getrennt bleiben:
    1. objektive Bedürfniswerte (Nahrung, Kleidung, Sexualität, Gesundheit, usw.) und (wo innerobjektive Mittel-Zweck-Zusammenhänge eingeschaltet sind) sachliche Nutzwerte. 186 
  • Werte, die bereits andere Subjektivität miteinbeziehen, aber einseitig-erwartend, strategisch kalkulierend: Interessenwerte oder intersubjektive Nutzwerte. (Z. B. Zeugnis zum beruflichen Vorwärtskommen, Wert des Arbeiters für den Arbeitgeber, des Käufers für den Käufer, Macht, auch in Form von Wissen, usw.)
  • Kommunikationswerte, und zwar einmal als praxisimmanente intersubjektive Werterfassung und soziales Weiterleben. Wir sprechen von der nicht bloß formalen, sondern materialen Erfahrung der Werthaftigkeit (wenn man so will: Liebenswürdigkeit) von Freiheit als einer in sich reflexiven Handlungswirklichkeit, die sich nur im intersubjektiven Mitvollzug dieser Reflexion, in gemeinsamer Reflexion und in diesem Sinn praxisimmanent erschließt. Sodann deren sekundäre, praxisenthobene Objektivierungen: kulturelle Werte oder Sinnwerte, sofern sie fürs Individuum wie für die betreffende Gesellschaft nur bedingte Geltung haben und nicht normativ verpflichtend sind.
  • Unbedingte Letztwerte oder Normwerte, sei es für die persönliche Wertskala des Einzelnen, sei es für die eines sozialen Systems, sofern man beide unterscheiden kann. Denn es sei deutlich, daß das subjektive Werterleben sowie das iterativ-objektivierende Werten zugleich wesentlich intersubjektiv-sozial geschieht – ohne daß eine Differenzierung von personalem und sozialem System unter der Rücksicht des Wertes ausgeschlossen ist.
  • Von allen an sich Hierhergehörigem bleibt besonders zu betonen, daß formale Qualifizierung von Werten zu intersubjektiv-sozial geltenden Normen ursprüngliches Werterleben voraussetzt und Werte nicht generell als Anlagerungen formaler, und das heißt dann willkürlich-machtmäßiger Normierung verstanden werden können. So aber muß Habermas Verständnis von Werten gekennzeichnet werden, wodurch er sie dem sogenannten rationalen Diskurs unterwerfen will: "Werte gelten, aber man weiß nicht warum. Dieser Status wird erst verständlich, wenn man bedenkt, daß Werte die anonymen Platzhalter von intersubjektiv verbindlichen reziproken Verhaltenserwartungen, also von Normen sind, die nur mit Bezug auf kommunikatives Handeln zureichend bestimmt werden können ... Der Neukantianismus und die Wertphilosophie haben diesen Zusammenhang ignoriert ... Ich möchte vorschlagen, Werte als Ergebnis einer Transformation von Formen des kommunikativen Verhaltens in ein monologisches Handlungsmodell aufzufassen ..."187 Kurz: Werte als Objektivierungen von Formen "kommunikativen" Verhaltens. Man darf und muß hier wohl von einem formalen und objektivistischen Wertverständnis sprechen. So gelingt die rationale Zähmung des andernfalls Irrationalen und seine Verfügbarkeit für den objektivierenden Diskurs. In diesem Sinne wurde oben schon gesagt, daß Habermas an reflexiv-praxisimmanenten Wertgehalten vorbeidiskutiert.
    Es wurde ein Verständnis von Werten umrissen, dem nicht Subjektivismus wie dem Neukantianismus oder Irrationalismus wie mancher Wertphilosophie vorgehalten werden kann. Gegen letzteres schützt das reflexive Verständnis von Werterfassung: Wertfühlen wird als praxisimmanente ("begleitende") Reflexion verstanden, deren Strukturen, aber nicht Gehalte, rational analysierbar und objektivierbar sind. Über die Bedeutung der Intersubjektivität für Subjektreflexion im allgemeinen und kommunikative Werte im besonderen brauchte kein Wort mehr verloren zu werden, wenn es darum ginge, gegen ein ebenso verbreitetes wie verflachtes Kommunikationsverständnis darauf hinzuweisen: daß es intersubjektive Werterfassung gibt, deren Strukturen zwar durch die nachträglich-objektivierende Reflexion erfaßt werden können, und dies nur mit wissenschaftlicher Akribie, keineswegs unmittelbar hinschauend; deren Gehalte jedoch a fortiori nicht diskursiv zu objektivieren sind, selbst mit Reflexionslogik nicht: weil diese es mit Strukturen zu tun hat, nicht mit einmalig-individuellen Gehalten. Mit solchen hat es jedoch Kommunikation zu tun, nämlich mit reflexiven Gehalten von intersubjektiver Freiheit und ihrer einmaligen Werthaftigkeit. Diese ist ausschließlich praxisimmanent als solche zu fassen.188 Philosophische Reflexion kann nur ihre Ortsbestimmung vornehmen. Ohne die materiale Werthaftigkeit der reflexiv-kommunikativen Freiheit bleibt das höchste Freiheitspathos ein sich selbst in seinen Antrieben verkennender Formalismus. In der Blindheit für materiale Reflexivität liegt die kommunikative Inkompetenz des Diskurses. Seine begrenzte Kompetenz käme ihm durch die Erkenntnis dieser Blindheit erst legitimerweise zu.
    Wer diskursiv zureichend begründen will, warum er gerade diesen Menschen liebt, jenen Freundeskreis besucht, dieses Kunstwerk einem anderen für sich vorzieht, geschichtlich gewachsenen Einheiten (wie Staaten oder Sprachgemeinschaften) und Gebräuchen einen mehr als zweckrationalen Wert zuspricht, warum er sich ein Fest lieber so als anders vorstellt, beweist kommunikative Inkompetenz bzw. die der diskursiven Argumentation, auf die er sich verläßt. Von unreflektierten Genußwerten sagt ein altes Wort: "de gustibus non est disputandum." Das Entsprechende gilt von Interessenwerten, die notwendig selbstinteressiert-partikulär, nicht allgemein-vernünftig sind und dennoch ihr Recht haben. Sind diese beiden Reflexionsstufen sozusagen unterdiskursiv, so läßt sich von Werten der Kommunikation und Metakommunikation (sofern letztere nicht nur formale Konsensbildung, sondern letzte Sinndeutungen religiös-weltanschaulicher Art umfaßt) sagen, daß sie überdiskursiv sind. Sie allesamt gleichermaßen ins Irrationale abzudrängen, diskreditiert die hier dekretierende Vernunft.
    Habermas Rationalismus liegt darin, daß er Vernunft-Strukturen mit Werten verwechselt bzw. diese, soweit sie ihm nicht diskursiv rekonstruierbar scheinen, mit machtmäßig etablierten Normen als Unvernunfts-Strukturen. Aufklärung über Macht braucht aber nicht mit Verdunkelung des Wertbewußtseins einherzugehen. In Bezug auf Werte lassen sich zwar ethische Vorzugsregeln aufstellen, die jedoch selbst wieder Grundwertungen voraussetzen und vor allem: unzählige Alternativen unentschieden lassen. Die beklagte Verwechslung beruht auf Unterfunktion diskursiver Ratio in diesem Punkt, die zu einer illusionär wuchernden Überfunktion führt. Es bleibt, die sozialtheoretischen Konsequenzen ihrer Diktatur auszuziehen und den Diskurs an den ihm gebührenden Platz zu rücken.
    3. "Der Diskurs verkommt, weil gegen seine Funktionsvoraussetzungen geführt, ... zur politischen Manipulation."189 Das heißt einmal, die Diskurse von Starnberg haben wenig Aussicht, sich mit diskursiven Mitteln, und dies in diskursiv legitimierbarer Weise, in Politik umzusetzen, die ihrerseits wiederum nicht diskursiv ist. Das heißt zum anderen, der angeblich vernünftige Diskurs kann nur Manipulation sein, wenn er darin bestehen soll, plurale Wertvorstellungen mit monistischer Vernunft, die sich nicht vernünftig begrenzt, einzuebnen. Der rationale Diskurs kann philosophische Strukturfragen sowie alle möglichen objektivierbaren Sachverhalte klären; er kann auch Wertvorstellungen auf Vorurteile hin befragen und zur Selbstverständigung zwingen. Aber er wird unvernünftig und diktatorisch, wenn er sie zur objektivistischen Auflösung zwingen will. Durch Wertzerstörung diskreditiert er den vorzüglichen Wert rationaler Diskussion selbst. Nicht nur in sozialer Kommunikation, auch für deren Regelung spielen Wertungen eine hervorragende, alles durchdringende Rolle. "Die Staatslehre ist eine Wertwissenschaft. Die Geistesakte, die in Staat und Politik von wirklicher Entscheidung und nicht nur Ausführung von bereits Entschiedenem sind, sind sämtliche Wertungsakte."190 Wenn das übertrieben sein sollte, so ist es doch weniger gefährlich als die Verschleierung der Wertproblematik. Pluralismus ist wesentlich Pluralismus der Wertvorstellungen, die sich durch Diskurs nicht auf einen Nenner bringen lassen noch bringen lassen dürfen. Das gilt in abgestufter Weise sowohl von Interessenwerten wie von Kommunikations-, Geschichts-, Kulturwerten wie von Letztwerten, für die derjenige der "herrschaftsfreien Kommunikation" eine gemeinsame Minimalbasis darstellen mag, ohne daß er zur konkreten Gestaltung eines Gemeinwesens ausreichte. Unser Einwand geht dahin, daß das Diskursmodell, wo es Modell für Kommunikation und Metakommunikation sein will, antipluralistisch ist.
    Was Diskurs positiv leisten kann, ist die verfahrensrechtliche Schützung gesellschaftlicher Kommunikation. Diese Absicherung stellt eine Strukturfrage dar. Sie betrifft Meinungsfreiheit, und zwar auch im Sinne positiver Ermöglichung, gehört zu werden und Koalitionen herzustellen; eine mehr als formale Freiheit von Presse und Massenmedien; wozu auch deren Entbindung von politischen Parteien gehört (Differenzierung von Politik und Kultur); Wirksamkeit des Parlamentarismus und des Wahlverfahrens. Sie betrifft Förderung statt technokratischer Zerschlagung einer Lebensqualität, die man einmal "Gemeinschaft" nannte, bevor soziologische "Vernunft" nicht nur das Wort außer Kurs setzte. Sie betrifft Aufklärung über die vernunftlose Eigengesetzlichkeit politischer Machtformationen und Frontenbildungen, über die notwendige Differenzierung der Systemebenen usw. Wenn das Schlüssel- und Metaproblem unserer gegenwärtigen Demokratie, an dem alle anderen materialen Probleme hängen, in der Freisetzung der Kommunikation und Metakommunikation, allgemeiner in der Differenzierung der strukturellen Systemebenen besteht (§ 13), dann kommt der diskursiven Planung solcher Strukturen und damit des Konfliktaustrags erhebliche Bedeutung zu. Einen Teil der diskursiven Bemühung stellt die Sozialtheorie selbst dar, deren Unentbehrlichkeit für den gesellschaftlichen Reflexionsprozeß der Schlußparagraphen gewidmet ist. Es ging im Vorstehenden in keiner Weise um Herabminderung des Diskursprinzips und seiner "kontrafaktischen" Leitvorstellungen. Argumentiert wurde gegen Selbstüberschätzung des Diskurses. Er hat die nicht-diskursive, auch nicht irrationale, sondern reflexionslogische Kommunikation in Werten freizusetzen.
    Es sollte nachdenklich machen, daß und warum mit der steigenden Flut von Veröffentlichungen, die direkt und indirekt sogenannte Kommunikation zum Thema haben, tatsächliche Kommunikation weiter verfällt. Es steigen aber die Selbstmordziffern. Da stimmt, auch theoretisch, etwas nicht.
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     

     
     
     
     
     
     
