Prof. Dr. Johannes Heinrichs
Integrale Philosophie

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Literarisches / 3. Immerabschied

ABSCHIEDS-WIEDERSEHEN

Ich muss noch einmal zu dir kommen
Um dir Adieu zu sagen.
Der erste Abschied war uns nicht gelungen
wir konnten nicht verstehen.

Seh ich dich wieder – tief benommen
von den uralten Kampfestagen
wo wir um Licht und Wegsamkeit gerungen
und Kraft zum Weitergehn.

Sag welche Hand einander uns genommen
wer steuerte durchs Abendrot den Wagen
und jemand hat das Gloria dazu gesungen?
Ich seh noch alle Sonnen untergehn.

Ich muss noch einmal zu dir kommen
nach hundert langen Tagen
und bin bei diesem Wiedersehn
von Abschied machtbezwungen. 

(1967)

 

 

 

EINEN SCHRITT WEITER

Wir werden uns nicht viel
zu sagen vermögen.
Aber wir müssen uns wiedersehn.
Wir werden dann noch fragen
warum.

Erst beim Abschied
werden wir's wieder wissen.

Einen Schritt sind wir weiter
wenn wir das vorher
sehen
und nicht vergessen
dass wir uns viel zu sagen haben. 

(1972)

 

 

 

HERBSTNEBEL FIEL

Herbstnebel fiel
in unseren Sonnenpark
übers vielfarbene Geheimnis
die einmal gemeinsamen Wege.
Wo Worte im Kreisen
sich wiederfanden
und Blicke
spielen die Hasen Vergessen.
Gut könnte Hoffnung gedeihen
viel erbetene Frucht
wäre der Abschied nicht
leichtsinnig mitten in uns
wäre nicht nächtens die Zweifelssaat
unbewacht
auf gärenden Boden gefallen.

(1972)

 

 

 

KLAGE

Die Herbstparkschönheit
tausendlichtgießend
alleine schlürfen?
Lieber sich selbst zutrinken
überm Weinglas
worin Tränen sich sammeln.
Auf Wiesenmatten aber
zerrinnen sie
wie Nichts
wie meine Gebete im Hain
zwischen den Farbengeschenken
und Hilferufe verhallen
unter dem freundlich glatten Himmel
mit Sphinxgesicht.
Warum hast du mich verlassen?
Und Gott du?

(1972)

 

 

 

KLOPFEN AN WÄNDE

Das Ungesagte
aus Schuld oder Schicksal
überfällt jetzt wie immer auch
nach den Stunden.
Immer nachher
scheint das Willkommen und Abschiednehmen
Gefängnisbesuch
von Zelle zu Zelle
und anhebt
ein Klopfen an Wände
dass noch ein Wort entstünde
das Ungesprochene
ganz.

(1972)

 

 

 

VORERST WEITERSTOLPERN

Fahren wohin ich nicht will
rücklings zum Zuge
den Blick auf Stunden
die unsere waren und ewig
und Zukunft versprachen.

Vorerst weiter stolpern
von Augenblick zu Augenblick
von Dunkel zu Helle zu Dunkel ... 

(1972)

 

 

 

IMMERABSCHIED

„So leben wir und nehmen immer Abschied.“
(R.M. Rilke, Achte  Duineser Elegie)

Wieder Abschied -
werd ich ihn lernen je oder du?
Viel Nähe lebte und starb
in welche Weite hinein?

Dass wir sterblich
bleibt mir das Schwerste zu leben.
Das Brückenbauen und -brechen
Brückenbrechen wohin?

Mein Stirb-und-werde-Lied.
Dass ich seiner Rhythmen mächtig
und seines hohen Atems sicherer würde
blieb soviel Trauer darin?

(1973)

 

 

 

ABSCHIED SCHÖNBRUNN

Käuze schreien die Nacht.
Am schönen Brunnen
stirbt jemand.
Zwei sind's
und unsere Freundschaft
die bittersüß langgereifte
bis zur Vollendung
bis wir am Ende
die Worte fanden
dass wir es nicht vermögen.

Das Immeramanfangstehen.

Tief ruht der Brunnen
und schweigt
winterlang.

(1975)

 

 

 

GETRENNT

Ich liebe das Herbe
wo es nach Sinn schmeckt.
Dass du mich fortschickst
als sei es Tanz
die Arme das Herz zu befreien
zu tieferem Wiederfinden.

Die Prachtstadt im Herbst
schöntuend fremd geworden
nach einem einzigen Sommer.
Mit fallenden Blättern
nass unter Alltagshasten
den Abschied tausendfach sterben.

Die Blätter heimlich wechselnd
mit dir eine Hoffnung bewahren.
Einladen alles was trennt
und Unzertrennlichkeit spüren.
In Filmen noch spult das Wissen mit
vom Ganzen Ungewissen.