    § 15: Systemtheoretisches zu Gesellschaft und Staat
     
    Spricht man von "Staat" im modernen Sinn, so sind zu unterscheiden: 1. Staat als rechtlich integriertes Gesamtsystem, sofern es a) ein Konglomerat korporativer Subsysteme umfaßt, b) sich in strukturelles Subsysteme stuft; 2. das integrierende Subsystem (Recht und informelle Legitimationsgehalte); 3. das von dort begründete Amtshandeln, das sich in dem Maße nach den Subsystemen real differenziert, als es frei-gesellschaftlichem Handeln Raum läßt; 4. die institutionellen Erscheinungsformen des Staatswesens, deren Differenzierung Gewaltenteilung bedeutet. In deiner Bedeutung ist Statt Subsystem von "Gesellschaft", es sei denn 5. einer Weltgesellschaft.
    Nachdem über Elementarsysteme und korporative Subsysteme (§ 10) sowie strukturelle (§12) gehandelt wurde, bleibt das Thema Gesamtsystem und somit Staat und Gesellschaft. Die Frage der Weltgesellschaft und ihren Systemcharakter werden wir am Schluß aufwerfen. Denn in keinem Fall wird man davon ausgehen können, daß heutige Gesellschaften bereits als Subsysteme eines Systems Weltgesellschaft betrachtet werden könnten oder müßten, sosehr das Denken in Weltmaßstab Gebot der Stunde ist. Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft geht bekanntlich vor allem auf Hegel zurück. Wir werden seiner Staatsphilosophie eine eigene kritische Betrachtung widmen (§ 16), was nach der Entwicklung der eigenen systemtheoretischen Gesichtspunkte umso leichter fällt, als diese Hegels Denken nicht fremd sind.
    1. Staat im neuzeitlichen Sinn stellt ein gebietskörperschaftliches Gesamtsystem dar, in dem eine Bevölkerung (Gesellschaft) unter ein durch physische Macht durchsetzbares Normensystem formell integriert ist, und zwar derart, daß erst durch solche Integration Gesellschaft selbst zu System wird. "Gesellschaft" ist ohne normative Systembildung eine gedankliche Hypostasierung. Erst als staatlich institutionalisierte kann sie als Inbegriff der innerstaatlichen Pluralität, als "System allseitiger Abhängigkeit"191, "System der Bedürfnisse"192 sowie als Inbegriff freigesellschaftlichen Lebens im Unterschied zum staatlichen Amtshandeln gelten. Diese Feststellung ergibt sich unmitttelbar aus unserem Systembegriff, für den metakommunikativ-normativer Abschluß wesentlich ist. Zumindest gilt dies für die staatlich ausgegrenzte Gesellschaft, deren genauere Bedeutungen wir im folgenden analysieren werden.
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    Man mag Kulturkreise und Sprachgemeinschaften als informelle Gesellschaften und Systeme ansprechen können – ein Gesichtspunkt, der vielleicht nicht unfruchtbar ist, Auch hier gilt jedoch, daß Gesellschaft erst durch normativen Abschluß mehr als ein Abstraktionsprodukt, nämlich ein Sozialsystem darstellt. Nicht alle formellen, d. h. institutionalisierten Gesellschaften sind mit dem Gesagten zu Staaten erklärt, z. B. nicht institutionelle Religionsgemeinschaften. Deshalb wurden zur Bestimmung von Staat noch das Territorium sowie durch physische Macht durchsetzbare Normen (Recht) als Kriterium genannt.
    Worauf es jedoch ankommt: Unser Systembegriff schließt es – anders als der von N. Luhmann193 – aus, den Staat lediglich als organisierendes Subsystem eines primär als Gesellschaft angesetzten Systems zu verstehen. Auf die Berechtigung und Möglichkeit, Statt auch organisationssoziologisch als eine gesellschaftliche Institution unter vielen zu sehen, kommen wir weiter unten (unter 4.) zu sprechen. Wenn man Gesellschaft als das Ganze einer staatlich institutionalisierten Bevölkerung versteht, "dann ist das Verhältnis der Gesellschaft zum Staat nicht das von Gesellschaft zu einem Teilsystem (Organisation), sondern das von Totalitäten mit verschiedener Charakteristik".194 Nun gibt es, nach dem über Subsysteme Ausgeführten, zwei Betrachtungsweisen, diese verschiedene Charakteristik zu fassen:
    1. Das Gesamtsystem Staat kann im Hinblick auf die iterative Reflexion und umfangslogische Integration der ihm "untergeordneten" korporativen Subsysteme, also der Gruppen und Institutionen, einschließlich der Ortsgemeinden und sonstigen untergeordneten Gebietskörperschaften, die zu seinem Territorium gehören, betrachtet werden. In dieser Betrachtungsweise ist "Gesellschaft" der Ausdruck für ein Konglomerat von sozialen Gebilden, die ein "System allseitiger Abhängigkeit" bilden, ein System im strengen Sinn aber erst dadurch, daß sie im Staat integriert sind: Er ist das sie alle umfassende Gebilde (quantitativ) und hat die rechtliche Kompetenzenkompetenz. Zugleich sind die "untergeordneten" Einheiten jedoch koexistent mit ihm, so daß sich hier die Frage der Verteilung der Kompetenzen (z. B. zwischen Familie und Staat, Gemeinden und Staat, freien gesellschaftlichen Trägern und Staat) stellt: 
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    der Gesichtspunkt des Subsidiaritätsprinzips. Wir hatten schon darauf hingewiesen, daß hier die Frage wesentlich wird, ob die betreffenden Subsysteme darin aufgehen, Subsysteme zu sein, also im Grunde untergeordnete organisatorische Formationen des Staates selber sind, und wieweit sie ein nicht auf den Staat hin verzweckbares Eigenrecht haben (§ 10), wie es zweifellos nicht nur für die Familie, sondern grundsätzlich für alle spontanen und nicht nur zweckrationalen Gemeinschaftsbildungen zutrifft – wenn man Staat als Rechtsstaat versteht. Wir haben nicht die Absicht, diese sozialethische Frage von erheblicher staatsrechtlicher Tragweite hier zu vertiefen, sondern lediglich: auf die Bedeutung des grundlegenden Staatsverständnisses für sie aufmerksam zu machen. Wenn man den Staat in einem noch näher zu erläuternden Sinn konsequent als Rechtsinstitution versteht, dann bedeutet schon dies - vor aller weiteren Bestimmung von Staatszweck und Gemeinwohl – den Verzicht des Staates auf Totalität, also auf umfassenden Gemeinschaftscharakter. Recht ist eine partielle Integrationsform, und daraus folgt, daß der Staat nicht einfach "das Ganze" dessen ist, was er integriert. Hierin liegt ein Paradox und keine Selbstverständlichkeit. Es ist das Paradox des pluralistischen Rechtsstaates, wie sich im folgenden deutlicher zeigen wird: Denn der Staat ist einerseits das Gesamtsystem, das er integriert; jedoch, indem er es nur partiell integriert (nur im Recht, nicht in Sittlichkeit, Religion, usw.), ist er das Ganze nur partiell. In diesem Gedanken liegt eine bisher nicht behandelte systemtheoretische Figur, die uns Anlaß gäbe, über Integrationsmedien und ihre Begründung in systematisch aufzufindenden Sinnfunktionen zu handeln, worauf wir in diesem Rahmen verzichten müssen.195 Die neue Figur besagt: ein Systemganzes kann ein nur partiell Ganzes sein. Dies trifft auf den Staat im modernen Sinn zu, der nicht integrales Gemeinwesen ist (es sei denn im der pervertierten Form eines totalitären Staates). Das bedeutet für unseren Zusammenhang, das Verhältnis des Ganzen zu seinen Subsystemen: soweit diese nicht als Organe des Staates selbst zu betrachten sind, gehen sie nicht in ihm auf. Sie sind zwar, bildlich gesprochen, in ihm gebündelt und er macht sie zum Ganzen, aber sie stehen über. Das ist freilich, wegen eines anderen Rechtsverständnisses, nicht secundum Hegel (vgl. § 16).
  • Der andere Gesichtspunkt, Staat um Hinblick auf Subsysteme sowie in seinem Verhältnis zu "Gesellschaft" zu betrachten, ist derjenige der strukturellen Subsysteme. Aus dieser Sicht stellt Staat nicht nur ein kategoriales Novum, sondern ein Unicum dar, das lediglich außerhalb seiner 
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    territorialen Grenzen etwas anderes als sich findet, hauptsächlich andere Staaten. Denn die Subsysteme sind in dieser Betrachtung ganz und gar solche des einen Systems Staat: jeweils das Ganze, von einer dominierenden Handlungsebene her gesehen bzw. für sich real ausdifferenziert. Was die reale Differenzierung angeht, die wir oben für legitime Integration postuliert haben (§ 13), so gibt sie – wie unter (3) genauer sichtbar werden wird – das Maß des freigesellschaftlichen Lebens im Unterschied zum staatlichen Amtshandeln an bzw. umgekehrt: Im Maße als das staatliche Amtshandeln dem Handeln von Privatpersonen sowie gesellschaftlichen Gruppen und Institutionen Raum läßt, differenzieren sich seine strukturellen Subsysteme real aus. Dann nämlich können diese ihre jeweilige Eigengesetzlichkeit entfalten. Im anderen Fall wird vom Integrationssystem her (das leider nicht immer Rechtssystem im normativen Sinn sein muß) das Ganze der gesellschaftlichen Vorgänge beherrscht, die eben dadurch nicht mehr vom Staatshandeln unterscheidbares gesellschaftliches Handeln darstellen. Das Integrationssystem selbst aber wird – nach dem uns bekannten circulus vitiosus, sed realis – von der wirtschaftlichen und politischen Macht beherrscht.
    Hierin zeigt sich bereits der Zusammenhang zwischen den beiden Arten, den Staat im Verhältnis zu Subsystemen zu betrachten: Was Subsidiarität in bezug auf korporative Subsysteme heißt, bedeutet reale Differenzierung in bezug auf die strukturelle Systemebenen des Staates selbst. Der letztere, im engeren Sinn staatstheoretische Gesichtspunkt kann den anderen, mehr gesellschaftstheoretischen Gesichtspunkt interpretativ stützen und umgekehrt. Struktureller Pluralismus (reale Differenzierung, wovon sich Gewaltenteilung als nur ein Aspekt, der des Amtshandeln, erweisen wird) bildet sich durch korporativen Pluralismus der mit dem Staat koexistenten und auf ihn unreduzierbaren Subsysteme. Anders ist die jeweilige Eigengesetzlichkeit von Wirtschaft gegenüber Politik, gegenüber Kommunikation und Kultur, gegenüber Recht und Weltanschauung nicht zu erreichen, sondern eine juristische Farce.
    Der strukturelle Gesichtspunkt, nach welchem der Staat als innerhalb seiner Grenzen konkurrenzloses Unicum erscheint, eignet sich, auf die Frage einzugehen, wo der systemtheoretische Staatsbegriff heute seine eigentliche Anwendung findet, wo Staat verwirklicht ist. "Der auf die Nationalstaaten der Zeit vor 1914 zugeschnittene Staatsbegriff beginnt sich aufzulösen. Die Staatlichkeit schichtet sich in mehrere Ebenen auseinander, von der 
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    Ortsgemeinde über höheren Gemeindeverband, Gliedstaat, Bundesstaat, Europäische Gemeinschaft, Atlantische Gemeinschaft bis hin zu den UN, und fächert sich vielfältig auf in zwischen- und überstaatliche Gebilde und solche, die sich keiner dieser beiden Stufen eindeutig Ortsgemeinde über höheren Gemeindeverband, Gliedstaat, Bundesstaat, Europäische Gemeinschaft, Atlantische Gemeinschaft bis hin zu den UN, und fächert sich vielfältig auf in zwischen- und überstaatliche Gebilde und solche, die sich keiner dieser beiden Stufen zuordnen lassen. Was wir, in den Vorstellungen des 19. Jahrhunderts befangen, philosophisch vom Staat auszusagen pflegten, haben wir daher heute auf eine Vielzahl von Gebilden zu erstrecken oder aufzuteilen." 196 Was übernationale Verbände angeht, so dürfte O. v. Nell-Breuning hier leider seiner Zeit vorausgeeilt sein, da auf dieser Ebene durchsetzbares Recht noch fast gänzlich fehlt und somit die Systemeinheit, die wir meinen, wenn wir von "Staat" sprechen. Daß sich das nationalstaatliche Autonomiebewußtsein langsam offiziell aufzulösen beginnt, trägt nur Tatsachen Rechnung, die seit Jahrtausenden in anderer Weise auch schon gegeben waren. Geht man jedoch nicht von der nationalistischen Autonomiefiktion aus (die in jenem bürgerlich-monologischen Freiheitsverständnis von Freiheit als Selbstbestimmung gründet), sondern versteht Staat von einem Systembegriff her, für den Umweltbeziehungen gerade zu den Regulierungsfunktionen systematischer Einheit gehören, dann müssen die alten Nationalstaaten und noch mehr die neuen nach wie vor als die staatlichen Systeme schlechthin gelten. Man wird den Selbsterhaltungstrieb selbst derjenigen nationalen Systeme nicht unterschätzen dürfen, die kulturell gesehen vielleicht Subsysteme einer einzigen europäischen Kulturgemeinschaft darstellen. Paradoxerweise werden die politischen Systeme ihre Fortexistenz als Gesamtsysteme gerade mit der Wahrung der nationalen Kulturwerte zu legitimieren suchen.
    Was Ortsgemeinden, Kreise, "Gliedstaaten" angeht, so haben sie nicht die Einzigkeit der konkurrenzlosen Rechtshoheit, die sich mit Recht die Nationalstaaten zuschrieben (nur falsch als Autonomie interpretierten) und die sie noch immer als rechtlich-politische Gesamtsysteme auszeichnet. Gerade im Blick auf die gebietskörperschaftlichen Subsysteme stellt sich die Frage, wieweit sie mehr sind als eben organisatorische Subsysteme des einen Staates. Die Zwangseingliederungen von Städten und Gemeinden, die in den letzten Jahren in der Bundesrepublik vor sich gegangen sind, zeigen die Funktionalisierung von Gebietskörperschaften auf die Länder hin, deren Föderalismus seinerseits kaum mehr als eine mehr oder weniger nützliche Weise der Kompetenzverteilung innerhalb des Gesamtstaates darstellen. Das erwähnte Beispiel mag vom Standpunkt der Subsidiarität sowie der Nähe des Bürgers zum Staat in vielen Fällen bedenklich sein, es spricht aber nicht für Identifizierungsschwierigkeiten in bezug auf Staat als Gesamtsystem.
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    2. Das spezifische Integrationsmedium des modernen, pluralistischen Staates ist das Recht. Seine Normen sind Rechtsnormen. Wir haben sie oben "mit physischer Gewalt durchsetzbare Normen" genannt, somit zunächst einen positivistisch-relativistischen Rechtsbegriff gelten lassen. Man mag in diesen noch innere Anerkennung von Seiten der Rechtssubjekte aufnehmen, um Legalität von Illegalität zu unterscheiden. Erst die Idee vom legitimen Recht aber geht über den Rechtspositivismus hinaus und bringt vernunft- oder freiheitsrechtliche Maßstäbe mit. Sie wurde von I. Kant in einer klassischen und – trotz allen Vergessens – immer noch gültigen Weise formuliert: "Der Begriff aber eines äußern Rechts überhaupt geht gänzlich aus dem Begriffe der Freiheit im äußeren Verhältnisse der Menschen zu einander hervor; und hat gar nichts mit dem Zwecke, den alle Menschen natürlicher Weise haben (der Absicht auf Glückseligkeit), und der Vorschrift der Mittel, dazu zu gelangen, zu tun: ... Recht ist die Einschränkung der Freiheit auf die Bedingung ihrer Zusammenstimmung mit der Freiheit von jedermann, insofern diese nach einem allgemeinen Gesetze möglich ist; und das öffentliche Recht ist der Inbegriff der äußeren Gesetze, welche eine solche durchgängige Zusammenstimmung möglich machen. Da nun jede Einschränkung der Freiheit durch die Willkür eines anderen Zwang heißt: so folgt, daß die bürgerliche Verfassung ein Verhältnis freier Menschen ist, die ... doch unter Zwangsgesetzen stehen: weil die Vernunft selbst es so will."197 Die moderne Idee von Recht, die sich von Religion und sittlicher Wertung differenziert hat, geht, sozusagen von rechts wegen, von einem individualistischen Standpunkt aus, der dem des strategischen, interessegebundenen Handeln entspricht. Das Recht sucht die Interessen sowie die Freiheit des Einzelnen mit derjenigen aller Einzelnen in Einklang zu bringen. Recht ist Regel der Zusammenstimmung der Freiheiten, nur dort, wo sie sich negativ begrenzen: im äußeren Handeln und in bezug auf Dinge. Dort aber können sie sich auch zwingen, und daher ist wirksames Recht mit Zwang verbunden. Die Gesinnungen und Wertungen als solche interessieren im Recht, strenggenommen, nicht – sosehr etwa ein Richter sie zur Beurteilung einer äußeren Tat mit in Betracht ziehen muß und sosehr sie die individuelle wie kollektive Motivierung zur Rechtlichkeit hergeben. Aber sie gehören selbst einer tieferen Sphäre der sozialen Freiheit an. Kant hat Sozialität, Kommunikation, Liebe, selbst Sittlichkeit nicht adäquat thematisiert. Man kann ihm mit Individualismus und Formalismus vorwerfen (wie Hegel es tun wird). Aber das ändert nichts an der Gültigkeit seiner Rechtsidee, sofern diese in das Gesamt sozialer Beziehungen eingeordnet wird. Die Beschränkung, die ihr Kant anhaftet, ist die ihr sachgemäß anhaftende. Ihre Abschaffung, statt Einordnung, kennt man als lautstarke oder papierene Sozialromantik.
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    Der moderne Rechtsstaat ist der Idee nach dadurch gekennzeichnet, daß er nicht unter anderem auch Recht befolgt und spricht sowie die Rechtskompetenzen (im Rahmen vernunftrechtlicher Normen) zu verteilen und notfalls – als einzige Instanz – mit physischer Gewalt zu erzwingen befugt ist, sondern daß seine formelle Integration wesentlich und ausschließlich durch rechtlich fixierte Normen erfolgt, die ihrerseits auf jener Rechtsidee ausgerichtet sind. Der informelle Grundkonsens kann weiter reichen als seine grundgesetzliche Festschreibung. Aber die materiale Füllung der Rechtsidee durch Wertentscheidungen muß verfahrensrechtlich geregelt sein (§ 15). Auch der Sozialstaat-Gedanke stellt lediglich die dynamisierte, d. h. an Recht als Gerechtigkeit, nicht nur als Legalität, orientierte Fassung des Rechtsstaats-Gedankens dar. 198 Rechtsstaatlichkeit besagt eo ipso Pluralismus in bezug auf Weltanschauung und sittliche Wertungen, die über einen minimalen Grundkonsens sowie über rechtsstaatlich getroffene Gesetzesentscheidungen hinausgehen. In der Notwendigkeit wertender Entscheidungen liegt ein Problem für den Rechtsstaat, das Kant nicht scharf gesehen hat und wodurch er sich als Liberalist alter Prägung erweist.199 Ebenso hat ihn die anscheinende Selbstverständlichkeit einer materialen Füllung der Rechtsidee (aufgrund seiner Verwurzelung in einer noch traditionalen Gesellschaft) zu sehen gehindert, daß die Gründung des Staates einzig auf dem Recht zu einem Pluralismus nicht nur der individuellen Wertungen (Arten, "seine Glückseligkeit zu besorgen", sondern ganzer Gruppen und Bevölkerungsschichten führt.
    Recht und informelle Legitimationsgehalte konstituieren das integrierende, metakommunikative Subsystem des Staates – und damit den Staat. In gewissem Sinn ist der Staat dieses integrative System: als mit Macht ausgestattete Rechtsinstitution. In dieser Bedeutung wird Staat nicht als (partiell integrierte, also selbst partielle) Totalität verstanden wie unter (1), sondern als das Integrationssystem des Ganzen, der staatlichen Gesellschaft, womit "Gesellschaft" wiederum eine andere Bedeutung hat. Nur muß erneut beachtet werden, daß das gesellschaftliche Ganze ohne die 
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    staatlich-rechtliche Integration kein Systemganzes wäre – es sei denn, man würde von der utopischen bzw. totalitären Vorstellung einer vorrechtlichen bereits integrierten "gesellschaftlichen Gemeinschaft" ausgehen, die sich zusätzlich rechtlich organisiert. Es handelt sich um "die dialektische These, daß ein Teil sein Ganzes zur Konsequenz hat, nicht aber um die These, daß ein Teil, der vollkommen ist, das Ganze sei. Es ist umgekehrt: nur das Ganze ist vollkommenes, und Ganzes steht zum Teil in der Relation, Erfüllung des Teiles zu sein."200
    3. Vom Staat als Rechtsinstitution her begründet sich nun staatliches Amtshandeln (vgl. § 9). Wir kommen damit zum Gesichtspunkt der strukturellen Subsysteme zurück. Von ihm her ist es sinnvoll, auch Gesellschaft als in die strukturellen Subsysteme gegliedert, also nicht nur – wie in der Betrachtung des Staates im Verhältnis zu seinen korporativen Subsystemen – als ein für sich selbst einheitsloses Konglomerat anzusehen. Es wurde bereits ausgeführt, daß deren reale Differenzierung vom Ausmaß des freigesellschaftlichen Handelns abhängt. Gesellschaftliches und staatliches Handeln bilden gemeinsam die Subsysteme der staatlichen Gesellschaft, so daß die Differenzierung dieser von der Differenzierung jener beiden Handlungsarten abhängt. Der Staat systematisiert die Gesellschaft, indem er sich von ihr und damit sich selbst differenziert:201
    1. Wirtschaftssysteme
    Gemeint ist hier der ganze Zusammenhang des physischen Handelns, des "Stoffwechsels mit der Natur": Wirtschaft, Technik, Gesundheitswesen, Verkehrswesen, Sicherheitssystem. Im Hinblick auf staatliches Amtshandeln kann man von Wirtschaftsstaat sprechen. Sofern wirtschaftlicher Pluralismus besteht ("freie Marktwirtschaft" im Unterschied zur Zentralverwaltungswirtschaft) steht diesem eine Wirtschaftsgesellschaft gegenüber, die aber in doppeltem Sinn erst durch den Staat Systemcharakter bekommt: einmal, sofern Wirtschaft nur als Systemebene eines Ganzen selbst Subsystem ist; zum anderen durch das staatlich-amtliche Handeln, das sich unmittelbar auf Wirtschaft bezieht: Geldwirtschaft, Wirtschaftsgesetzgebung, eigene staatliche Betriebe, regulierende Maßnahmen. Regulierung widerspricht nicht dem freigesellschaftlichem Handeln, sondern systematisiert dieses erst (was vom klassischen Wirtschaftsliberalismus nicht gesehen wurde). Andererseits verliert ohne freigesellschaftliches Handeln, wie schon hervorgehoben, das Wirtschaftssystem seine Eigengesetzlichkeit. 
     
     
     
     
     
     
     
    Machtpolitische Gesichtspunkte können diese wirtschaftliche Sachlichkeit empfindlich stören. Wo Wirtschaft zum Mittel der Machtpolitik wird, nimmt sie im Grund militärischen Charakter an. Das Militär ist nichts anderes als die institutionalisierte physisch-technische Macht im Dienst der Politik, da es potentiell der Regierungsexekutive zur Verfügung steht. Für Polizei ist umso wichtiger, daß sie normalerweise nur der Verwaltungsexekutive untersteht. (Vgl. die späteren Bemerkungen zur Gewaltenteilung).
  • Politisches System
  • Politisches Handeln ist strategisches, selbstinteressiertes Handeln von öffentlicher Bedeutung. Sofern es nicht das Handeln von Individuen im eigenen Interesse, sondern im Interesse von Gemeinwesen ist, schließt diese Definition nicht die Behauptung von persönlichem Egoismus des Politikers ein. Gerade hierin liegt für diesen eine existentielle Dialektik: der politische Instinkt für die Durchsetzung von Interessen, somit für Macht, kann und sollte mit persönlicher Selbstlosigkeit, mit einem Ethos des Dienstes für ein soziales Ganzes einhergehen. Beauftragtes politisches Handeln gibt es auf allen Ebenen. Gegenüber dem staatlichen politischen Amtshandeln bleibt es Privatinteresse und Gruppeninteresse. – Sofern es einen politischen Pluralismus der Willensbildung und Entscheidungsfindung im Staat gibt (besonders, aber keineswegs ausschließlich als Parteienpluralismus) kann man von einer politischen Gesellschaft sprechen, während der politische Staat im engeren Sinn aus dem Amtshandeln der Regierungsexekutive sowie ihren Institutionen besteht. Im weiteren Sinn kann man "politischen Staat" das ganze Subsystem politischen Handelns nennen, das auf die Selbsterhaltung und Entwicklung sozialer Systeme (Subsysteme, Staat, andere Staaten) gerichtet ist. Die Probleme, die sich mit dem selten klar gefaßten Begriff des Politischen sowie mit dem Verhältnis des politischen Subsystems zu den anderen verbinden, sind Legion. Die Öffentlichkeit nimmt fast nur bei kulturellen Ereignissen von großer Publizität (z. B. Olympiaden) davon Kenntnis, daß in der Differenzierung des Politischen von den wirtschaftlichen wie kulturellen Sachbereichen und Subsystemen ein Grundproblem der modernen Gesellschaften liegt.
  • Kommunikation- und Bildungssystem
  • Die Unterscheidung zwischen freigesellschaftlichen und staatlich-amtlichen Handeln in bezug auf Bildung, Erziehung, Information (die nicht gleich Kommunikation, aber ein vorausgesetztes 
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    Moment dieser ist), Kulturschaffen sowie die primäre zwischenmenschliche Kommunikation berührt unmittelbar das umrissene Problem des Rechtsstaats. Man kann im Blick auf diese Handlungsebene von Kulturgesellschaft (gesellschaftlicher Kommunikation in kulturellen Werten) bzw. Kulturstaat sprechen. In der Verfassung des "Freistaates" Bayern z. B. ist Kulturstaatlichkeit grundgesetzlich verankert. Würde allerdings "Kulturstaat" auf derselben Ebene wie "Rechtsstaat" angesetzt, würde dies zu einem Widerspruch führen: Ein Staat ist entweder primär im Recht oder in kulturellen Werten integriert und im letzteren Fall Weltanschauungsstaat. Der Kulturauftrag des Staates kann mit Rechtsstaatlichkeit im unter (2) erörterten Sinn nur so verbunden werden, daß kulturelle wie sittliche und religiöse Wertentscheidungen zwar verfahrensrechtlich vorgesehen und geregelt sind, das primäre und formelle Integrationmedium des Staates jedoch allein das Recht bleibt. Weitere Probleme, die in bezug auf das Subsystem Kommunikation und Bildung zu diskutieren wären, sind: Schulaufsicht des Staates und Elternrecht, Lehrfreiheit und Status der Universitäten, Status der Massenmedien Presse, Rundfunk, Fernsehen sowie der Meinungsforschungsinstitute, Durchlässigkeit der Meinungs- und Willensbildung, sowie Rückkoppelung der gesetzgebenden Organe an diese.
  • Integrationssysteme (Rechtswesen)
  • Vom System des Rechts sowie informeller Legitimationsinhalte war bereits die Rede, sofern dieses normative System staatskonstituierend ist. Hier begegnet es uns wieder unter dem Gesichtspunkt der iterativen Systemreflexion des schon konstituierten Staates: als Normenüberwachung, -setzung und –wandel. Nach der staatlich-amtlichen Seite besteht diese im Rechtswesen. Die gesellschaftlichen Normen gehen allerdings weit über das Recht hinaus: als Umgangsformen, sittliche Anschauungen, Traditionen, Bräuche, auch als Geschichts- und Nationalbewußtsein der gesellschaftlichen Gemeinschaft (Nation) als ganzer. Im letzteren kann eine informelle Systemintegration, ein nationales Identitätsbewußtsein, liegen, auf die ein Staat nicht ganz verzichten kann, das allerdings nur zum Schaden der Rechtsstaatlichkeit (besonders im Blick auf ethische Minderheiten) durch Gesetzgebung und Rechtsprechung formell urgiert werden kann. Die Differenz von staatlich sanktioniertem Recht (Rechtsstaat) und gesellschaftlich-pluralistischem Normbewußtsein ist wesentlich für die Differenzierung des Normensystems von dem der Kommunikation (entsprechend der obigen allgemeinen Feststellung, daß die Differenz von gesellschaftlichem und staatlichem Handeln die Differenzierung der Subsysteme ermöglicht und bewirkt). – Die Unterscheidung zwischen öffentlichem und privatem Recht spiegelt innerhalb des Rechts die Unterscheidung von Maßnahmen amtlicher Stellen bzw. Handeln ihnen gegenüber und Handeln zwischen Privatpersonen. Die Überwachung beider Rechtssphären liegt aber in den rechtsstaatlichen Demokratien fast ausschließlich in staatlichen Händen.
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    Eine abschließende Bemerkung zu den hier unterschiedenen strukturellen Subsystemen von Staat: Daß es sich bei diesen Unterscheidungen nicht um bloß analytische Abstraktionen, sondern um mehr oder weniger real ausdifferenzierte Systemebenen handelt, zeigt sich unter anderem daran, daß wirtschaftlicher, politischer, kultureller und weltanschaulicher Pluralismus zwar ein Affinität zueinander haben, jedoch keiner dieser Pluralismen notwendig mit einem oder allen anderen verknüpft ist. Es wäre interessant, die theoretischen Möglichkeiten eines solchen Schichtenmodells durchzuspielen und nach geschichtlichen Realisierungen zu fragen. In mittelalterlichen Gemeinwesen gab es z. B. wirtschaftlichen Pluralismus bei rechtlich-religiösem Monismus (Monopolismus), dies allerdings mit einer für das Abendland wichtigen personellen Differenzierung zwischen weltlicher und geistlicher Führung, also Systemintegration, die bereits den Keim der späteren realen Differenzierung von Recht und Religion enthielt. Heute besteht dagegen in östlichen Ländern ein eigentümliches Junktim zwischen wirtschaftlichem und weltanschaulichem Staatsmonopol, die sich gegenseitig zu legitimieren suchen. Ein wirtschaftlicher Staatsmonopolismus (Zentralverwaltungswirtschaft) bei politischem, kulturellem und weltanschaulichem Pluralismus wurde bisher noch nirgends verwirklicht, obwohl manchen dies unter den vieldeutigen Titeln "Sozialismus" und "Kommunismus" (ohne Phase der Diktatur des Proletariats) vorzuschweben scheint. Vieles spricht dafür, daß Pluralismus auf die Dauer unteilbar ist, d. h. nur als Pluralismus von Pluralismen konsequent durchführbar: als struktureller Pluralismus der korporativen Pluralismen auf der strukturellen Ebene. Die Vernachlässigung der hier versuchten, aber bei weitem nicht ausgewerteten Unterscheidungen stiftet in Theorie und Praxis großen Schaden. Schon allein der unüberschaubare Stellungskrieg um die eben genannten Vokabeln, die weder von Anhängern noch Gegnern dieser Plakate in ihrer jeweiligen Bedeutung präzisiert werden, zeigt eine Herrschaft des Politischen über Kommunikation (einschließlich Diskurs), eine Undifferenziertheit beider, die man in der Psychologie Infantilität nennen würde; und dies im Zeitalter hochspezialisierter politischer Wissenschaften.
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    4. Wir kommen zu einer weiteren Bedeutung von "Staat" in seinem Verhältnis zur Gesellschaft. Mit ihr tragen wir dem Gesichtspunkt Rechnung, daß der Staat ein Organisationssystem innerhalb von Gesellschaft zu sein scheint, ohne daß wir deshalb den Fehler begehen, den Staat einem angeblich vorstaatlichen System Gesellschaft unterzuordnen. Das Reflexionssystem (Wesen) Staat trifft auf der Ebene der Erscheinung, d. h. der objektiven Unmittelbarkeit, mit staatseigenen Institutionen, Gebäuden, Besitztümern auf. Er tritt damit äußerlich-unmittelbar (organisations-soziologisch) auf die Ebene der sonstigen gesellschaftlichen Institutionen: Rathaus und Schule neben Privathäusern sowie dem Bürohaus einer Aktiengesellschaft. Die erscheinende Unmittelbarkeit besteht nicht allein in staatseigenem Besitz, sondern auch als Handeln: Amtshandeln als beauftragtes Handeln für das Systemganze. Es erscheint äußerlich-unmittelbar wie anderes Handeln, sosehr man es deshalb seit alters her gern durch symbolische Formen verklärt: weil es eine andere (reflexionslogische) Bedeutung hat als privates Handeln. Für einen organisationssoziologischen Positivismus könnte es schwer sein, zu verstehen, daß nicht aufgrund dieser Beobachtungen Staat einfachhin zu einem Phänomen innerhalb der umfassenderen "Gesellschaft" erklärt werden kann. Für uns läge das Problem dann eher im ens rationis "Gesellschaft". Nach dem Angeführten haben wir es nicht: Die reflexionslogische Unterscheidung von Wesen und Erscheinung, in der Wesen genau Reflexionssystem besagt, löst es, bevor es entsteht.202
    Bei Hegel ist Gesellschaft überhaupt als Sphäre der Erscheinung des sittlichen Wesens, des Staates, verstanden.203 Im Hinblick auf die hier gemeinten Objektivierungen des staatlichen Wesens spricht er, entsprechend seiner Terminologie in der "Wissenschaft der Logik" von der "Objektivität" und bezeichnet diese als den "eigentlich politischen Staat und seine Verfassung" 204, also in einem etwas anderen Sinn, als wir vorhin vom politischen Staat (im weiteren Sinn als das politische Subsystem, im engeren Sinn als das politische Amtshandeln) sprachen. Auf die Hintergründe dieser Bedeutungsverschiebung gehen wir in § 16 ein. Immerhin besteht eine enge Beziehung zwischen den beiden Bedeutungen von "politischem Staat", und zwar deshalb, weil auf der Ebene der erscheinenden Objektivität von staatlichen Einzelinstitutionen die Gewaltenteilung anzusetzen ist.
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    Es hätte einen Sinn, die Gewaltenteilung unmittelbar mit den strukturellen Subsystemen zu verbinden, so als gäbe es für jedes eine eigene Gewalt. Denn diese haben es mit dialektisch ineinander verschlungenen Handlungsebenen sowie der Eigengesetzlichkeit von Sachbereichen zu tun. Bei der Gewaltenteilung handelt es sich dagegen um einen formalen Machtgesichtspunkt, d. h. um die Frage, wie sich Amtsmacht in bezug auf das integrierende System des Staates, in bezug auf die Gesetze, verhält. Unter diesem Gesichtspunkt kommen die Reflexionsstufen mittelbar wieder zum Zuge, nämlich:
    1. als die Macht, Gesetze technisch-praktisch anzuwenden: die Verwaltung-Exekutive (wozu auch die einfache Rechtsprechung qua Rechtsanwendung gehört),
  • als die Macht, Entscheidungen zu fällen, die nicht gesetzlich festgelegt sind: die politische Exekutive (Regierung)
  • als die Macht, über Gesetze zu beraten und sie zu beschließen: gesetzgebende Gewalt (Legislative),
  • als die Macht, die Gesetzesausführung (a) bzw. Gesetzeskonformität (b und c) zu überwachen und, selbst rechtssetzend, Gesetze zu interpretieren: rechtsprechende Gewalt (Judikative).
  • Diese Theorie der Gewaltenteilung sollte hier lediglich als weitere Perspektive einer Reflexions-Systemtheorie umrissen werden, ohne sie mit den überlieferten Gewaltenteilungstheorien in der Verfassungswirklichkeit der westlichen Demokratien zu vergleichen. Dies erforderte ein eigene Studie. Nur auf Hegels Position werden wir noch stoßen, die in diesem Punkt stark abweicht. – Es kommt in bezug auf unseren Vorschlag darauf an, den einheitlichen und mit den Subsystemen gemeinsamen Gesichtspunkt der Reflexionsstufen zu erfassen, aber die gegenüber den Subsystemen veränderte Perspektive: das formale Verhältnis der material den Subsystemen angehörigen Handlungen zum Integrationssystem, den Gesetzen.
    Gewaltenteilung ist in bezug auf die unmittelbare Amtsmacht Einzelner die juristisch-formale Regelung dessen, was reale Systemdifferenzierung in bezug auf die Systemmacht (darin eingeschlossen das nicht amtliche und doch mächtige Handeln) bedeutet. Die Verwirklichung dieser setzt jene voraus, geht aber weit über sie hinaus.
    5. Schließlich muß in Betracht gezogen werden – und die stellt möglicherweise die politisch brennendste Perspektive dieser systemtheoretischen Bemerkungen dar - , daß man heute von einer Weltgesellschaft sprechen kann. Die Frage ist: in welchem Sinn? Es handelt sich 
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    selbstverständlich um eine nicht nur theoretisch-kategoriale, sondern um eine empirische Frage, die nur mit empirischen Daten und Untersuchungsmethoden beantwortet werden kann. Dabei heißt "nur mit empirischen Daten" nicht "allein mit empirischen Daten". Wie im allgemeinen, so ist es auch hier unersetzliche Aufgabe der Sozialtheorie, den empirischen Sozialwissenschaften Kategorien zu liefern und vernünftige Fragen an sie zu stellen. Auf dem Hintergrund des Erarbeiteten ergeben sich folgende Fragen in bezug auf Weltgesellschaft:
    1. Ohne Zweifel gibt es heute weltweite Informationen, Interessenverflechtung, wechselseitige Abhängigkeit, auch eigentliche Kommunikation zwischen Einzelnen und Gruppen über alle Staatsgrenzen hinweg. Man wird – von so bedeutenden Einschränkungen wie etwa China abgesehen – im Hinblick auf die allseitige Abhängigkeit von einer faktischen Weltbevölkerung sprechen müssen: Bildet diese Weltbevölkerung jedoch schon ein soziales System mit irgendeiner Integration, der mehr Realität zukommt als soziologische Abstraktionen?
  • Sicher wird man auch von einem "System" im Sinne eines Interessen- und Machtsystems, bestenfalls vergleichbar mit dem System einer Konstellation von Schachfiguren sprechen können. Bildet ein solches Geflecht von Macht- und Interessekonstellation jedoch schon ein spezifisches soziales System? Von einem Handlungs-Systembegriff, der sich durch metakommunikative Reflexion in Einheit her definiert, kann die Antwort nur lauten: nein. Das Typische besteht in dem Fall gerade in einem nicht-systematischen, strategischen Geflecht von Wechselbeziehungen, die man nur bei geringen systemtheoretischen Ansprüchen "soziales System" nennen wird.
  • Wahrscheinlich wird man heute von einem erwachenden weltweiten (nicht nur europäischen) Bewußtsein der allseitigen Angewiesenheit und der Zugehörigkeit zur einen Menschheit sprechen können – obwohl wir uns bei der Beurteilung dessen vor neuen Europäismen hüten müssen. (Es gibt ganze Serien von "Revolutionen", die das 19. Jahrhundert geistig überwinden wollen, indem sie seine Ideen reproduzieren – und die "Entdeckung der Einen Menschheit" könnte dazugehören). Man könnte, wenn man optimistisch ist, von einem weltweiten kommunikativen Bewußtsein sprechen: das Bewußtsein, zur einen Menschheit zu gehören und indirekt mit allen zu tun zu haben. Selbst wenn dieses Bewußtsein schon allgemein wäre, so wäre es noch nicht systembildend.
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  • Darüberhinaus gibt es die bekannten, aber bescheidenen Ansätze von formellen, rechtlichen Systembildungen: Völkerrecht, Vereinte Nationen mit ihren Suborganisationen – also Ansätze von Weltstaat. Es scheint aber absurd, heute zu behaupten, die Menschheit sei bereits weltstaatlich integriert. Eine formell integrierte Menschheit gibt es nicht. – So bleibt hier die Frage: Gibt es das System "Weltgesellschaft" als informell integriertes? Gibt es eine Art von weltgesellschaftlicher Metakommunikation, so daß man von einem gefüllten Systembegriff her die Weltgesellschaft als System ansprechen kann? Der Verfasser neigt dazu, diese empirische Frage derzeit zu verneinen, möchte sie aber offenlassen.
  • Wichtig wäre eine Antwort auf die Frage, ob die Bildung eines Systems Menschheit eher durch formelle Systembildung weltstaatlicher Art oder informell als gesellschaftliche Gesellschaft Chancen hat. Es sieht so aus, als ob auch auf Weltebene kein integriertes Gesellschaftssystem ohne staatlich-rechtliche Macht zustande käme. Theoretisch wäre hier eine informelle Systembildung leichter möglich als sonst: weil die Systemgrenzen fest vorgegeben sind. Doch selbst wenn sie gelänge, wäre auf formellstaatliche Institutionalisierung nicht zu verzichten, weil die Menschheit sonst das bliebe, was sie heute bereits in systemfreier Form ist und was Hegel von der bürgerlichen Gesellschaft, unter Absehung von der staatlichen Integration, sagte: "Die Rechnung des gesellschaftlichen Zustandes auf die unbestimmte Vervielfältigung und Spezifizierung der Bedürfnisse, Mittel und Genüsse, ... der Luxus, ist eine ebenso unendliche Vermehrung der Abhängigkeit und Not", ohne daß jedoch die altliberalistische Harmonieannahme zutrifft und "die subjektive Selbstsucht in den Beitrag zur Befriedigung der Bedürfnisse aller Anderen" umschlägt. 205
    "Es liegt im Interesse der partikulären Staaten, an der Verwirklichung einer organisierten Weltgesellschaft zu arbeiten, gerade um die geistigen Besonderheiten, die sie darstellen, zu retten." 206 Unter der Voraussetzung von Differenzierung seiner strukturellen Subsysteme braucht der Weltstaat keine Nivellierung der geistigen Individualität der nationalen Staaten, die in kultureller und religiöser Hinsicht ohnehin weitgehend Subsysteme sind, einzuschließen. Im Gegenteil, nur seine baldige geordnete Herbeiführung kann verhindern, daß kulturelle, geschichtlich gewachsene Individualitäten und kulturelle Werte um Kampf der Machtinteressen 
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    durch mehr oder weniger verhehlte physische Gewalt zerrieben werden. Von der anderen Seite her ermöglicht internationalstaatliche Differenzierung die zwangfreie Internationalisierung der Subsysteme, nicht durch Nivellierung, sondern aufgrund von Wahrung der nationalen Einheiten, die dann den Status je besonderer korporativer Konkretionen einer Weltgesellschaft einnähmen, deren Pluralismus die strukturelle Differenzierung von Weltstaat gewährleistete – und umgekehrt. Wenn irgendwo, so hat die sozialtheoretische Reflexion hierin heute der sozialpraktischen, systembildenden Reflexion nachzuhelfen. 
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    § 16: Zum Vergleich mit der Hegelschen Rechtsphilosophie
     