Das Zittern bei allem
und deines nicht spüren:
ob wir uns nicht überheben
und ob das Herbe noch Sinn schmeckt. 

(1976)

 

 

 

SONNTAGSNACHMITTAGSSTERBEN

Un être me manque, et le monde m'est dépeuplé.
(Ein Wesen fehlt, und die Welt ist mir entvölkert.)

Die Wunde geliebter Mensch
Jahre alt
Will nicht heilen.
Nicht Kurorte Wechselbäder
samt Liebesbalsam
bringen Vergessen
oder die Heilung
dich.
Den Sonntagnachmittag
sterbe ich unter Stadtgewittern
bei Kaffee und Kuchen und unter Musik
weiß wie du halb weißt
und gleichsinnig sehnst
weiß nicht den Virus zu nennen
der fasziniert und
fad macht.
Aber weiß wie ein Todgeweihter
Der unendlich zu schaffen
Irgend die Kräfte sammelt. 

(1978)

 

 

 

ANKUNFT

Auch Ankunft gibt's

dann und wann.

Noch nicht bei mir

auf den Odysseen

doch heute wie gestern

bei dir.

(1980)

 

 

 

KASSIBER

Mehr noch auf Reisen
schlepp ich die Sehnsucht
mit mir herum
als meinen Verräter
Henker und Foltersknecht.

Du weißt sie nur
wenn du sie hast.
Du hast sie nur
wenn du sie weißt
in deinem fremden Daheim.

(1980)

 

 

 

VIELLEICHT

Vielleicht musste sein

dass wir uns gleich wieder trennten?

Vielleicht aber nicht?

Weißt du es besser als ich?

Dass wir das Dunkel bannten

In Augenblicken nach Mitternacht

Musste wohl einmal sein.

(1983)

 

 

 

SICH TRAUEN

Sie trauen sich
in kirchlichem Glanz.
Wir trauen uns
Weltlich
oder auch nicht.

Gute Gründe haben wir
allzu viele und
nie genug.
Sie reichen kaum
uns wirklich zu trauen
und auseinanderzugehen. 

(1986)

 

 

 

UND DENKE DEM TRAUME NACH

„Nun sitz ich hier alleine/ Und denke dem Traume nach."
(W. Müller/F. Schubert)

Ich lebe mit dir
in meiner Erinnerung.
ich liebe dich
in meiner Erinnerung.
Ich tolle mit unseren Lieblingen
in meiner Erinnerung.
Ich streichle dein Haar Geliebte
in meiner Erinnerung
frischeglänzend sehe ich es
über den buntwollenen Mantel fallen
wie du schaukelnd zum Markt stakst
in meiner Erinnerung.
Ich lerne reiten auf deinem Pferd
und wir lernen ein junges an
bis wir zu zweit wettgaloppieren
verjüngendes frisches Erleben
in meiner Erinnerung.

Neuerdings lebe ich auf
in Erinnerungen mit dir
seit du fort bist
Gott sein Dank endlich
du Hexe!
Irgendwann griff neidisch
ein Todesgeist ein
zuerst beim Lieblingstier
wie verhext
dann an unseren Worten
und nun Aufleben
in Erinnerung an ein Leben
und eine Fee.

Scheinbar geht's lebend weiter
mit nicht geringerer Hoffnung
und freierem Geist mag sein
doch ohne die Fee und die Tiere
mit brandneuen Koffern
von frischer Erinnerung voll
eines Traumreisenden
der trauerarbeitend
sie lange noch umpackt
brandvoll von Erinnerung.

(1987)

 

 

 

VERWIRRUNG DER GEFÜHLE

Eine lockt mich.
Eine lock ich.
Eine liebt mich
die fehlt auch mir

und eine vergesse ich nie
nicht so bald nach dem Scheitern
die wartet bestimmt
auf ich weiß nicht worauf.

Mein Glück weiß ich
nicht zu wählen
aber das Unglück habe ich
so lässig im Griff
wie es mich.
Und es drängt allemal. 

(1987)

 

 

 

WER IN DIE FREMDE WILL WANDERN

Wer in die Fremde will wandern,
Der muss mit der Liebsten gehn.
(J.v. Eichendorff)

Heimweh?
Nie gekannt.
Seitdem ich dich kenne
und du zurückbliebst
kenn ich auch das.

Fremdsein?
Nie von Dauer.
Seit wir vertraut sind
trau ich die Heimischen nicht mehr zu bitten:
Nehmt mich als einen von euch.

Glück?
Ich glaubte daran
solang ich es suchte.
Seit ich den Saum berührte
den Schatten spürte
rückten tausend Straßen dazwischen.
Und wenn uns sonst nichts trennt -
welch ein Glück! 

(1988)