    Hegels Rechtsphilosophie bringt bereits eine Reflexions-Systemtheorie zur Darstellung. Mängel seiner Staatsphilosophie ergeben sich vor allem aus der Ineinssetzung von strukturellen mit korporativen Subsystemen. Diese gründet in der Ineinssetzung von Sozialität überhaupt mit Recht, und diese wiederum in Hegels Grundansatz von Dialektik.
    Nach dem Vorhergehenden sehen wir uns in der Lage, zu entscheidenden Grundzügen der Hegelschen Rechtsphilosophie kritisch Stellung zu beziehen. Wir werden nicht dem Chor derer beistimmen, die Hegel zum preußischen Staatsphilosophen abstempeln – als ob dies, selbst wenn es stimmte, ein philosophisches Argument wäre. 207 Ein Philosoph hat ein Recht darauf, daß man ihm auf seiner Ebene begegnet. Hegel entwickelte eine sozialphilosophische Reflexions-Systemtheorie, auch wenn ihm spezielle Fragestellungen der allgemeinen Theorie der Systeme aus der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts noch fremd waren. Dabei ist es von untergeordneter Bedeutung, daß er das Wort "System" ausdrücklich in Wendungen wie "System allseitiger Abhängigkeit", "System der Bedürfnisse" usw. im realsystematischen Sinn verwendet. Auch die Überzeugung, daß wissenschaftliche Wahrheit nur als System möglich sei, teilt er mit vielen anderen, besonders den großen Transzendentalphilosophen vor ihm. Was ihn auszeichnet, ist die Einsicht in die konstitutive Bedeutung der Reflexion für reale Systeme. Daß Hegel das Wort "Reflexion" dabei vornehmlich für die "Stufe der Differenz" 208 , der noch nicht zu ihrem Ende gekommenen Reflexion verwendet, kann nicht als Einwand gegen diese Feststellung gelten, ebensowenig wie der negative Gebrauch des Wortes "Reflexionsphilosophie" für die Transzendentalphilosophie seiner Vorgänger, die die methodische Selbstthematisierung der Reflexion nicht konsequent genug als spekulatives "reines Zusehen" zur inneren Selbstreflexion des Denkens durchgeführt haben.209 Ohne den Reflexionsgedanken bleiben Sätze wie dieser Mystizismus: "Der Staat ist die Wirklichkeit der sittlichen Idee, - an der Sitte hat er seine unmittelbare, und an dem Selbstbewußtsein des Einzelnen, dem Wissen und Tätigkeit desselben seine vermittelte Existenz, so wie dieses durch die Gesinnung in ihm, als seinem Wesen, Zweck 
     
     
     
    und Produkte seiner Tätigkeit, seine substantielle Freiheit hat." 210 Aber der Vorwurf des Mystizismus fällt zurück auf den, der ihn angesichts solcher Sätze erhebt, weil er über die Schwierigkeit, in objektivierender Sprache reflexive Sinnverhalte auszudrücken (vgl. § 5), ebensowenig aufgeklärt ist wie über diese Zusammenhänge.
    Eben weil es sich um rationale Sinnanalyse oder kategoriale Philosophie und nicht um Mystifizierungen handelt, ist Hegel auch argumentativ kritisierbar. Was selbstverständlich scheint, lohnt sich gelegentlich doch zu sagen: Es besteht nicht die Alternative, Hegel blind zu folgen oder seine Theorie pauschal abzulehnen. Im Sinne der Argumentation über entscheidbare Fragen, auf einem Terrain, das Hegel nicht fremd ist, geht es im folgenden vor allem um zwei Punkte einer Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie.
    1. Die Unterscheidung von quantitativer (iterativer) und struktureller Integration, also zwischen korporativer und struktureller Subsysteme in bezug auf das Ganze des Staates stellte sich in unserem Gedankengang als entscheidend wichtig heraus: nicht nur für eine Typologie von Subsystemen, sondern für das Verhältnis von Staat und Gesellschaft, für die Differenzierung beider voneinander sowie die reale Differenzierung der Subsysteme als Staat und Gesellschaft zugleich.
    Unser erster Kritikpunkt lauter: Hegel kennt zwar beide Gesichtspunkte, so wie er die Differenzierung von Staat und Gesellschaft erstmals grundsätzlich thematisiert hat, aber er setzt korporativ-gesellschaftliche und strukturell-staatliche Subsysteme (um es etwas vereinfacht so auszudrücken) teils bewußt, teils unbewußt ineins. Aus dieser Ineinssetzung folgen: Ständesstaat, erbliche Monoarchie, seine Auffassung von Gewaltenteilung und anderes mehr. Hegel sieht die moderne Differenzierung von Staat und Gesellschaft, dieser vor allem als Wirtschaftsgesellschaft. Er thematisiert sie und will sie zugleich in gewisser Weise rückgängig machen. – Diese These ist näher zu erläutern.
    Hegel hat den dritten Hauptteil seiner Rechtsphilosophie, "Die Sittlichkeit" (worunter Sozialität zu verstehen ist) gegliedert in: Die Familie –Die bürgerliche Gesellschaft – Der Staat. Diese Architektonik entspricht einerseits der von: Elementarsystemen – korporativen Subsystemen – Gesamtsystem, also dem Gesichtspunkt der quantitativen Integration. Hegel versteht diese Gliederung aber zugleich auch als eine solche nach strukturellen Subsystemen: 
     
     
     
     
     
     
     
     
    "Wenn die erste Basis des Staats die Familie ist, so sind die Stände die zweite."211 Dabei sind die Stände: 1. die Grundbesitzer, 2. die Repräsentanten der gewerblichen Berufsverbände (Korporationen), die Beamten. "Die Stände bestimmen sich nach dem Begriffe als der substantielle oder unmittelbare, der reflektierende oder formelle, und dann als der allgemeine Stand."212Die Bestimmung "nach dem Begriffe" ist diejenige, die wir den strukturellen Gesichtspunkt nennen. Für Hegel ergeben sich die strukturellen Momente: Einzelheit, Besonderheit, Allgemeinheit. Sie sind die "besonderen Systeme der Bedürfnisse, ...Systeme, denen die Individuen zugeteilt sind"213, woraus sich die Stände ergeben. Was wir oben (§ 13) als Merkmal von Klassengesellschaft ablehnten, die Zuteilung der Individuen an die strukturellen Subsysteme, wird hier von Hegel gerade postuliert: "Hier ist also die Wurzel, durch die die Selbstsucht sich an das Allgemeine, an den Staat knüpft, dessen Sorge es sein muß, daß dieser Zusammenhang ein gediegener und fester sey."214 – "Der konkrete Staat ist das in seine besonderen Kreise gegliederte Ganze; das Mitglied des Staates ist ein Mitglied eines solchen Standes; nur in dieser seiner objektiven Bestimmung kann es im Staate in Betracht kommen."215 Es kann kein Zweifel bestehen, daß Hegel – in unserer Terminologie gesprochen – die strukturellen Subsysteme (für ihn sind es die drei Begriffsmomente) durch Zuteilung der Individuen an sie zugleich korporativ versteht. Durch diese Zuteilung knüpfen die Individuen an das Allgemeine des Staates an. Die Stände sind daher auch das Prinzip der Vertretung im Parlament. Hegel verfolgte diese Ineinssetzung von gesellschaftlich-korporativen Einheiten mit strukturell-staatlichen Subsystemen bewußt; ein Satz wie der folgende beweist dies, zumal durch seinen polemischen Ton: "Obgleich in den Vorstellungen sogenannter Theorien die Stände der bürgerlichen Gesellschaft überhaupt, und die Stände in politischer Bedeutung weit auseinander liegen, so hat doch die Sprache noch diese Vereinigung erhalten, die früher ohnehin vorhanden war."216 Auf derselben Ineinssetzung von strukturellen Funktionen und konkreten Personenkreisen beruht Hegels Begründung der erblichen Monarchie.217
    Wir versuchten zu zeigen, daß die Frage der ständischen Vertretung im Parlament, noch weiter ausgreifend die Frage der Zuteilung der Individuen an Stände in politischer Bedeutung, nicht ein mehr oder weniger zufälliger Fehler in der Machart dialektischer Theorie ist, sondern Methode hat.218 Wir waren ausgegangen von der Gliederung Familie – bürgerliche Gesellschaft – Staat. Insofern die Familie in jedem Fall ein korporatives Subsystem ist, "Gesellschaft" bei Hegel aber auch als ein strukturelles System verstanden wird – eben als "System der Bedürfnisse"219 sowie als "Reflexionsverhältnis" der "Erscheinungswelt des Sittlichen"220 , liegt schon in der Architektur jene Ineinssetzung, die wir als Fehler sowie als Versuch ansehen, die hellsichtig erkannte Trennung von Gesellschaftlichem und Staatlichem nicht gerade restaurativ rückgängig zu machen, aber doch aufzufangen – und die Gesellschaft weiterhin als bloß organische Differenzierung des Staates selbst zu interpretieren und zu gestalten, ebenso wie die Familie: "Die wirkliche Idee, der Geist, der sich selbst in die zwei ideellen Sphären seines Begriffs, die Familie und die bürgerliche Gesellschaft, als in seine Endlichkeit scheidet, um aus ihrer Idealität für sich unendlicher Geist zu seyn, theilt somit diesen Sphären das Material dieser seiner endlichen Wirklichkeit, die Individuen als die Menge zu ..."221 "Ideelle Sphären" heißt in diesem Zusammenhang soviel wie strukturelle Subsysteme, die erst vom Ganzen her Realität erhalten. Wir nähern uns damit bereits dem zweiten Hauptthema unserer Kritik: die in Hegels Rechtsbegriff verwurzelte Totalität des Staates.
    Zuvor noch eine Bemerkung zu Hegels Lehre von der Gewaltenteilung: Da Hegel nicht vier aus gleichursprünglichen Sinnelementen hervorgehende Reflexionsstufen kennt wie wir, sondern nur die Reflexionsmomente Einzelheit, Besonderheit, Allgemeinheit, führt seine Gewaltenteilungslehre zu dem Ergebnis: fürstliche Entscheidungsgewalt, Regierungsgewalt, gesetzgebende Gewalt. So wie er die letztere, die Ständevertretung, den korporativ-gesellschaftlich vorgeformten Ständen zuordnet, so auch die beiden anderen Gewalten vorfunktional-präexistierenden korporativen Subsystemen: die königliche Familie, die den Monarchen stellt, sowie den Beamtenstand, aus dem sich die Regierung (als Verwaltungs-Exekutive verstanden) rekrutiert bzw. den sie bildet. Das Prinzip, staatliche Funktionen mit gesellschaftlich-korporativen Einheiten, ineinszusetzen, ist auch hier ausschlaggebend. Hegels Gewaltenteilungslehre kennt keine eigene Judikative: Die richterliche Gewalt rechnet er zur "Regierung", d. h. der Verwaltungs-Exekutive, die dem "allgemeinen Stand" der Beamten obliegt.222 Wie alle Regierungsgeschäfte, so ist auch die Rechtsprechung "objektiver, für sich ihrer Substanz nach bereits entschiedener Natur".223 Recht sowie sittlich-religiöse Normen sind der in Verfassung und Gesetzen zu objektivierende vernünftige Geist des Ganzen. Sie bilden kein eigenes normatives Subsystem.
     
     
     
     
    Das methodische Prinzip, so können wir unseren ersten Kritikpunkt zusammenfassen, das Hegel in seiner Staatsphilosophie leitet, ist nicht (wie für uns) Differenzierung von Funktionalem und Korporativem, sondern im Gegenteil: organologische Ineinssetzung von gesellschaftlich-korporativen Subsystemen (einschließlich Familie, die durch den ersten Stand der Grundbesitzer sowie durch den Monarchen unmittelbar politische Bedeutung hat) und Funktionen des Staates, der in seiner Objektivität politischer Staat ist, darüberhinaus aber die konkret-allgemeine Wirklichkeit der sittlichen Idee überhaupt. Das wirkliche Recht im Unterschied zum "abstrakten", dem der erste Teil der Rechtsphilosophie gewidmet ist, besteht in der konkreten Vernünftigkeit dieses Organismus. Dieser unterscheidet strukturell wie zugleich korporativ, A. die unmittelbare Sittlichkeit, die Familie, welche "die empfindende Einheit, die Liebe, zu ihrer Bestimmung" hat,224 von dem Standpunkt B. der Entzweiung, der bürgerlichen Gesellschaft, einer "Verbindung der Glieder als selbständiger Einzelner in einer somit formellen Allgemeinheit, durch ihre Bedürfnisse, und durch die Rechtsverfassung als Mittel der Sicherheit der Personen und des Eigenthums" in einer "äußerlichen Ordnung" zusammengehalten, welcher äußerliche Staat sich C. in den Zweck und die Wirklichkeit des substantiellen Allgemeinen, ... in die Staatsverfassung zurück- und zusammennimmt".225 Die strukturellen Momente Liebe, abstraktes Recht, konkret-vernünftiges Recht oder Sittlichkeit sind mit sozialen Organen identifiziert, und die organische Einheit ist der Staat als das Konkret-Allgemeine selbst.
    Gesellschaft wird daher politisch nicht von Staat differenziert: ihre berufsständischen Gruppierungen sind selbst Organe des politischen Staates. Hegel sah z. B. keine politischen Parteien vor. Umgekehrt ist Staat wirtschaftlich nicht von der Gesellschaft differenziert: die wirtschaftlichen Unterschiede werden unmittelbar politisch bedeutsam. Die Differenzierung von Gesellschaft und Staat, die Hegel vornimmt, bedeutet Unterscheidung von Wirtschaftsgesellschaft mit liberal heiterer Unabhängigkeit und politischem Staat, die aber durch die organologische Ineinssetzung im Staat als dem organischen Ganzen "vermittelt" und "aufgehoben" sein soll.226 Gesellschaft ist nur die Differenzstufe der organischen Totalität. Sie steht nicht – wie in unserer Sicht – auf allen Stufen in Differenz zu ihm als ihrer bloß partiellen Integration.
    2. Will man ein solches Konzept philosophisch und nicht nur pragmatisch oder mit Berufung auf die geschichtlichen Umstände kritisieren, was einem Denker vom Range Hegels unangemessen bleibt, so geht es nochmals um die Gründe dafür, warum die aufgezeigte organologische Ineinssetzung in einem modernen Rechtsstaat nicht legitim sein kann. Hierfür bieten sich von unseren Mitteln her zwei Gesichtspunkte an: (a) Der unterschiedliche Begriff von Recht: für Hegel ist Recht Sozialität überhaupt (auch wenn er ein abstraktes Recht eigens unterscheidet); für uns ist Recht eine partielle, wenn auch die konstitutive Integrationsform des Systems Staat. (b) Der Unterschied zwischen Reflexionsmomenten und aufeinander unrückführbaren Reflexionsstufen. Letztere führen zum Differenzpostulat, erstere brachten Hegel dazu, Gesellschaft als Stufe der Differenz in Selbstvermittlung des Staates zu fassen.
    (a) "Dieß, daß ein Daseyn überhaupt, Daseyn des freien Willens ist, ist das Recht. – Es ist somit überhaupt die Freiheit, als Idee."227 "Jede Stufe der Entwicklung der Idee der Freiheit hat ihr eigenthümliches Recht, weil sie das Daseyn der Freiheit in einer ihrer eigenen Bestimmungen ist. Wenn vom Gegensatze der Moralität, der Sittlichkeit gegen das Recht gesprochen wird, so ist unter dem Rechte nur das erste, formelle der abstrakten Persönlichkeit verstanden. Die Moralität, die Sittlichkeit, das Staatsinteresse ist jedes ein eigenthümliches Recht, weil jede dieser Gestalten Bestimmung und Daseyn der Freiheit ist. In Kollision können sie nur kommen, insofern sie auf gleicher Linie stehen, Rechte zu seyn."228 Aufgrund dieser Einführung des Rechtsbegriffs stellt Hegels Sozialphilosophie als ganze Rechtsphilosophie dar. Die erste Grundfrage einer Rechtsphilosophie ist die Ortsbestimmung des Rechts innerhalb von Sozialität überhaupt. Hegel ist sie, im Unterschied zu den meisten Rechtsphilosophen, nicht schuldig geblieben. Aber seine Antwort besteht in der Identifizierung des Sozialen (also auch von Liebe und Kommunikation) mit dem Rechtlichen. Man wird einwenden, Recht habe für ihn gerade nicht nur die Bedeutung des formellen Rechtes, das er als eine erste, abstrakte Stufe abhandelt. Aber warum nennt er das ganze sozialer Beziehungen, auch die "Sittlichkeit" (Sozialität) Recht?229
    Die Frage, ob die höheren Stufen sozialer Freiheit Höherentwicklungen desselben Rechtes sind, das zunächst als abstrakt-formelles auftritt, liegt genau parallel zu der oben diskutierten Frage, ob die höheren "Arten" von Andersheit durch das Reflexionsprinzip auf die Grundform von Andersheit als Negativität zurückgeführt werden können (§ 7), oder ob umgekehrt die höheren Reflexionsstufen und damit Selbstbewußtsein überhaupt des Gegebensein verschiedener, 
     
     
     
     
     
     
     
    aufeinander unableitbarer "Gattungen" von Andersheit voraussetzen, so vor allem die der anderen Freiheit als Positivität. Wir haben damals einen solchen Pluralismus der Sinnelemente gegen Hegels monistische Dialektik der Negativität verteidigt. Man erkennt, warum Hegel die ganze Sozialität unter "Recht" subsumieren kann, und warum wir es nicht können. Es handelt sich keineswegs um eine bloße Frage der Worte. Sozialität schließt Kommunikation in dem behandelten reflexiven Sinn ein, die Hegel als bloß "empfindende Einheit" der Liebe mit der Unmittelbarkeit der Familie hinter sich läßt: "Die Liebe ist aber Empfindung, das heißt Sittlichkeit in Form des Natürlichen: im Staate ist sie nicht mehr: da ist man sich der Einheit als des Gesetzes bewußt, da muß der Inhalt vernünftig seyn, und ich muß ihn wissen."230 Eine Unterscheidung von unmittelbarer kommunikativ-wertender Einheit (als Liebe) und ihren vermittelten Formen von sozialer Kommunikation (in kulturellen Werten) wird selbstverständlich auch von uns vorgenommen (§ 14), aber in einem von dem Hegelschen grundverschiedenen Sinn.
    Hegels Auffassung von Sozialität als konkretem Recht liegt in seiner dialektischen Grundposition, der Interpretation von Andersheit als Negativität, begründet. Nur wegen dieser Identifizierungen aber kann Hegel den vernünftigen "Rechtsstaat" (in einem erweiterten Sinn) für konkrete Totalität, ja zu einem religiösen Höchstwert erklären.231 Es kann in diesem Rahmen nicht ausführlicher auf den langen Paragraphen 270 über das Verhältnis von Staat und Kirche eingegangen werden. Hegel heißt dort einen faktischen Pluralismus der Kirchen gut. Und doch muß gesagt werden, daß er die Unterscheidung zwischen sittlich-religiöser und rechtlicher Integration, die für weltanschaulichen Pluralismus wesentlich ist, nicht vollzieht. Hegel bejahte einen eingegrenzten, innerchristlichen Pluralismus, weil dieser die Superiorität der denkenden Vernunft über die bloß vorstellende Erfassung derselben Wahrheit durch den Glauben bestätigte.232 Er verwies die Religion wie die Liebe ins Private, weil er sie im vernünftigen Recht aufgehoben wußte. Seine gesinnungsgemäße Liberalität ist Funktion eines optimistischen Vernunft-Totalitarismus, der keinen tiefgreifenden Pluralismus zuläßt. Dabei dachte er sich dieses sanfte Joch allerdings nicht durch totalitäre (eventuell diskursiv begründete) Einzelgesetzgebung vermittelt, sondern allein durch eine vernünftige, "organische" Verfassung.233
    (b) Daher sind Familie und bürgerliche Gesellschaft lediglich die Stufen von Unmittelbarkeit und Differenz des sich in ihnen als seinen Momenten reflektierenden Staates. Weil Recht Sozialität, "Daseyn des Geistes" überhaupt, bedeutet, integriert es total, ist es selbst kein differentes eigenes Normensystem, sondern die organische Integration korporativer Gebilde gemäß den strukturellen Momenten der Reflexion. Während wir strukturelle Differenzierung der Subsysteme durch Pluralismus der korporativen Subsysteme auf allen Ebenen fordern, wie die Integration im normativen Subsystem nur partiell ist, beschreibt Hegel die Einfügung der korporativen Einheiten in die strukturellen Reflexionsmomente und deren verfassungsmäßige Absicherung als vernünftig – weil solche ständesstaatliche Integration die umfassende seiner Zeit vorbehaltene Verwirklichung sozialer Vernunft selbst ist. Hegel hat so den beginnenden Dualismus von Staat und Gesellschaft vorläufig auf einen Begriff gebracht. Aber es ist ihm nicht gelungen, partiell verstandene Integration des Ganzen in einem partiell verstandenen Recht und damit Pluralismus zu denken. Vielleicht muß man ihm zugute halten, daß die Philosophie es bis heute kaum geleistet hat. "Als der Gedanke der Welt erscheint sie erst in der Zeit, nachdem die Wirklichkeit ihren Bildungsprozeß vollendet und sich fertig gemacht hat."234 Wie fertig muß aber die Wirklichkeit werden, um noch aus ihrer Theorie Nutzen ziehen zu können?
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    § 17: Philosophische und soziale Reflexion (Theorie und Praxis)
     
    Die sozialen Produktionsbedingungen theoretischer Reflexion können nicht im voraus zu dieser ausgemacht werden, es sei denn durch dogmatische Setzung. Der erkenntnistheoretische Zirkel von praktischer und theoretischer Reflexion läßt sich grundsätzlich durch eine dialektische Einheit von praktisch motivierten, streng theoretischem Interesse durchbrechen, ohne in eine differenzlose Einheit beider aufgehoben werden zu können. Die Einheit von praktisch-sozialer und theoretisch-wissenschaftlicher Reflexion ist in epochaler Weise auch sozial thematisch geworden.
    Wir brechen hier unsere Betrachtungen ab, sofern sie sich in den Gegenstand, Reflexion als personales und soziales System, vertieft haben. Es ging um grundlegende Perspektiven; nicht um erschöpfende Analysen. Eine Abhandlung, die Reflexion zum Thema hat, wäre jedoch methodisch unvollständig und bliebe hinter ihrem Thema zurück, wenn sie nicht auf sich selbst, wenigstens auf den in ihr dargestellten Reflexionsprozeß reflektierte – ganz abgesehen davon, daß seine Mitteilung an den Leser bzw. dessen Aufnahme des Geschriebenen nochmals Seiten eines sozialen Reflexionsvorgangs sind. Solche Selbstbesinnung gehört zur Philosophie als der methodischen Selbstentfaltung der Reflexion. Wir haben am Anfang darauf verzichtet, Selbstreflexion als die bereits anfängliche Einheit von Form (Tun) und Inhalt des Philosophierens zu bedenken, eine Einheit übrigens, die als eine reflexive ausschließlich der Selbstreflexion zukommen kann, allerdings nicht nur der subjektiven, sondern auch der intersubjektiv-sozialen.235 Daher läßt sich Philosophie nicht nur als methodische Selbstentfaltung der Subjektreflexion, sondern auch des Gesprächs sowie des gesellschaftlichen Seins verstehen und praktizieren. Diese Ansätze stehen solange nicht in Widerspruch zueinander, als man die Gleichursprünglichkeit von subjektiver und sozialer Reflexion nicht übersieht. Allerdings öffnet sich hier ein vielschichtiger Problemkreis: das Verhältnis von theoretisch-wissenschaftlicher und praktisch-sozialer Reflexion. Es geht zunächst um seine Situierung (1), dann seinen subjektiv-erkenntnistheoretischen Aspekt (2). Von dort werden wir auf eine systemtheoretische Erörterung des Theorie-Praxis-Verhältnisses kommen (3) und mit einigen Bemerkungen zur sozialen Rolle von Sozialtheorie, einschließlich unserer eigenen Skizze, in der Gegenwart schließen (4).
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    1. Unsere bisherigen Darlegungen waren objektivierende Reflexion über Reflexion als personale und soziale Systeme in ihrer Interdependenz. Man erkennt an dieser Formulierung leicht das Verhältnis von philosophischer Reflexion als konsekutiv nach-denkender zur systemkonstitutiven Reflexion personalen und sozialen Lebens. Es wurde anfangs (§ 2) schon deutlich, daß zwischen Leben und nachdenkender Reflexion kaum ein legitimer und die Mühe lohnender Übergang auszudenken wäre, bestünde nicht diese fundamentale Verwandtschaft der Reflexivität beider. Damals blieben wir bei der Feststellung, daß die nachträgliche, ausdrückliche theoretische Reflexion in ihrer Möglichkeit unerklärlich bliebe, wenn sie nicht Ausfluß einer ursprünglich konstitutiven Reflexion des personalen Lebens wäre. Jetzt können wir weitergehen und sagen: Die philosophische und theoretisch-ausdrückliche Reflexion überhaupt ist Abzweigung, Produkt oder – um den Ausdruck technologischer Systemtheorie zu nehmen – Output sowohl des personalen wie des sozialen Systems, aus der sie hervorgeht. Wie kommt es zu ihr und ihren Produkten?
    Lassen wir die personalen "Produktionsbedingungen" hier beiseite und ziehen die sozialen in Betracht, weil sie allgemeinere Bedeutung haben. Allerdings muß sogleich gesagt werden, daß die Frage, wie es zu ganz bestimmten, inhaltlichen Produkten (wie etwa dieser Untersuchung) kommt, schon sehr weit ausgreift, weiter, als wir zu beantworten versuchen werden. Eine einigermaßen erschöpfende Antwort würde eine vollständig durchgeführte soziale Analyse unserer staatlichen und kulturellen Gesellschaft voraussetzen. In vielen Seminardiskussionen wird heute die Forderung laut, mit der Analyse der "Produktionsbedingungen" von Theorie anzufangen – bevor man mit Theorie anfange. Das Ansinnen hat soweit Sinn, als eine vorgreifende und vorwissenschaftliche Verständigung und Bewußtwerdung einiger grundlegender sozialer Bedingungen für theoretische Arbeit gemeint ist: Arbeitsteilung, dadurch Freigestelltsein durch die Gesellschaft, materielle Ermöglichung des Studiums, Erwartungen und Interessen gesellschaftlicher Gruppen, Verantwortung des akademischen Treibens vor der Gesamtgesellschaft usw. Die Forderung verliert jedoch alle Vernunft, wenn darin der Anspruch auf detailliertes Durchschauen und Beurteilen der sozialen Produktionsbedingungen, also eines 
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    Erkennens vor dem Erkennen liegt: Wieviel an Sozialtheorie müßte schon entwickelt sein, um mit der Einsicht in jene Bedingtheit über alltägliche Selbstverständlichkeiten (die man freilich kritisch oder unkritisch hinnehmen kann) hinauszugelangen! Es ist ein bekannter Dogmatismus, der mit diesem Zirkel problemlos fertig wird. Er verbindet sich mit dem Historismus-Argument (vgl. § 11), für dessen Handhabung es keiner besonderen Voraussetzung bedarf, weil es in der Luft der Epoche liegt: Wie kann man eigentlich Kategorien gewinnen, gar noch von Bewußtseins- oder Sinnanalysen her, außer man beschreibt das "geschichtlich Handgreifliche"? Dieses aber wird, mehr oder weniger unbewußt von einer dogmatischen Doktrin her beschrieben.
    2. Nicht solcher Dogmatismus ist es, der unsere Abschlußreflexion herausfordern und lohnen würde, sondern die Frage nach dem Verhältnis der theoretisch-ausdrücklichen Reflexion zur gelebten Reflexion des Sozialen und Personalen zunächst erkenntnistheoretisch, also in bezug auf die Erkenntnis der Einzelnen verstanden: Wie ist eigentlich theoretische Wahrheit möglich, wenn sie Funktion von sozialen und personalen Reflexionsgesetzlichkeiten ist, die wir – wie im Vorhergehenden oft zugestanden – nicht ohne weiteres durchschauen? Das hier liegende Problem – das uns zu einer Diskussion mit Friedrich Nietzsche führen könnte – ist in den letzten Jahren durch J. Habermas unter dem Titel "Erkenntnis und Interesse" zum Allgemeingut der Interessierten geworden. Für Habermas Lösung spielt Selbstreflexion eine zentrale Rolle: "In der Selbstreflexion gelangt eine Erkenntnis um der Erkenntnis willen mit dem Interesse an Mündigkeit zur Deckung. Das emanzipatorische Erkenntnisinteresse zielt auf Vollzug der Reflexion als solchen...In der Kraft der Selbstreflexion sind Erkenntnis und Interesse eins."236 Wir halten diese Sätze für großartig – wenn man sie richtig interpretiert und begründet. Gegen Begründung und Verständnis bei Habermas selbst erheben sich jedoch Bedenken.
    Habermas fügt sogleich als Bedingung für derartige Selbstreflexion die "Antizipation des gelungenen Lebens" in einer "emanzipierten Gesellschaft" an. Habermas macht hier eine geradezu eschatologische Utopie zur Möglichkeitsbedingung von Wahrheit: herrschaftsfreie Kommunikation als "Dialog aller mit allen"237, was immerhin über den bloß negativen Freiheitsaspekt von Emanzipation hinausgeht. Wir sind einverstanden, daß die Idee einer gesellschaftlich-geschichtlichen Wahrheit eine derartige Antizipation einschließt und daß alle Teilverwirklichung und – Aussage von Wahrheit an jener Idee orientiert ist. Ist aber Wahrheit, 
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    uns interessiert besonders philosophische Wahrheit, bereits möglich – oder ist sie selbst eine utopisch-ausständige Größe? Soll man "Antizipation" als reale oder als bloß ideelle Vorwegnahme verstehen? "Philosophie hat von Anfang an unterstellt, die mit der Struktur der Sprache gesetzte Mündigkeit sei nicht nur antizipiert, sondern wirklich."238 Dagegen soll Antizipation also näherhin als unwirkliche verstanden werden, um Philosophie vom Objektivismus zu befreien und in der, allerdings noch nicht gelungene Einheit von Theorie und Praxis zu begründen: "Freilich wird der Objektivismus nicht... durch die Kraft einer erneuerten Theoria gebrochen, sondern allein durch den Nachweis dessen, was er verdeckt: des Zusammenhangs von Erkenntnis und Interesse. Die Philosophie bleibt ihrer großen Tradition treu, indem sie ihr entsagt."239
    Von der "Kraft der Selbstreflexion" bleibt somit nichts als die Erkenntnis ihres Einsseins mit dem Interesse übrig sowie die Einsicht, daß diese Theorie-Praxis-Einheit noch nicht die des gelungenen Lebens ist, das nur unwirklich antizipiert wird. Dadurch kennzeichnet sich Habermas als Erben jener "kritischen Theorie", von der K. Hartmann bemerkt, daß ihr "nur auf Grund einer Verwechslung von Kritiktheorie und kritischer Theorie der Ehrentitel einer kritischen Theorie zukomme240, um für die "Wiederzulassung systematischer, affirmativer Theorie" zu plädieren.241 Denn aufgrund des Verständnisses theoretischer Reflexion bei Habermas ist konsequenterweise Theorie nur als Kritik möglich, auch wenn er in seinen neueren Schriften Wege affirmativer Theorie eingeschlagen hat.
    Wir haben mit Hilfe des Habermas-Textes das erkenntnis-theoretische Problem von Erkenntnis und Interesse bzw. Theorie und Praxis situiert und stellen uns folgendermaßen zu ihm, noch ohne spezifisch reflexionstheoretische Prämissen. Auch für die Unterscheidung von Strukturen und Inhaltlich-Einzelnem, einmal geschichtlich Vollzogenem, kann man zunächst von der reflexionstheoretischen Begründung absehen, die wir ihr oben unter dem Titel "Werte" gegeben haben (§ 14). Diese Unterscheidung ist unerläßlich, will man über die Möglichkeit der theoretischen Reflexion und Wahrheit Rechenschaft geben. Für Strukturerkenntnis bedarf es nicht des universal gelungenen Lebens, sondern lediglich der Erfahrung wirklichen Lebens, in seinen objektiven, kulturellen sowie primär intersubjektiven Bezügen. Wäre diese Erfahrung bis in ihre 
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    elementarsten Strukturen total korrumpiert, würde kein Mensch zum Sprechen und Denken kommen. Wissenschaftliche Wahrheitserkenntnis lebt von einem praktisch motivierten (nämlich durch das Interesse an gelungenem Leben), gerade deshalb aber streng theoretischem Interesse an den Strukturen des Lebens und der Erkenntnis. Nur als theoretisches Interesse sind Erkenntnis und Interesse schlechthin "eins". Das praktische Interesse an gelungenem Leben bleibt eine davon dialektisch unterschiedene Voraussetzung. J. G. Fichte ist es wohl, der diese dialektische Gegensatz-Einheit von praktischer Motivierung als Voraussetzung theoretisch strenger Erkenntnis am energischsten ausgesprochen hat.242 Habermas schöne Formel über das Einssein von Erkenntnis und Interesse in der Selbstreflexion arbeitet mit der Äquivokation verschiedener Interessen, die in einem dialektischen Verhältnis zueinander zu sehen sind. Kein Wunder, daß der sie schrittweise wieder zurücknimmt. Nur das theoretische Interesse (das in der Tat, aber nicht als einziges, in der Selbstreflexivität gründet) ist unmittelbar eins mit der Erkenntnis selbst. Die praktische Motivierung geht nicht als Erkenntnisgrund, als logische Voraussetzung, sondern als existentielle Voraussetzung in den Erkenntnisprozeß ein. Solche Voraussetzung mag weithin kontrafaktisch sein. Das stört nicht die Möglichkeit theoretischer Wahrheit, sondern deren Verwirklichung, die Wahrheitsfindung. Dieser Prozeß ist nicht in dem Sinn vorweg regelbar, daß man das "reine" Wahrheitsinteresse vom unreinen ein für allemal unterscheiden könnte. Es bleibt die Notwendigkeit, ständig neu auf die "Sache" zu blicken und das Eingesehene zur Diskussion zu stellen. Es genügt die Möglichkeit streng theoretischer Strukturerkenntnis, obwohl deren Freisetzung durch die praktische Motivierung nicht vorweg entschieden werden kann, wohl aber die stillschweigende Voraussetzung für die Befähigung zu wissenschaftlicher, insbesondere zu philosophischer Wahrheitserkenntnis ist. Diese Sicht verzichtet auf die eschatologisch antizipierte Garantie der reinen Erkenntnis und rechnet mit der Unreinheit der conditio humana, ohne darum innertheoretische Begründung von Erkenntnis, somit im Grunde bis zur Verwirklichung einer Utopie Erkenntnis überhaupt zu leugnen. Sie durchschaut, daß die Einsicht in den Zusammenhang von Erkenntnis und Interesse allein keinerlei Schlüssel bietet, daß sie vielmehr als undialektische Ineinssetzung beider zugleich zuviel und zuwenig will. Zuwenig, weil Erkenntnis zum "Warten auf Godot" wird. Zuviel, weil sie sich als wissenschaftliche nicht damit begnügt, strukturelle bzw. empirisch generalisierte Erkenntnis zu sein, sondern vollzugsimmanente Einheit von Theorie und Praxis sein will.
     
     
     
     
     
    Während früher die Kompetenz des Diskurses für praxisimmanente Werterkenntnis eingeschränkt werden mußte, ist sie hier als Wahrheitskompetenz sowie als Möglichkeit innertheoretischer Begründung von Wahrheit in bezug auf praxistranszendente Strukturerkenntnis zu verteidigen. Allmacht des Diskurses und Verzicht auf innertheoretische Wahrheitsbegründung sind zwei zwar einander widersprechende, aber doch komplementäre Thesen. Was sie verbindet, ist Nichtunterscheidung von praktisch gelebter und theoretisch-nachträglicher Reflexion.
    3. Wir kommen damit von der subjektiv-erkenntnistheoretischen Fragestellung zu einer umfassenderen reflexionsystemtheoretischen Sicht des Theorie-Praxis-Verhältnisses. Man kann über Theorie und Praxis als subjektive Sinnfunktionen handeln: Theorie als Aufnahme von Wirklichkeit ins Subjekt, als Vollzug des Anderen im Selbst; Praxis als Hineingestaltung des Selbst in die Wirklichkeit, als Vollzug des Selbst im Anderen.243 Ihre jeweiligen Arten sind Stufen ihrer Vermittlung miteinander. In systemtheoretischer Sichtweise ändern sich die Begriffsbestimmungen, ohne daß Unvereinbarkeit mit der Analyse subjektiver Sinnfunktionen bestünde: Praxis ist dann der Inbegriff aller vom menschlichen Handeln ausgelösten Systemprozesse eines personalen und sozialen Systems, also die gelebte Reflexion des Systems. Theorie sind demgegenüber die gedanklichen Objektivierungen des Systems, d. h. die jeweils nachdenkende, konsekutive Reflexion der Subjekte sowie ihre individuellen und sozialen Produkte. Noch weniger als die subjektiven Sinnfunktionen stellen diese systemtheoretischen Begriffe von Theorie und Praxis einfachhin getrennte Bereiche dar: Praxis umfaßt vielmehr die Theorie; diese ist eine besondere Art von Praxis des Systems: die nicht-spontane und objektivierende Praxis, deren "Output" seinerseits "Input" der spontanen Praxis darstellt, also diese tiefgreifend prägt und auf diese indirekte Weise eine besonders effektive Art von Praxis sein kann, sowohl im personalen wie vor allem im sozialen Bereich: "Ist erst das Reich der Vorstellungen revolutioniert, so hält die Wirklichkeit nicht aus."244 Zugleich nimmt Hegel durchaus Marx Einsicht vorweg, daß das gesellschaftliche Sein das Bewußtsein bestimmt, d. h. eben, systemtheoretisch gesprochen, daß die gedanklichen Objektivierungen schon individuell, noch mehr sozial Funktion des reflexiven Systemprozesses, selbstverständlich – nach allem über reflexive Integration Gesagten – unter Einschluß des materiellen Inputs und Handelns sind. Streit kann vernünftigerweise nur über die Art dieses Funktionsseins entstehen: Welche Eigenspontanität (Freiheit) traut man der individuellen theoretischen Reflexion zu? 
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    Welche Chancen gibt man der Durchsetzungskraft schöpferischer individueller Produktionen für den sozialen Prozeß? Welche Bedeutung mißt man den ideellen Faktoren (M) im Verhältnis zu den materiellen Faktoren (O) zu, wobei diese letzte Frage nach unseren Analysen über Reflexionsebenen bereits eine Vereinfachung am Rande des Zulässigen darstellt. Es ist evident, daß Fragen dieser Art eine differenzierte Weiterentwicklung von Reflexions-Systemtheorie voraussetzen, wenn die inzwischen geistlos gewordenen Gegensätze von Materialismus, Idealismus und dergleichen Dogmatismen zurückgelassen werden sollen.
    Theorie ist eine Unterbrechung des spontanen sozialen Prozesses: Das Subjekt stellt sich aus dem selbstverständlichen Lebenszusammenhang heraus und objektiviert ihn durch eine zunächst innersubjektiv bleibende Reflexion, gewöhnlich wenig adäquat, aber immer wirksam. Wir sprechen nicht nur von der reflexiven Subjektidentität im Unterschied zur sozialen (vgl. § 6 und 9), die noch spontane, kaum theoretisch objektivierende Reflexion bleiben kann, sondern von der ausdrücklich-theoretischen Reflexion. Die Subjektreflexion entzieht sich nicht nur zunächst der sozialen – eine bedeutsame Einschränkung der oben behaupteten Totalität der praktisch-sozialen Reflexion -, als theoretisch umfassende kann sie sogar umgekehrt diese unter sich subsumieren. Gerade als philosophische Reflexion ist sie auf ihre, nämlich theoretische Weise ebenfalls total, somit eine empfindliche Konkurrenz und Einschränkung der sozialen Totalität. Man mag diesen Unruhefaktor von Systemen endogen oder exogen nennen – er ist auf jeden Fall mächtig, unmittelbar in der primären Intersubjektivität, mittelbar auch im sozialen: durch theoriebestimmte bedeutsame Handlungen oder durch theoretische Ansteckung vermittelt, die ihrerseits wieder viele Medien kennt. Ursprünglicher Herd und Überträger des theoretischen Bazillus ist immer das einzelne Subjekt, das sich erlaubt, den Zirkel des sozialen Lebens zu durchbrechen, unbemerkt aus ihm herauszutreten und seinen eigenen Zirkel, den einer innersubjektiven theoretischen Reflexion zu eröffnen – um mit dem Ausgebrüteten in den sozialen Zirkel wiedereinzutreten: sein persönliches Produkt in mehr oder weniger wirksamer, mehr oder weniger auffälligen Weise dem sozialen System einzugeben. In gewissem Maße ist das für die Belebung der sozialen Konversation, des gesellschaftlichen Sprachspiels erwünscht. Von einer bestimmten Schwelle an 
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    muß es störend wirken. Selbständiges Denken, das die gewohnten Bahnen verläßt, wird als gefährlich empfunden; dies nicht nur in totalitären Systemen, wo man solche Subjekte heute gern ins "Irrenhaus" steckt. Sicher hat die Gesellschaft ein Recht darauf, daß neue, besonders sozial relevante, Gedanken begründet werden. Dem entspricht der Anspruch des Einzelnen auf Verstandenwerden. Die Geschichte kennt an Beispielen für die sich hieraus ergebenden tragischen Kollisionen nicht allein Jesus und Sokrates. In bestimmten Epochen, so der heutigen, werden die Störungen erwartet, gehört das Schockieren zum guten Ton, bescheinigen sich Schockierer und Schockierte konventionellerweise ihre Originalität, während das nunmehr Originelle durch Schockfreiheit abstößt.
    Von dem Gesagten her kann gewagt werden, den feinen, aber fundamentalen Unterschied in der Verhältnisbestimmung von Theorie und Praxis bei Hegel und Marx so zu bestimmen: Hegel hebt die soziale Reflexion letztlich in der subjektiv-theoretischen auf; Marx läßt die subjektiv-theoretische Reflexion letztlich in der sozialen aufgehen. Das jeweilige "letztlich" ist zu beachten, um den verbreiteten Vergröberungen zu entgehen.
    Hegel begreift seinen spekulativen Standpunkt – ein Novum in der Philosophiegeschichte – als radikal gesellschaftliche vermittelt und ermöglicht. Hierin liegt eine der Hauptideen der "Phänomenologie des Geistes". Am Ende ist "die Geschichte, nach der Seite ihrer begriffenen Organisation aber die Wissenschaft des erscheinenden Wissens" selbst. Sie macht, zusammen mit der wirklichen, in ihrer eigenen, wissenschaftlichen Erinnerung aufbewahrten Geschichte, die "begriffene Geschichte" aus.245 Das Subjekt dieses Begreifens ist als einzelnes Subjekt der Denker, als absolutes Subjekt der "absolute Geist", dessen "Schädelstätte", d. h. Selbstentäußerung und Selbstentfaltung die Geschichte ist. Das hat zwar nichts mit einer Abschlußerklärung der zeitlichen Geschichte zu tun, wohl aber mit einer Aufhebung der geschichtlich-sozialen Reflexion (wie immer sie sich noch zeitlich entfalten mag) in Subjektreflexion. Vom Standpunkt des spätbürgerlichen Historismus oder pseudotheologischer Demutsbeflissenheit hat man leicht, über sie die Nase zu rümpfen und erspart sich die Auseinandersetzung über die reflexionslogischen Grundvoraussetzungen, auf die wir hingewiesen haben (§ 7). Von dieser Wurzel her wird man die Verbindung des Dargelegten zur Staatsphilosophie erkennen.
     
     
     
     
     
     
     
     
    Für Marx ist die einzig mögliche Wissenschaft die Wissenschaft von der Geschichte.246 Auch hierin liegt Methode, nämlich der Abweis einer wissenschaftlichen Subjektreflexion, die etwas anderes ist als die bloße Artikulierung der sozial-geschichtlichen Reflexion. Marx prägt "einen reflektierten Begriff von Ideologie, wonach Ideologie ist, wer glaubt, daß Ideen zu kritisieren seien und die Wirklichkeit das Maßgebende sei, damit jedoch ideenverhaftet bleibt"247 wie etwa Feuerbach in seiner theoretischen Einstellung, der noch glaubte, das wirkliche Leben werde von Gedanken beherrscht. In der Tat findet sich die "Schlüsselthese des Marxismus" schon bei Marx selbst: nicht-ideologische Theorie kann lediglich das praxisimmanente Innewerden der sozialen Reflexion sein. Unter Strafe des Ideologie-Verdikts gesteht Marx dem Subjekt nicht zu, dem Zirkel der sozialen Reflexion durch seine Subjektreflexion zu entrinnen. Diskonsonanz zwischen sozialer und theoretisch-subjektiver Reflexion kann nur Folge der bereits widersprüchlichen Sozialität sein. Das gesellschaftliche Sein bestimmt das Bewußtsein, heißt dann: Das Bewußtsein geht aus dem sozialen Sein hervor wie die Frucht aus dem Baum, sei sie gesund (ideologiekritisch) oder wurmstichig (ideologisch). Dementsprechend kann der Theoretiker nur das soziale Sein artikulieren - kritisch oder ideologisch. Aus demselben Grund werden Krankheitserscheinungen der Subjektreflexion wie religiöse Sinnfragen, die über gesellschaftlichen Wohl- oder Unwohlsein hinausgehen, "der Seufzer der bedrängten Kreatur"248 in der Einheit des Menschen mit dem Menschen verstummen. Dies alles folgt völlig konsequent aus der Subsumtion der Subjektreflexion unter die des sozialen Lebens. Die Paradoxie ist also hier zu enthüllen. – Wir weisen lediglich noch auf die geschichtliche Paradoxie hin, daß der Denker der revolutionären geschichtlichen Praxis mit dieser Verhältnisbestimmung von Reflexion und Geschichte dem allversöhnenden historischen Relativismus mächtig in die Hände gearbeitet hat. Es wäre zu ungewohnt, zu behaupten, daß dieser schon über ihn herrschte...
    Unsere eigene Stellungnahme zum systemtheoretischen Theorie-Praxis-Verhältnis ergibt sich im allgemeinen ohne weiteres aus dem Vorhergehenden. Im Einzelnen, was detaillierte Antworten auf Fragen wie die oben gestellten angeht, würde sie eine eigene Studie erfordern. Elemente der allgemeinen Antwort sind: die Unreduzierbarkeit von personalem und sozialem System aufeinander, somit auch die nicht schlechthinnige Identifizierbarkeit von personaler und sozialer Freiheit (was selbst ein Thema für sich wäre) sowie die Reflexionshierarchie der strukturellen 
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    Subsysteme. Subjektreflexion betrifft das Sinnmedium M, und zwar unmittelbar das je personal partizipierte, mittelbar die soziale Sinnwelt als gemeinsame. Die Hauptfrage betrifft diese Vermittlung der individuellen theoretischen Reflexion zur sozialen, also den sozialen Kommunikations- und Metakommunikationsprozeß. – Im Hinblick auf die skizzierten Positionen von Marx und Hegel bleibt nochmals die wesentliche Unterscheidung von theoretisch-objektivierender Strukturerkenntnis und praxisimmantem Vollzugswissen geltend zu machen. Vom Blick auf letzteres kommt Marx zur Leugnung der Gültigkeit praxistranszendenter Theorie und zur Leugnung innertheoretischer Begründung, die – gegen seine Intentionen – der Willkür und dem Dogmatismus Tür und Tor öffnet. Vom Blick auf reflexionslogische Strukturerkenntnis her scheint Hegel die Andersartigkeit von Freiheit im Unterschied zu einer negationsdialektischen zu behandelnden objektiv-negativen Andersheit letztlich entgangen zu sein (§ 7). Die Unterscheidung zwischen der Reflexionsform und dem konkret-werthaften wie empirischen Inhalt ist auch dann noch gültig, wenn solcher Inhalt seinerseits reflexiv konstituiert ist. Das überlegene Abtun der Form-Inhalt-Unterscheidung – z. B. angesichts der formalen Soziologie Georg Simmels249 – hat meist nicht das Reflexionsniveau, das ein Fallenlassen dieser "Reflexionsbegriffe" (Kant) legitimieren würde.
    Theoretische Selbstreflexion des Subjekts ist formal gegenüber dem intersubjektiven Lebensvollzug. Wissenschaftliche Reflexion (auch die mit Generalisierungen arbeitende Empirie) bleibt formal gegenüber dem konkreten sozialen Leben. Und schließlich haftet der heute möglichen gesamtgesellschaftlichen Selbstreflexion (Metakommunikation) dieselbe Formalität an (§§ 14 und 15). Sonst bräuchte sie keine Sozialtheorie – und käme diese zum "Belehren, wie die Welt sein soll" tatsächlich "immer zu spät". 250
    4. Hat die gegenwärtige Gesellschaft – wir meinen die in kulturellem Austausch stehenden staatlichen Gesellschaften des Westens sowie die wirtschaftlich-politisch verflochtene sogenannte "Weltgesellschaft" - , hat und verspürt sie einen Bedarf nach solcher Belehrung?
    Die Notwendigkeit, Lebensnotwendigkeit, öffentlicher Besinnung wird heute in den westlichen Gesellschaften in einem Maß anerkannt, wie es in der Vergangenheit vielleicht nur in Kriegs- und Katastrophensituationen und in Revolutionen wie der Französischen der Fall war.251 Die 
     
     
     
     
     
     
     
     
    innerstaatlichen sowie internationalen Probleme sind zu offensichtlich: Die Fragen nach dem Funktionieren der Demokratien, das Problem von terroristischem Anarchismus und Rechtsstaatlichkeit, die weitgehend noch nicht gelöste Klassenfrage, verstärkt durch die zu Bewußtsein gekommenen Grenzen der wirtschaftlichen Expansion, die bisher ein Aufschieben von Verteilungsproblemen ermöglichte, die Fragen der Entwicklungspolitik, Gastarbeiterpolitik, die vieldiskutierten Fragen der Grenzen des Wachstums usw. Unter allen Sachfragen liegt die Fundamentalfrage: Was ist wahre oder vernünftige Gesellschaft, in der allseitige Verständigung möglich ist?
    "Wenn die Macht der Vereinigung aus dem Leben der Menschen verschwindet und die Gegensätze ihre lebendige Beziehung und Wechselwirkung verloren haben, entsteht das Bedürfnis der Philosophie".252 Hegel gibt hier eine allgemeine soziale Ursache für den Bedarf an theoretischer Reflexion an: "Entzweiung ist der Quell des Bedürfnisses der Philosophie."253 Man hat in den letzten Jahrzehnten viel vom Zusammenwachsen der Einen Menschheit gesprochen. Im Grunde handelt es sich bisher darum, daß die Entzweiungen weltweit geworden sind: der Ost-West-Gegensatz, als ein offensichtlicher sozialtheoretisch bzw. ideologisch bedingter oder doch gesteuerter Gegensatz; der Nord-Süd-Gegensatz als der weltweit gewordene Gegensatz von Arm und Reich; die Bildung neuer Blöcke und Nationalismen: Abgrenzung zur Identitätsfindung oder –erhaltung statt "Begegnung der Kulturen". Die zivilisatorische Europäisierung der Welt bietet kein kulturelles Integrationsmedium. Die Begegnung wird nicht unter dem Vorzeichen der Nivellierung durch den spätbürgerlichen euroamerikanischen Relativismus gelingen. Sie bedarf anderer theoretischer Grundlagen.
    Man spricht zu Recht von einer "Verwissenschaftlichung" des Lebens, die mit der europäischen Zivilisation weltweit werden wird. Wissenschaft, anfänglich die "unsoziale" subjektiv-theoretische Reflexion und Beobachtungsbesessenheit Einzelner, ist zur sozialen Produktivkraft ersten Ranges geworden, die fortschreitend das Leben aller prägt. Nach dem Erweis ihrer sozialen Effektivität beansprucht die Wissenschaft neuen theoretischen und metatheoretischen Spielraum: "Der spezifische Gedanke der Verwissenschaftlichung, der besagt, daß Wissenschaft nur dann wahrhaft in das Leben einzugreifen vermag, wenn sie sich vom Gegebenen lösend als offenes Forschungsfeld von Möglichkeiten konstituiert".254
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    Die Frage ist, ob solche wissenschaftlich-theoretische Freiheit sich bloß als die größere Raffinesse der technologischen Ideologie erweist, die mit ihrem geisteswissenschaftlichen Seitenstück, dem historischen Relativismus, gemeinsam Sache macht. Dieser integriert nicht, er nivelliert und läßt die Gegensätze unvermittelt: Philosophie und Empirie, Reflexion und Leben, individuelle und soziale Freiheit, Theorie und Praxis, Szientismus und Theoriefeindlichkeit, Struktur und Geschichte, Subjekt und System. Der "Pluralismus" der relativistischen Nivellierung ist kraftlos, indem er die geistigen und sozialen Gegensätze unter der technologischen Einheitsideologie wuchern läßt.
    Der extensiv und universal (weltweit) gewordenen praktisch-sozialen Reflexion muß eine intensiv universale theoretische Reflexion zu Hilfe kommen: die methodische Selbstentfaltung der Reflexion, die den Historismus reflexionsgeschichtlich abzulösen imstande ist, zumal sie auch Geschichte in ihrer Eigentümlichkeit zu rekonstruieren vermag, ohne sie ins Denken aufzulösen (§ 11). Ebenso läßt sich reflexionstheoretisch das Theorie-Praxis-Verhältnis thematisieren, ohne Praxis nochmals in die Theorie hinein absorbieren zu wollen. Freiheit ist nicht der zur Totalität erklärten Geschichte auszuliefern, sondern Geschichte an Freiheit und Vernunft; an eine dialogische Vernunft allerdings, die sich nicht total setzt, sondern ihrer Andersheit, der geschichtlichen Praxis, deren Unverfügbarkeit zugesteht. Theoretisch-subjektive und praktisch-soziale Reflexion – darin fassen sich unsere Überlegungen zum Theorie-Praxis-Problem zusammen – schließen sich gegenseitig ein, ohne sich aneinander überzuordnen. So spiegeln sie das Verhältnis von Subjekt und Gesellschaft. Dementsprechend kann Reflexionstheorie sozialer Systeme der praktisch-sozialen Reflexion Strukturen vorzeichnen, ohne sie in ihrem inhaltlich-geschichtlichen Vollzug verfügen zu wollen. In der Beschränkung auf strukturelle Regelung liegt die Akzeptierung einer Entzweiung (von Form und Inhalt, Struktur und Prozeß), die auf lange Sicht die einzige Möglichkeit sozialer Einheit moderner Gesellschaften wie eventuell der Menschheit als ganzer sein kann; eines Pluralismus, der mehr als Notbehelf wäre: Institutionelle Regelung der nicht-institutionalisierbaren Kommunikation, Reflexion in Einheit als Freisetzung von Vielheit, Integration als Differenzierung.
    "Solche festgefahrenen Gegensätze aufzuheben, ist das einzige Interesse der Vernunft." 255
     
     
     
     
     
     
     
     

     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     

    Tabellarische Übersicht
     
     
     
     
     
    Reflexions-

    stufen

    Subsysteme System-

    funktionen

    System-

    probleme

    Aspekte der

    individuellen

    Integration

    1. physisch-
    technisches Handeln

    bzw. 

    Sach-

    information

    physisches

    Anpassungs-

    system

    Umwelt-

    anpassung,

    Hebung des

    Lebens-

    standards

    physisches

    Überleben,

    Güterverteilung

    Bedarfs-

    deckung,

    primäre

    Bedürfnis-

    befriedigung


    Übertragung unterbrochen

    ches

    Handeln;

    Verhaltens-

    Erwartungen

    bzw.

    -mitteilungen

    Interessen und

    Machtsystem

    Zielerreichung,

    Konfliktaus-

    tragung,

    Interessen-

    solidarisierung

    Macht-

    gleichgewicht,

    Interessen-

    ausgleich,

    Führung

    Interessen-

    verfolgung,

    Solidarisierung

    (3)Kommu-

    nikation,

    Erwartungs-

    erwartungen 

    Wertkommu-

    nikation 

    (primär),

    Kultur

    (sekundär)

    Wert-

    realisierung,

    Kultur-

    prozeß

    soziale

    Satienz bzw.

    Langeweile,

    soziale

    Kohärenz

    Sozialisation,

    kommunikative

    Kompetenz

    (4)Metakommu-

    nikation;

    Verstän-

    digung über

    Erwartungs-

    erwartungen

    Normen-

    und Legi-

    timations-

    system

    Integration,

    Legitimation,

    Identitäts-

    findung

    Identität,

    Normen-

    anerkennung,

    Legitimation

    Norm-

    anerkennung,

    Internalisierung


     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    Aspekte der

    Entwicklung

    Wertstufen Staat Beispiele:

    Kirche

    Familie
    neue Quellen,

    technischer

    Fortschritt

    Bedürfniswerte,

    sachliche

    Nutzwerte

    Wirtschafts-

    system,

    (Wirtschaft, 

    Technik,

    Finanzen und

    Gesundheits-

    wesen)

    Finanzsystem,

    Güterver-

    waltung

    Haushalt,

    Gesundheits-

    pflege

    Wandel der

    Macht-

    verhältnisse und

    Umgangs-

    formen

    Interessenwerte,

    soziale

    Nutzwerte

    politisches

    System

    (Machtsystem)

    Kompetenzen-

    system,

    Macht und 

    Autoritäts-

    verhältnisse

    Macht- und

    Autoritäts-

    rollen,

    individuelle

    Erwartungen und (berufliche) 

    Leistungen

    Wandel der

    Wertungen,

    Kultur-

    entwicklung

    unmittelbare

    Kommu-

    nikationswerte;

    kulturelle

    Sinnwerte

    Kommu-

    nikations- und

    Bildungssystem,

    Kulturprozeß

    Verkündigungs-

    und Kommu-

    nikationsprozeß;

    spiritueller

    Austausch

    menschlicher

    Austausch in 

    Kommunikationwerten

    Wandel der

    Normen und

    Grund-

    anschauungen

    Normen,

    einheitsstiftende

    Letztwerte

    Rechtssystem,

    informelle

    Legitimations-

    gehalte,

    Grundwert-

    konsens

    Dogmen,

    sittliche Normen,

    Kirchenrecht;

    religiöse Grund-

    erfahrung

    gemeinsame

    Grundan-

    schauungen und 

    Verhaltens-

    normen


     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
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    -Die aristotelische Logik des Seins und die nicht-aristotelische Logik der Reflexion, in: Zeitschrift für philos. Forschung 12 (1958) 360-407
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    -Das Janusgesicht der Dialektik, in: Hegel-Jahrbuch 1974, 89-117
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    -Der Universalitätsanspruch der Hermeneutik, in: K. O. Apel, Hermeneutik und Ideologiekritik, Frankfurt a.M. 1971
    -Vorbereitende Bemerkungen zu einer Theorie der kommunikativen Kompetenz, in: J. Habermas/N. Luhmann, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie – Was leistet die Systemforschung?, Frankfurt a. M. 1971, 101-141
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    K. Hartmann, Grundzüge der Ontologie Sartres in ihrem Verhältnis zu Hegels Logik. Eine Untersuchung zu "L´etre et le neant", Berlin 1963
    -Die Marxsche Theorie. Eine philosophische Untersuchung zu den Hauptschriften, Berlin 1970
    -Systemtheoretische Soziologie und kategoriale Sozialphilosophie, in: Perspektiven 5 (1973) 130-161
    -Gesellschaft und Staat. Eine Konfrontation von systemtheoretischer Soziologie u. kategorialer Sozialphilosophie, in: Akten des Hegel-Kongresses, Stuttgart 1975 
    -Ideen zu einem systematischen Verständnis der Hegelschen Rechtsphilosophie, in: Perspektiven 7
    M. Hauriou, Die Theorie der Institutionen, Hg. R. Schnur, Berlin 1965
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    G.W.F. Hegel, Sämtliche Werke. Jubiläumsausgabe in 20 Bdn., Hg. H. Glockner, Stuttgart 1927 ff
    -Phänomenologie des Geistes, Hamburg 1952
    -Grundlinien der Philosophie des Rechts, eingel. von M. Riedel, Frankfurt a.M. 1968 (Fischer-Studienausgabe)
    -Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse, Hg. F. Nicolin u. O. Pöggeler, Hamburg 1969
    -Wissenschaft der Logik, Hg. G. Lasson, Bde. I und II, Hamburg 1967 u. 69
    -Differenz des Fichte´schen und Schelling´schen Systems der Philosophie, Hamburg 1962
    -Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte. Einleitung: Die Vernunft in der Geschichte, Hg. J. Hoffmeister, Hamburg 1955
    -Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Einleitung: System und Geschichte der Philos., Hg. J. Hoffmeister u. F. Nicolin, Hamburg 1959
    -Briefe von und an Hegel, Hg. J. Hoffmeister, Bd. I, Hamburg 1952
    J. Heinrichs, Die Logik der "Phänomenologie des Geistes", Bonn 1974
    -Der Ort der Metaphysik im System der Wissenschaften bei Paul Tillich, Die Idee einer universalen Sinnhermeneutik, in: Zeitschrift für kath. Theologie 92 (1970) 249-286
    -Sinn und Intersubjektivität, in: Theol. u. Phil. 45 (1970) 161-191
    -Transzendentales - dialogisches – politisches Denken. Thesen zu einer transzendentalen Dialogik, in: Intern. Dialog Zeitschrift 3 (1970) 373-379
    -Fichte, Hegel und der Dialog. Ein Bereich in systematischer Absicht, in: Theol. u. Phil. 47 (1972) 90-131
    -Marx in Hegelscher Sicht. Überlegungen zu K. Hartmanns Buch "Die Marxsche Theorie", in: Theol. u. Phil. 49 (1974) 1-36
    -Theorie welcher Praxis?, in: Theologie zwischen Theorie und Praxis, Hg. L. Bertsch, Frankfurt a. M. 1975, 9-85
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    P. Hejl, Zur Diskrepanz zwischen struktureller Komplexität und traditionalen Darstellungsmitteln der funktional-strukturellen Systemtheorie, in: Theorie-Diskussion Supplement 2, Hg. F. Maciejewski, Frankfurt a. M. 1974, 186-235
    D. Henrich, Selbstbewußtsein. Kritische Einleitung in eine Theorie, in: Hermeneutik und Dialektik, Hg. R. Bubner u. a., Bd. I, Tübingen 1970, 257-284
    -Fichtes ursprüngliche Einsicht, Frankfurt a. M. 1967
    Hegel und Höderlin, in: Hegel um Kontext, Frankfurt a. M. 1971, 9-40
    F. Hölderlin, Werke und Briefe, Hg. F. Beißner und J. Schmidt, 3 Bde., Frankfurt a. M. 1969
    K. O. Hondrich, Systemtheorie als Instrument der Gesellschaftsanalyse, in: Theorie-Diskussion Supplement 1, Hg. F. Maciejewski, Frankfurt a. M. 1973, 88-114
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    G. Klaus, Kybernetik und Gesellschaft, Berlin 1964
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    R. Kroner, Zur Problematik der Hegelschen Dialektik. Bemerkungen im Anschluß an eine Schrift von W. Flach, in: Hegel-Studien 2 (1963) 303-314
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    -Sinn als Grundbegriff der Soziologie, ebd. 25-100
    -Systemtheoretische Argumentationen. Eine Entgegnung auf J. Habermas, ebd. 291-405
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    P. K. Schneider, Philosophische Aspekte der neueren kybernetischen Literatur, in: Phil. Jahrbuch 73 (1966/67)
    1. Schütz, Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt. Eine Einleitung in die verstehende Soziologie, Frankfurt a. M. 1974 (Ersterscheinung 1932)
    W. Schulz, Das Problem der absoluten Reflexion, Frankfurt 1962
    -Philosophie in der veränderten Welt, Pfullingen 1972
    1. Siep, Hegels Fichtekritik und die Wissenschaftslehre von 1804, Freiburg-München 1970
    G. Simmel, Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung, München-Leipzig 1922
    J. Splett, Die Trinitätslehre G.W.F. Hegels, Freiburg-München 1965
  • Theunissen, Der Andere. Studien zur Sozialontologie der Gegenwart, Berlin 1965
  • Thomas von Aquin, Summa contra gentiles
    -De Veritate
    K. H. Tjaden, Zur Kritik eines funktional-strukturellen Entwurfs sozialer Systeme, in: Soziale Welt 21 (1969) 752-769
    F. Ulrich, Homo Abyssus. Das Wagnis der Seinsfrage. Einsiedeln 1961
    -Die Gegenwart der Freiheit 1974
    J. de Vries, Critica, Freiburg 1964
    F. Wagner, Der Gedanke der Persönlichkeit Gottes bei Fichte und Hegel, Gütersloh 1974
    H. Wagner, Philosophie und Reflexion, München-Basel, 1967
    P. Watzlawick/J. H. Beavin/D. Jackson, Menschliche Kommunikation, Bern 1972
    P. Watzlawick/J. H. Weakland/R. Frisch, Lösungen. Zur Theorie und Praxis menschlichen Wandels, Bern 1974
  • Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 1972
  • H. Weinrich, System, Diskurs, Didaktik und die Diktatur des Sitzfleisches, in: Theorie-Diskussion Supplement 1, Frankfurt a. M. 1973, 145-161
    E. Weil, Hegel et l etat, Paris 1950
    -Philosophie politique, Paris 1965
    W. Zapf, (Hg.) Theorien sozialen Wandels, Köln 1969

     

    SACHREGISTER

    (Die kursiven Ziffern beziehen sich auf die Zählung der Anmerkungen)
     

    endogen/exogen 92f 156
     
    Handlungssystem, allgemeines 60 103 121 138

    Hermeneutik 10 96f 26 45 156

    Historismus 96-100 157 161f

    Idealismus 34 105 156 87

    Ideologie 112f 158 161

    Identität (von Systemen) 46f 68f 86-100 162f

    Identität der I. u. Nicht-I. 22 24 29ff 87ff 91ff 35 75

    Individualismus 70f 103 105 131f

    Information 69

    Integralismus 116

    Integration 47-49 90ff 109-117 128ff 155 162f

    Integrationsprinzip 49 104ff

    Intentionalität 37 42ff 48f 167

    Interdependenz 61f 66

    Interesse (u. Erkenntnis) 152 242

    Interpenetration 103f 111

    interpersonal/sozial 125

    Institution 83-85 138

    Iteration 22-25 39ff 64ff 77-85 36

    Jemeinigkeit 69ff

    Kategorien 7 84

    Kausalität 37 65

    Kirche 127 148 232

    Klassen 106ff 144

    Koexistenz 77ff

    Kohärenz, soziale 79 162

    Kommunikation 42ff 65f 103 112ff 122ff 148 162f 197 

    Konflikt 105

    Konkret-Allgemeines 81f 146 114

    Konsenstheorie der Wahrheit 119

    Konservatismus 103

    Kontinuität 94ff

    Kritik 153f 163

    Kunst 55 195

    Kultur 27 71ff 90-95 102ff 121

     

    Kybernetik 10 62-66 106f
     
     

    Langeweile 162

    Leben 19 151-159 25

    Legitimität 66 110-117 162

    Legitimationsgehalte 131ff 135 163

    Liberalismus 105 132f 140 148 233

    Liebe 122 131 146 148 195

    Linearität 22f 35f 32

    Logisierung (der Geschichte) 88-92 157 161

    Logik, formale u. dialektische 33-37

    Macht 66 89 95f 110f 126f 134f 138 162f

    Maitres de soupcon 13 71 97

    Marktwirtschaft 133

    Materialismus 58 91 105 156 87

    Medium 27f 50-58 71ff 81f 84 195

    Mehrwertigkeit 34-37 66 (s. Gleichursprünglichkeit)

    Metakommunikation 43ff 49 61f 110f 124f 159 162f 187

    Metaphysik 34 51 86

    Metatheorie 9f 150-154

    Militär 133f

    Modalitäten 87 33

    Monarchie 144f

    Negativität 54f 147f

    Nichtwiderspruchssatz 34 50

    Nominalismus 70ff 80ff 96 114 133

    Normen 43ff 61ff 66f 84f 87 109 162f 138

    Normerhaltung, -wandel 102ff 162f

    Objektivismus 15 26 122 153 69, s. Subjekt-Objekt-Modell

    Ökonomismus 113f

    Organisation 83f 137f 137

    Organismustheorie 136 233

    Organologische Ineinssetzung 145ff

    Ontologie 34-37 69ff 45 178


     
     
     
     
     
     
    Parteien 120 134 146

    Partizipation 50-58 69ff s. Sinn 82 121

    Person 46ff 68-75 103

    Personalismus 14

    Personalisierung s. Amtshandeln

    Personeninstitution 84 138

    Pluralismus 124f 128-149 161

    Politisch 104 112-116 134f 145ff 161 162f

    Präreflexiv 19f 21ff 24f 28ff 51ff 24 26 29 32f 76 82

    Praxisimmanenz 119-125 157ff 188

    Primäre u. sekundäre Systeme 84 121

    Prozeßlogik 11 69-75 90ff 103

    Produktionsbedingungen (v. Theorie) 151ff 86

    Progressus ad infinitum 17-22 38ff 33 86

    Recht 105 110f 127ff 131ff 135f 147f 163 199 233

    Rechtsstaat 131ff 135f

    Reditio completa 65 24

    Regelkreis 62-66 110ff 106

    Reflexion/Selbstreflexion 17f 152ff

    -konstitutive u. konsekutive 16-20 150ff

    -konstitutive u. iterative 21-25

    -konsekutive u. iterative 24f

    -innere u. äußere 10f 76

    -noetische u. noematische 40 61

    -theoretische u. praktische 150-161

    Reflexionsmomente (Hegels) 145ff

    Reflexionsphilosophie 11 142f

    Reflexionslogik s. Dialektik

    Reflexionsstufen 35f 38-49 101-109 162 69 150 175

    Rekonstruktion 14

    Relatio subsistens 69

    Relativitätstheorie, reflexionslogische 99

    Relativismus 96-100 160f

    Religion 105 131 136 148 163

    Revolution 95f 113

    Rezeptivität 32 47

    Rolle 73 138

    Sachinstitution 84 138

    Satienz, soziale 162

    Seinsgeschick 94 97

    Sekundäre Systeme 84f

    Selbstanwendung 4 99

    Selbstbestimmung 32 47

    Selbstbezüglichkeit 10 18 32-38 69-75

    Selbstlosigkeit 52 123 131

    Setzung s. Voraussetzung

    Sinn 10 50-58 29 s. Partizipation u. Medium

    Sinnelemente 26ff 41

    Sinnfunktionen 128 155 63

    Sinnsystem u. Handlungssystem 102f

    Sinnmitteilung 65

    Sittlichkeit 105 131f 229

    Solidarität 69f

    Solidarisierung 162 113

    Sozialschichtung 106f

    Sozialisation 162

    Sozialstaat 132

    Spekulativer Standpunkt 10ff 142 f 5

    Sprache 27 34f 118 143 153 55 175

    Staat 126-149 163

    Stände 143-149

    Stellenwert 36 49

    Strategisches Handeln 42 ff 162 186 

    s. politisch

    Strukturalismus 11 71f 96

    Strukturerkenntnis 123ff 153ff 159 161 188

    Subjektivismus 98ff

    Subjekt-Objekt-Modell 17-20 33-37 53-56 35 47

    Subsidiarität 79 128ff

     

     
     
     
     
     
     
     
     
    Subsysteme 76-85 101-109 126-138 142-149

    Symbol 27 106 44

    Systembegriffe 61-67 74f 138-141 96

    Systemreferenz 68ff 87ff

    Systemtheorie, allgemeine 9f 59ff 12

    Theorie u. Praxis 150-161

    Umfangslogik 76-85

    Umweltanpassung 162

    Unmittelbarkeit 105f 137f 66

    Unendlichkeit 59

    Unterschied, absoluter 33f 59

    Utopie 152ff

    Überbau s. Basis

    Verdrängung 97

    Vergangenheit 87 33

    Verhaltenserwartungen 42 60

    Vermaschung 64ff 107

    Verwissenschaftlichung 160

    Volumen, soziales 78ff

    Voraussetzung/Setzung 32ff 50f 66 71f 92ff

    Wandel, sozialer 90ff 77ff 163 s. Änderung

    Wahrheit 96f 119 99 178 195

    Wechselwirkung 65

    Weltanschauung 132 135

    Weltgesellschaft 138-141 159ff

    Wert 60 105 118-125 159 162f 185f 188

    Wesen 106 137 42 78 s. Erscheinung

    Wiedererkennen 17

    Wiederholung s. Iteration

    Wirtschaft 104-109 133f

    Wissenschaft 112ff 160f

    Zeit 20-25 41 86-89 31-35

    s. Geschichte

    Zentralverwaltungswirtschaft 133 136

    Zielverwirklichung 102f

    Zirkel, vitiöser 17-20 110-117 151ff 20 26

    -der Selbstbezüglichkeit 32-45 62-67

    Zukunft 87f 139f

    Zwang 110ff 131

    Zweierbeziehung s. Elementarsystem

    Zweiwertigkeit s. Mehrwertigkeit

    Zwischen 44 s. Medium


     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    PERSONENREGISTER
    (Kursive Ziffern beziehen sich auf die Zählung der Anmerkungen.)
    Albrecht, R. 198 96 Gedö, A. 119
    Apel, K.-O. 198 45 156 Gottwald, F.-Th. 5
    Aristoteles 34 62 229 Günther, G. 34 52f 56 87 110
    Bastian, H.-D. 198 106 Habermas, J. 13 59 112ff
    Beavin, J.H. 61 74 205 102f 118ff 122f 152ff 12 64 11C
    126 156 169 1 73—1 79 182ff 187f
    Becker, H. 198 185 236-239
    Benn, G. 96 198 11 152 Hamm, H. 5 55
    Benoist, r. 198 119 Hartmann, K. 153 7 133, 137
    Berger, P. 198 120 194 200 202 218 240f 247
    Bergson, H. 21 33 Hauriou, M. 138
    Bernsdorf, W. 44 109 122 Hegel, G.W.F. 11—14 16 24
    v.Bertalanffy, L. 198 2 88 33f 49 53ff 71ff 82 8Sf
    104 89 93 132 137 140 142—149
    Blasche, S. 198 230 1SS 157 159f 1 5 11 33 41
    Brugger, W. 24 153 196 48ff 59 66 68 78ff 82 134ff
    Buber, M. 87 44 139 143ff 146 149ff 160 167 186
    Bubner, R. 118 191ff 203ff 208-234 244ff
    Büchel, W. 35 25025 3 255
    Bühl, W. 110 Heidegger, M. 16 22 36 51
    Chapelle, A. 79 Heinrichs, J. 5 7 14 32ff 44
    Cramer, K. 26 48 51 54 63 77 79 118 140
    Cramer, W. 21—23 30—32 34 147 155 170ff 184 198 243
    37ff 61 75 Hejl, P. 110
    Cullmann, 0. 157 Hengstenberg,H.~E. 42
    Dahrendorf, R. 122 Henrich, D. 14 16—20 32 51f
    Davis, K. 166 15ff 18—24 46 71ff 84
    Descartes, R. 16 Herder, J.G. 142
    Dilthey, W. 20 Hitler, A. 95
    Doz, A. 52 Hölderlin, F. 73 84
    Dubarle, D. 52 Hondrich, K.O. 10
    Düsing, K. 209 Hohzner, W. 185
    Durkheim, E. 13 70f 76 78 Husserl, E. 21 45 61
    116 127 131ff Hyppolite, J. 226
    Eisler, R. 199 Ilting, H.—H. 129
    Engels, F. 146 Jackson, H.D. 61 74 102ff 126
    Fach, W. 120 182 189 Janke, W. 77
    Fichte, J.G. 9 14 16—18 32 Jesus 157
    52 55 154 25 33 47 55 70 Kampmann, 1. 25
    74 76ff 82 242 Kant, 1. 9 14 16 23 30 47
    Flach, W. 78 120 l3lf 15Sf 20 36 46 48
    Frey, Ch. 79 50 58 65 120 160 168 184
    Frisch, R. 126 197 199 233 235
    Füßlein, R.W. 190 Kaschnitz, M.—L. 129
    Gadamer, H.-G. 142 156 Keller, H. 46
    Kern, W. 243 Schmidt, A. 154
    Schmidt, A., 154
    Klaus, G. 91 105 107f Schmidt, G. 99 159
    Kroner, R. 80 Schneider, P.K. 3
    Kümmel, F. 57 Schütz, A. 21 27ff
    Laing, R.D. 4 Schulz, W. 122 141 254
    Lavelle, L. 33 82 185 Searle, J.R. 175
    Lay, R. 172 Shils, E.A. 93 111 128
    Lee, A.R. 4 Siep, L. 77
    Leibnitz, G.W. 16 Simmel, G. 1S9 249
    Lohfink, N. 152 Sokrates 1S7
    Lotz, J.B. 24 Splett, J. 81
    Luckmann, Th. 120 Stracke, E. 90 94 163
    Luhmann, N. 13 60 119 127 4 Thenissen, M. 139
    43 95f 101 137 181 195 Thomas von Aquin 69 85 112
    202 Ulrich, F. 85 140
    Lukacs 99 de Vries, J. 24
    Mann, Th. 151 Wagner, F. 79
    Marquard, 0. 141 Wagner, H. 39f 60-62
    Marx, K. 11 71 89 1SS 157ff Watzlawick, P. 61 74 126 
    145ff 167 186 188 207 226 Weakland, J.H. 126
    246 248 Weber, M. 12f 7Of 9 117 146
    Mayntz, R. 166 Weier, W. 85
    Mead, G.H. 44 44 67 Weinrich, H. 180
    Metz, J.B. 147 Weil, E. 206ff
    v. Nell—Breuning, O. 5 130 Wiener, N. 109
    113 196 Willems, E. 44
    Nietzsche, F. 152 Zapf, W. 148
    Parsons, T. 60f 70 72 74 76
    102f 106 109 93 111 115 121
    128 146 161 164 195
    Phillipson, H. 4
    Platon 229
    Popper, K.R. 96
    Prewo, R. 90 94 163
    Rahner, K. 84
    Reiners, H. 42
    Ricoeur, P. 13 156
    Riedel, M. 226
    Ritsert, J. 90 94 163
    Rocher, G. 4 136
    Rothschild, F.S. 69
    Satre, J.-P. 133
    Schäffler, R. 141
    Scheier, C.A. 17
    Scheler, M. 184
    Schelling, F.W.J. 209 244
    Schelsky, H. 137
    Schiller, F. 32
    Schmied-Kowarzik, W. 8